Interview Lesezeit 6 Min.

„Nur weil man Angst vor einer Infektion hat, kann man nicht zu Hause bleiben“

Während des Shutdowns haben viele Beschäftigte in Deutschland im Homeoffice gearbeitet, nun holen die ersten Betriebe ihre Mitarbeiter zurück in die Büros. Aber geht das so einfach? Welche Rechte und Pflichten Arbeitgeber und Arbeitnehmer rund um die Rückabwicklung des Homeoffices haben, erläutert Kathrin Vossen, Fachanwältin für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Oppenhoff & Partner.

Kernaussagen in Kürze:
  • Viele Mitarbeiter in Deutschland kehren derzeit aus dem Dauer-Homeoffice in die Betriebe zurück. Tatsächlich kann der Arbeitgeber dies im Rahmen seines Direktionsrechts anordnen, sagt Arbeitsrechtlerin Kathrin Vossen.
  • Der Arbeitgeber müsse jedoch dafür sorgen, dass der berufliche Arbeitsplatz die Anforderungen des erforderlichen zusätzlichen Arbeitsschutzes aufgrund des Coronavirus erfüllt.
  • Obwohl Büroarbeit laut Bundesarbeitsministerium nach Möglichkeit im Homeoffice auszuführen ist, ergibt sich laut Vossen daraus keine Verpflichtung des Arbeitgebers, Mitarbeiter weiterhin im Homeoffice zu belassen.
Zur detaillierten Fassung

Viele Arbeitgeber haben ihre Beschäftigten im März ins Homeoffice geschickt, nun sollen sie vielerorts wieder in die Büros zurückkehren. Müssen Angestellte diesem Ruf Folge leisten?

Ja, im Rahmen des Direktionsrechts kann der Arbeitgeber anordnen, dass der Arbeitsort der Mitarbeiter wieder das Büro ist, denn die Situation ist jetzt eine andere als vor zwei Monaten. Voraussetzung ist allerdings, dass es keine Betriebsvereinbarung oder einzelvertragliche Vereinbarung gibt, die den Beginn und die Beendigung des Homeoffice anders regelt.

Welche Bedingungen müssen gegeben sein für eine Rückkehr?

Kathrin Vossen ist Fachanwältin für Arbeitsrecht bei der Kölner Kanzlei Oppenhoff & Partner; Foto: Oppenhoff & Partner Der Arbeitgeber muss dafür sorgen, dass der berufliche Arbeitsplatz die Anforderungen des erforderlichen zusätzlichen Arbeitsschutzes aufgrund des Coronavirus erfüllt. Das Bundesarbeitsministerium hat am 16. April den Sars-Cov2-Arbeitsschutzstandard erlassen, der Mindeststandards für das betriebliche Setting definiert – dazu zählt, dass der Mindestabstand von 1,5 Metern gewahrt werden können muss, dass genügend Seife und Handtücher vorhanden sind, dass Desinfektionsmittel da ist, dass Mund-Nasenschutz zur Verfügung gestellt wird und viele weitere Einzelpunkte. All das muss der Arbeitgeber einhalten, wenn er Beschäftigte in den Betrieb zurückbeordert. Sind diese Mindeststandards nicht erfüllt, könnte der Arbeitnehmer je nach den Umständen im Einzelfall auch die Rückkehr verweigern.

Wer kontrolliert denn, ob die neuen Arbeitsschutzstandards in den Unternehmen eingehalten werden?

Die Gesundheitsämter und die Arbeitsschutzbehörden haben gerade wahrscheinlich keine Kapazitäten dafür. Es ist wie immer: Es ist grundsätzlich Aufgabe des Arbeitgebers, Arbeitsschutzvorschriften – auch jenseits der Corona-Pandemie – zu befolgen und einzuhalten.

Müssen Mitarbeiter, die zur Risikogruppe zählen, ebenfalls zurück ins Büro? Oder dürfen sie weiterhin von zu Hause aus arbeiten?

