Tarifabschluss Lesezeit 4 Min.

Zeichen der Vernunft

Unüblich leise und in der Endphase von der Corona-Krise geprägt – so verliefen die Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektro-Industrie 2020. Der Abschluss sichert der Branche Tariffrieden bis Ende des Jahres und begrenzt die Belastungen für die Unternehmen. Den Betrieben und den Beschäftigten bringt der Vertrag in dieser kritischen Phase wertvolle Planungssicherheit.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die Tarifverhandlungen der Metall- und Elektro-Industrie standen ganz im Zeichen der Corona-Krise. Wie die gesamte Wirtschaft leidet auch die M+E-Industrie unter Produktions- und Umsatzeinbußen.
  • Allein im März 2020 haben die Unternehmen der M+E-Industrie bei der Bundesagentur für Arbeit Kurzarbeit für 150.000 Personen angezeigt.
  • Der bis zum 31. Dezember 2020 geltende Tarifvertrag sieht verschiedene Schritte vor, um die Anwendung der Kurzarbeit für Unternehmen und Beschäftigte zu erleichtern.
Zur detaillierten Fassung

Schon vor der Tarifrunde 2020 zeichnete sich ab, dass die Verhandlungen dieses Mal nicht nach dem gewohnten Muster der vergangenen Jahre ablaufen würden. Der Grund: Die Metall- und Elektro-Industrie fiel 2019 in die Rezession (Grafik):

Die Produktion in der Metall- und Elektro-Industrie sank im Schnitt des Jahres 2019 gegenüber dem Vorjahr um 5,1 Prozent.

Entwicklung der M+E-Produktion, kalender- und saisonbereinigte Daten, 2005 = 100 Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Gleichzeitig standen und stehen die Unternehmen vor der Aufgabe, einen tiefgehenden Strukturwandel zu bewältigen, der durch Digitalisierung, Dekarbonisierung und neue Anforderungen an die Mobilität ausgelöst wird.

Angesichts dieser Voraussetzungen haben sich Arbeitgeber und IG Metall bereits Ende Januar auf einen „neuen Weg“ verständigt und schon vor den eigentlichen Tarifverhandlungen Gespräche in den Tarifgebieten aufgenommen. Es ging darum, die Unternehmen und damit auch die Beschäftigung im Strukturwandel und in der konjunkturellen Krise zu sichern. Die Gewerkschaft stellte – anders als üblich – keine Lohnforderung, angestrebt wurde ein Tarifabschluss noch während der Friedenspflicht.

Allein im März 2020 haben die Unternehmen der M+E-Industrie bei der Bundesagentur für Arbeit Kurzarbeit für 150.000 Personen angezeigt.

Dann kam die Corona-Krise. Die Metall- und Elektro-Industrie leidet wie die gesamte Wirtschaft unter Produktions- und Umsatzeinbußen, die vor allem durch unterbrochene Lieferketten, behördliche Betriebsschließungen und Quarantänen in der Belegschaft ausgelöst werden. Die Folge davon ist Kurzarbeit in erheblichem Umfang. Allein im März 2020 haben die Unternehmen der M+E-Industrie bei der Bundesagentur für Arbeit Kurzarbeit für 150.000 Personen angezeigt. Damit war die Zahl fünfmal so hoch wie im Februar, als die Unternehmen für rund 30.000 Personen Kurzarbeit angezeigt hatten. Zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind zudem von Schul- und Kita-Schließungen betroffen.

Die Auswirkungen der Corona-Krise werden in der Industrie wahrscheinlich deutlich stärker zu spüren sein als in anderen Branchen, wie eine Prognose des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt (Grafik):

Falls der Lockdown in Deutschland Ende April aufgehoben wird, dürfte die Bruttowertschöpfung der Industrie 2020 um 10 Prozent sinken.

Veränderung der Bruttowertschöpfung 2020 im Vergleich zum erwarteten Normalverlauf in Prozent Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Im Dienstleistungssektor sollen es im selben Szenario nur 4 Prozent sein. Falls die Arbeit sogar bis Ende Juni noch nicht wieder aufgenommen wird, rechnet das IW mit einem Rückgang von 18 Prozent in der Industrie. Noch schlechter sind die Aussichten für Bundesländer mit einer starken Automobilbranche – dort könnte die Bruttowertschöpfung um ein Fünftel sinken.

