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Kommentar Lesezeit 3 Min.

Solidarisches Grundeinkommen: „Weniger nachhaltig geht es kaum“

Solidarisches Grundeinkommen statt Hartz IV – die Vorstellung einiger SPD-Spitzenpolitiker kann in der Praxis nicht funktionieren, sagt IW-Arbeitsmarktexperte Holger Schäfer. Vielmehr gleiche sie einer Kapitulation.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die vermeintlich einfache Idee eines solidarischen Grundeinkommens wird in der Praxis nicht funktionieren. Und erst recht nicht ist sie dazu geeignet, die Grundsicherung abzulösen.
  • Im Kern entspricht das Konzept den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, in die in den 1990er Jahren Hunderttausende Arbeitslose geschickt wurden.
  • Das Arbeitslosenproblem soll dadurch gelöst werden, dass die Arbeitslosen in den Staatsdienst übernommen werden. Sie werden quasi aus der Statistik wegsubventioniert – weniger nachhaltig geht es kaum.
Zur detaillierten Fassung

Der Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Michael Müller, ein sogenanntes solidarisches Grundeinkommen einzuführen, hat zuletzt viel positive Resonanz bekommen. Die Grundidee besteht darin, Hartz-IV-Empfängern eine gemeinnützige, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im kommunalen Bereich anzubieten, tariflich entlohnt und unbefristet. Das könnten unter anderem Jobs als Hausmeister in öffentlichen Einrichtungen oder in der Kinderbetreuung sein. Es gebe genug zu tun und es sei besser, Arbeit zu finanzieren als Arbeitslosigkeit – so die Argumentation.

Mancher sieht dadurch bereits das Ende von Hartz IV eingeläutet – neben Müller positionierten sich prominent die stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Malu Dreyer und Ralf Stegner mit diesem Vorschlag. Doch so verlockend einfach sich die Idee eines solidarischen Grundeinkommens zunächst anhört – funktionieren wird sie nicht. Und erst recht nicht ist sie dazu geeignet, die Grundsicherung abzulösen. Schon allein deshalb, weil die gemeinnützige Beschäftigung freiwillig sein soll – Arbeitslose, die das Angebot nicht wahrnehmen wollen oder können, erhalten also weiterhin Arbeitslosengeld.

In der Praxis nicht umsetzbar

Es wäre auch gar nicht möglich, für alle Hartz-IV-Empfänger Stellen zu schaffen. Für die arbeitslosen Empfänger wären das 1,7 Millionen Stellen, die öffentlich finanziert werden müssten – was allein schon mehr sind als die 1,5 Millionen derzeit bei Kommunen Beschäftigten. Hinzu kämen 2,7 Millionen erwerbsfähige Hartz-IV-Empfänger, die bedürftig, aber nicht arbeitslos sind – zum Beispiel Alleinerziehende, die kleine Kinder betreuen. Für die käme eine zusätzliche gemeinnützige Beschäftigung in der Regel ohnehin nicht infrage, insofern dürften sie auch kein solidarisches Grundeinkommen erhalten und wären weiter auf die Grundsicherung angewiesen.

Beim solidarischen Grundeinkommen werden Arbeitslose quasi aus der Statistik wegsubventioniert – weniger nachhaltig geht es kaum.

Das Konzept erinnert zwar dem Namen nach an das seit Jahren diskutierte bedingungslose Grundeinkommen, das einen einheitlichen Transferbetrag für die gesamte Bevölkerung in Aussicht stellt. Allerdings haben beide Ideen kaum etwas miteinander zu tun – denn das solidarische Grundeinkommen wäre ja explizit an eine Bedingung geknüpft, nämlich die einer gemeinnützigen Beschäftigung.

Erinnerung an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen

Im Kern entspricht es deshalb eher den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, in die in den 1990er Jahren Hunderttausende Arbeitslose geschickt wurden. Die sogenannten ABM werden inzwischen nicht mehr von den Arbeitsagenturen und Jobcentern genutzt. Das liegt auch an den ernüchternden Resultaten: Die Evaluation hat ergeben, dass die Teilnahme an einer ABM die Beschäftigungschancen am regulären Arbeitsmarkt nicht verbessert, sondern für einige Personengruppen sogar verschlechtert. Das kann unter anderem daran liegen, dass Arbeitslose durch ihre Teilnahme an einer ABM signalisieren, dass sie schwer vermittelbar sind. Vor allem aber wirkt ein Einsperreffekt: Arbeitslose, die einer öffentlich geförderten Beschäftigung nachgehen oder diese auch nur in Aussicht gestellt bekommen, suchen weniger intensiv nach einer regulären Beschäftigung. Zum Teil kann eine Hilfstätigkeit im örtlichen Theater attraktiver sein als ein vergleichbar entlohnter Job in der Frittenbude.

Beim solidarischen Grundeinkommen scheint die Eingliederung in den Arbeitsmarkt indes keine große Rolle zu spielen. Denn es geht ja explizit um unbefristete Beschäftigungsangebote. Dies kommt einer Kapitulation gleich: Man will das Arbeitslosenproblem dadurch lösen, dass man die Arbeitslosen in den Staatsdienst übernimmt. Sie werden quasi aus der Statistik wegsubventioniert – weniger nachhaltig geht es kaum. Zweifellos gibt es Personen, deren Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt schwierig erscheint. Doch es führt kein Weg daran vorbei, die individuellen Ursachen zu identifizieren und an deren Beseitigung zu arbeiten – auch wenn dies ein langer und teurer Prozess sein wird.

Erfreulicherweise hat sich die Beschäftigung in den vergangenen Jahren überaus positiv entwickelt. Die Massenarbeitslosigkeit, die noch Mitte des vergangenen Jahrzehnts das größte sozialpolitische Problem in Deutschland war, wurde erfolgreich bekämpft. Für die verbliebenen Herausforderungen – insbesondere die Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen, die Entlastung von Alleinerziehenden und die Integration von Zuwanderern – gibt es kein einfaches Patentrezept, sondern eine Vielzahl differenzierter und teilweise langwieriger Strategien. Mit dem solidarischen Grundeinkommen setzt man stattdessen lieber öffentlichkeitswirksam auf den großen Wurf, auch wenn der voll danebengeht.

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