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Soll die EZB ihren Kurs ändern?

Seit Jahren fährt die Europäische Zentralbank eine Nullzinsstrategie, um so das Wachstum in der Eurozone anzuheizen und eventuellen Deflationsgefahren vorzubeugen. Im iwd erläutern zwei Ökonomen, was sie vom Kurs der EZB halten.

Kernaussagen in Kürze:
  • Markus Demary, Senior Economist am Institut der deutschen Wirtschaft, sieht durch Wachstum und sinkende Arbeitslosenquoten im Euroraum keine Deflationsgefahren mehr. Er plädiert für eine frühzeitig kommunizierte Zinswende.
  • Reint E. Gropp, Präsident des Leibniz-Istituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), betont, wie wichtig es ist, dass die EZB unabhängig von der Politik ist. Sie muss weiter die richtige Balance zwischen Inflationsbekämpfung und Finanzstabilität finden.
Ja,
sagt
Markus Demary,

Senior Economist im Institut der deutschen Wirtschaft

Die EZB muss einsehen, dass sie die Inflationsrate nicht feinsteuern kann.

Zwar war es im Jahr 2015 aufgrund der Deflationsgefahren in einigen Euro-Mitgliedsländern richtig, die geldpolitischen Zügel zu lockern. Aufgrund der Schärfe der Krise und der Unsicherheit über die Wirksamkeit der Anleihekäufe war es damals auch richtig, ein derart massives Ankaufprogramm auf die Beine zu stellen.

Die Situation hat sich aber seitdem grundlegend geändert. Das Wachstum ist in den Euroraum – und auch in die ehemaligen Krisenländer – zurückgekehrt, die Arbeitslosenquoten sinken. Es gibt also keine Deflationsgefahren mehr. Was wir jetzt beobachten, ist Wachstum bei niedriger Inflation – eigentlich eine wünschenswerte Situation.

Dass die EZB ihr Inflationsziel von unter, aber nahe 2 Prozent noch nicht erreicht hat, ist nicht so schlimm. Die aktuelle Inflationsrate von 1,3 Prozent lässt einen ausreichend großen Sicherheitsabstand zur Deflation. Viel wichtiger ist, dass die Niedrigzinspolitik den angeschlagenen Unternehmen in den ehemaligen Krisenländern geholfen hat, ihre Bilanzen aufzubessern. Die Unternehmen konnten dadurch wieder Arbeitskräfte einstellen und werden in Zukunft auch wieder investieren können. Durch die gestiegene Beschäftigung und das zunehmende Wachstum wird sich über kurz oder lang auch die Inflationsrate normalisieren. Die EZB muss einsehen, dass sie die Inflationsrate nicht feinsteuern kann.

Sollte die EZB bei der anziehenden Konjunktur am Nullzins festhalten, so wird ihre Geldpolitik immer expansiver. Im schlimmsten Fall schießt sie über ihr Inflationsziel hinaus. Das wäre problematisch, da die Notenbank dann scharf gegensteuern müsste. Mit einer starken Kehrtwende würde sie im schlimmsten Fall eine Rezession riskieren. Sinnvoller wären frühzeitige und vorsichtige Zinsschritte, so wie es die US-Notenbank bereits praktiziert.

Eine Zinswende bringt auch Risiken mit sich, beispielsweise dadurch, dass die Anleihekurse bei steigenden Zinsen sinken. Deshalb ist es wichtig, die Finanzmarktteilnehmer frühzeitig über eine Zinswende zu informieren. Die Aussagen der EZB, notfalls auch ihre Anleiheankäufe zu verstärken, gehen in die falsche Richtung.

Nein,
sagt
Reint E. Gropp,

Präsident des Leibniz-Istituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH)

Die EZB muss die richtige Balance zwischen Inflationsbekämpfung und Finanzstabilität finden.

Die Nullzinspolitik der EZB war ein großer Erfolg. Die Eurozone wächst. Das Auseinanderbrechen des Euro und eine deflationäre Spirale wurden verhindert. Die Zinsen, die vergleichbare Unternehmen in unterschiedlichen Ländern der Eurozone bezahlen müssen, sind konvergiert. Die Europäische Zentralbank hat ihren Job gut gemacht trotz unnötiger Störfeuer, besonders aus Deutschland. Man hat einmal mehr gesehen, wie wichtig die Unabhängigkeit der Zentralbank von der Politik ist.

Allerdings könnte die Rechnung für die Nullzinspolitik vielleicht noch in den nächsten Jahren präsentiert werden. Das wäre dann der Fall, wenn die Geldpolitik der EZB den Druck auf Krisenländer reduziert hätte, Strukturreformen – auf den Arbeitsmärkten, den Gütermärkten und in der Finanzpolitik – durchzuführen. Die Geldpolitik hätte dann also die Stabilität heute auf Kosten einer möglicherweise noch größeren Krise in der Zukunft erkauft. Das ist aber nicht zu sehen.

In allen südeuropäischen Ländern sind seit 2010 Strukturreformen durchgeführt und Defizite zurückgefahren worden. Auch das Finanzsystem steht durch die Bankenunion und verschärfte Regulierung besser da als vor der Krise. Trotz dieser Erfolge gibt es gute Gründe, die Geldpolitik expansiv zu halten. Die Arbeitslosigkeit in der Eurozone liegt noch immer über 8,5 Prozent und die Inflation mit 1,3 Prozent deutlich unter dem Inflationsziel der EZB.

Trotzdem hat die Zentralbank die Zinswende bereits eingeleitet. Dabei ist es wichtig zu verstehen, wie moderne Zentralbanken Geldpolitik betreiben. Geldpolitik ist heute überwiegend Erwartungsmanagement. Obwohl die EZB bisher weder die Anleihekäufe zurückgefahren noch die Zinsen erhöht hat, sind Zinsen für Anleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren von 0,3 Prozent im Januar 2017 auf mittlerweile knapp 0,8 Prozent gestiegen. Es ist klar: Die Risiken der Niedrigzinspolitik manifestieren sich nicht, solange sie anhält, sondern erst, wenn man aussteigen will. Die EZB muss hier behutsam vorgehen und die richtige Balance zwischen Inflationsbekämpfung und Finanzstabilität finden.

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