Unter diesen schwierigen Umständen war in den Tarifverhandlungen eine schnelle Lösung für Unternehmen und Beschäftigte das Gebot der Stunde. Die Tarifparteien handelten der Krise entsprechend und erreichten am 19. März einen Pilotabschluss in Nordrhein-Westfalen. Inzwischen ist die Tarifrunde auch in allen anderen Tarifregionen abgeschlossen.

Härtefallregelung bei andauernder Kurzarbeit

Der Tarifvertrag sieht verschiedene Schritte vor, um die Anwendung der Kurzarbeit für Unternehmen und Beschäftigte zu erleichtern. Außerdem wurden neue Freistellungszeiten zur Kinderbetreuung vereinbart, wenn Kita oder Schule in der Corona-Krise behördlich geschlossen sind und die betroffenen Beschäftigten zuvor andere Möglichkeiten ausgeschöpft haben.

Die Ergebnisse des Tarifabschlusses im Überblick:

  • Entgelt. Der zum 31. März gekündigte Entgelt-Tarifvertrag wird ohne eine Erhöhung der Tabellenentgelte unverändert wieder in Kraft gesetzt – mit einer Mindestlaufzeit bis zum 31. Dezember 2020.
  • Kinderbetreuung. Beschäftigte, die Kinder bis zur Vollendung des zwölften Lebensjahres betreuen müssen, können nun ebenfalls acht freie Tage anstelle der tariflichen Sonderzahlung T-ZUG beantragen. Außerdem werden fünf zusätzliche bezahlte freie Tage gewährt – sofern alle anderen Maßnahmen schon ausgenutzt wurden. Dazu gehören bestehende staatlich finanzierte Freistellungszeiten, der Verbrauch von Resturlaub aus dem Jahr 2019, der Abbau von bestehenden Guthaben auf Arbeitszeitkonten, der Aufbau von maximal 21 „Negativstunden“ auf Arbeitszeitkonten sowie die Nutzung von bereits für das Jahr 2020 genehmigten freien Tagen statt des T-ZUG.
  • Freie-Tage-Regelung. Um die Betriebe so gut es geht zu entlasten, können Betriebsleitung und Betriebsrat in gegenseitigem Einvernehmen festlegen, dass für alle Beschäftigten die tarifliche Sonderzahlung T-ZUG entfällt und dafür freie Tage (je nach Beschäftigtengruppe sechs oder acht Tage) mit ungekürzten laufenden Bezügen genommen werden müssen.
  • Zusammenhalt bei Kurzarbeit. Anstelle eines allgemeinen tariflichen Zuschusses zum Kurzarbeitergeld haben die Tarifparteien eine Härtefallregelung vereinbart. Demnach stellen die Betriebe einen Finanzierungsbetrag von 350 Euro pro Beschäftigten – für Teilzeitbeschäftigte wird er anteilig berechnet – zur Verfügung, der zum Ausgleich oder zur Verminderung sozialer Härten im Fall von lang andauernder und hoher Betroffenheit durch Kurzarbeit dient.

Die konkreten Verwendungsmodalitäten legen die Betriebsparteien fest. Wichtig in dieser besonders schwierigen Situation ist, dass der Finanzierungsbetrag auf bereits betrieblich vereinbarte Unterstützungsleistungen angerechnet wird.

Mittel, die nicht für Härtefälle ausgeschöpft werden, können entweder zum Jahresende zu gleichen Teilen an die Beschäftigten ausgezahlt oder – wenn die wirtschaftliche Lage des Betriebs dies erfordert – mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien bis auf null reduziert werden. Mit dieser Lösung ist sichergestellt, dass diejenigen Mitarbeiter Unterstützung bekommen, die sie wirklich brauchen.

  • Beschäftigungssicherung. Der auf freiwilliger betrieblicher Basis umsetzbare Tarifvertrag „Zukunft in Arbeit“ (ZiA) aus dem Krisenjahr 2010 wird modifiziert wieder in Kraft gesetzt.

Ein Baustein aus dem ZiA: Die tariflich vereinbarte jährliche Sonderzahlung wird auf zwölf Monate verteilt. So wird das monatliche Entgelt in der Kurzarbeit für die Beschäftigten erhöht und der verbleibende Kostenblock der Unternehmen in der Kurzarbeit verringert. Voraussetzung dafür ist eine Beschäftigungszusage der Unternehmen.

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