„Wir sind besser gewappnet, als es die USA waren“
Seit 2009 sitzt Petra Kammerevert für die SPD im Europäischen Parlament. Seit 2017 ist sie Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Bildung. Zudem ist sie Mitglied des WDR-Rundfunkrats und dort seit 2010 Chefin des Programmausschusses. Der iwd sprach mit ihr über Fake News, Wahlbeeinflussung und neue Anforderungen an die Bildungspolitik.
- Petra Kammerevert, Europaabgeordnete der SPD, berichtet, dass die EU im Europawahlkampf gezielt Non-Profit-Organisationen unterstützt, um gegen Fake News vorzugehen.
- Darüber hinaus bekämpft die EU mit einem Aktionsplan gegen Desinformation die Falschmeldungen im Netz. Bei den Internetriesen wie Google, Facebook und Twitter setzt sie auf eine Selbstverpflichtung.
- Bildung und Medienkompetenz helfen, um Falschmeldungen zu erkennen. Kammerevert spricht sich dafür aus, dass auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland seinen Teil dazu beiträgt und zum Beispiel auf Facebook für die Menschen präsent ist.
Frau Kammerevert, wie groß ist die Gefahr von Fake News und gezielter Desinformation wirklich?
Es gab schon immer Falschmeldungen oder zumindest Meldungen, die falsch gedreht wurden. Im Internet, vor allem in geschlossenen Gruppen und Foren, fallen diese Fake News aber nicht mehr so schnell auf und können sehr wirksam werden, bevor man ihnen etwas entgegensetzen kann.
Wenn früher eine Boulevardzeitung eine Falschmeldung produzierte, wurde das rasch entlarvt – heute ist es deutlich schwieriger, falsche Informationen wieder einzufangen. Dazu passt, dass laut einer neuen Befragung 83 Prozent der Europäer Fake News als eine Gefahr für die Demokratie sehen.
Es gibt also Handlungsbedarf. Was tut die Politik?
Wir setzen vor allem darauf, dass Non-Profit-Organisationen überprüfen, ob News korrekt sind oder nicht. Also Plattformen wie „Correctiv“ – etwa 80 entsprechende Initiativen hat die Europäische Kommission momentan auf dem Schirm. Die Politik muss die Unabhängigkeit dieser Organisationen sicherstellen, sonst können sie schnell in Misskredit gebracht werden. Deshalb unterstützt die Europäische Union sie zwar nicht finanziell – aber mit Technik und Infrastruktur.
Wie hat sich die EU für die kommende Wahl gewappnet?
Mit unserem Aktionsplan gegen Desinformation – unter dem Hashtag #EUvsDisinfo – haben wir hier eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Zum Beispiel hat die EU in Tools zur Datenanalyse und in Fachpersonal investiert, es gibt spezielle Kampagnen, Kontaktstellen und Infomaterialien – auch auf Russisch übrigens.
Bei den Internetriesen setzen wir auf eine Selbstverpflichtung – Google, Facebook, Twitter und Mozilla sind mit an Bord.
Anfang April stellte ein erster Zwischenbericht fest, dass sich einiges zwar verbessert hat, die Firmen aber noch mehr tun müssen, wenn es gilt, sogenannte nicht menschliche Interaktionen sowie falsche Accounts zu löschen.
Aber reichen bei diesem heiklen Thema wirklich Selbstverpflichtungen aus?
Bei der Freiwilligen Selbstkontrolle – kurz FSK – funktioniert das sehr gut. Aber ich würde nicht zögern, eine entsprechende Gesetzgebung zu fordern, wenn sich herausstellt, dass die Internetriesen nicht mitziehen. Doch nach meiner Wahrnehmung haben Facebook, Google und Co. durch die Skandale der vergangenen Jahre durchaus begriffen, dass sie etwas tun müssen, um glaubwürdig zu bleiben beziehungsweise wieder zu werden.
Ein zentraler Punkt, den das EU-Parlament noch einmal gefordert hat, ist die Verpflichtung zur Identitätsprüfung der Nutzer. Mal sehen, ob die Internetriesen freiwillig mitspielen oder ob wir sie zwingen müssen.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sollte seinen Teil dazu beitragen, die Medienkompetenz der Menschen zu verbessern.
Falsche Informationen verbreiten sich bei Twitter deutlich schneller als echte, wie eine Studie zeigt. Hilft da nicht vor allem eines: Bildung?
Natürlich, Bildung und Medienkompetenz sind bei diesem Thema essenziell – für den Nachwuchs, aber auch für Erwachsene.
Allerdings haben wir als EU nur eine koordinierende Aufgabe und wenig echte Gestaltungsspielräume. Wir müssen also dafür werben, europaweite Bildungsstandards zu etablieren. Die Beharrungskräfte in den Mitgliedsstaaten sind allerdings sehr groß. Wir sehen doch schon in Deutschland, wie lange sich die Länder gegen Bundesmittel aus dem Digitalpakt gewehrt haben.
Ich persönlich finde die Kompetenzstreitigkeiten einfach nicht zielführend, letztlich geht es doch darum, bestmögliche Bildung für alle zu gewährleisten.
Noch ein anderer Punkt wird beim Thema Bildung gern vernachlässigt: Die Politik allein kann das nicht schaffen. Auch große Firmen haben die Pflicht, Mitarbeiter zu schulen, zum Beispiel in Medienkompetenz.
Und der öffentlich-rechtliche Rundfunk sollte ebenfalls seinen Teil dazu beitragen, die Medienkompetenz zu verbessern. Sie wissen, ich sitze im Rundfunkrat des WDR. Da diskutieren wir mitunter hitzig, auf welchen Plattformen der Westdeutsche Rundfunk aktiv sein sollte. Mein Credo ist: Wir müssen dorthin, wo die Menschen sind, wo wir sie erreichen – also auch auf Facebook. Aber wir müssen diesen Plattformen gegenüber immer kritisch bleiben, entsprechend berichten und auf die Gefahren hinweisen.
Schauen wir nach vorn: Bald wird das Europäische Parlament gewählt. Noch immer arbeiten die USA die vermeintliche Beeinflussung der vergangenen Präsidentschaftswahl aus dem Ausland auf. Droht uns Ähnliches?
Ich habe keine Erkenntnisse, dass massenweise Bots oder andere digitale Angreifer auf die Wahl angesetzt sind.
Das hat sicherlich damit zu tun, dass eine Wahlbeeinflussung in der EU mit all den Mitgliedsstaaten sowie verschiedenen Sprachen und Organisationsstrukturen viel aufwendiger zu organisieren ist als bei einer Wahl in einem einzelnen Land.
Aber es liegt sicherlich auch daran, dass wir dank des Aktionsplans und der für uns tätigen Experten besser gewappnet sind, als es die USA waren.