Das kann man nicht pauschal beantworten. Nur weil man Angst vor einer Infektion hat, kann man sich einer rechtmäßigen Anordnung, wieder ins Büro zurückzukehren, nicht widersetzen. Und es reicht auch nicht, sich selbst zur Risikogruppe zu zählen. Wenn ein Arbeitnehmer aufgrund seines Gesundheitszustands weiter im Homeoffice arbeiten möchte, muss er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen, die ihn als Risikopatienten ausweist. Und dann kommt es darauf an, wie der Arbeitsplatz im Büro aussieht: Wenn jemand ein 20 Quadratmeter großes Einzelbüro hat, kann er vielleicht auch als Risikopatient wieder im Betrieb seiner Arbeit nachgehen. Das ist tatsächlich von Fall zu Fall unterschiedlich und könnte sicherlich gut in Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Betriebsarzt, der ja auch die räumlichen Gegebenheiten vor Ort kennt, geklärt werden.

Es ist grundsätzlich Aufgabe des Arbeitgebers, Arbeitsschutzvorschriften – auch jenseits der Corona-Pandemie – zu befolgen und einzuhalten.

Und was ist mit Eltern, die zu Hause weiterhin Kinder betreuen müssen?

Wenn der Arbeitnehmer keine andere Betreuungsmöglichkeit für seine betreuungspflichtigen Kinder hat, dann muss das der Arbeitgeber bei der Anweisung, seine Beschäftigten zurück ins Büro zu beordern, berücksichtigen. Auch hier ist jeder Fall einzeln zu betrachten. Inzwischen haben ja mehr Berufsgruppen die Möglichkeit, ihre Kinder in die Notbetreuung zu schicken. Wenn die Kinder etwa an einem Tag in der Woche in die Kita oder in die Schule können, dann können Eltern an diesem einen Tag durchaus auch ins Büro gehen.

In den Anweisungen des Bundesarbeitsministeriums steht, dass Büroarbeit nach Möglichkeit im Homeoffice auszuführen sei. Können sich Arbeitnehmer darauf berufen, wenn sie nicht ins Büro zurück möchten?

Nein, aus dem Arbeitsschutzstandard vom 16. April 2020 ergibt sich keine Verpflichtung des Arbeitgebers, Mitarbeiter weiterhin im Homeoffice zu belassen. Je besser der Arbeitgeber die Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln im Betrieb sicherstellen kann, desto geringer dürfte das berechtigte Interesse des Mitarbeiters am Homeoffice als Schutz vor Ansteckung zu bewerten sein.Hinzu kommt, dass durch die schrittweisen Lockerungen in fast allen anderen Bereichen des öffentlichen Lebens – also die Öffnung nahezu aller Geschäfte und Dienstleister, der Sportanlagen, der Spielplätze – das Argument, einer Ansteckungsgefahr könne man nur durch die Arbeit im Homeoffice ausweichen, an Kraft verliert. Dies gilt zumindest für die Arbeitnehmer, die wieder einkaufen, zum Friseur oder ins Fitnessstudio gehen.

Welche Konsequenzen drohen Arbeitnehmern, die sich nicht an Schutzmaßnahmen im Unternehmen halten?

Wenn der Arbeitgeber alles ordnungsgemäß anweist und sich einzelne Arbeitnehmer nicht daran halten, verstoßen sie gegen ihre arbeitsvertragliche Pflicht und das kann zu einer Abmahnung und weiteren Sanktionen bis hin zur Kündigung führen. Man startet sicherlich nicht mit einer Abmahnung, sondern mit einem Gespräch, einer Ermahnung und dann steigert sich das, abhängig auch von der Schwere des Verstoßes.

Wer haftet eigentlich, wenn man sich im Betrieb mit dem Coronavirus infiziert?

Es ist in der Praxis kaum nachzuweisen, dass sich jemand am Arbeitsplatz angesteckt hat. In der Regel ist das eine Mutmaßung, die sich nicht beweisen lässt. Relevant wird das für den Arbeitgeber nur dann, wenn sich ein Arbeitnehmer tatsächlich aufgrund mangelhafter Hygienestandards oder Mindestschutzmaßnahmen ansteckt. In der Praxis wüsste ich allerdings nicht, wie so etwas nachweisbar sein soll.

Aus dem Arbeitsschutzstandard vom 16. April 2020 ergibt sich keine Verpflichtung des Arbeitgebers, Mitarbeiter weiterhin im Homeoffice zu belassen.

Auf Baustellen ist so etwas doch ganz leicht möglich. Dort gab es erstens keinen Shutdown und zweitens wurden und werden dort auch keine Abstandsregeln eingehalten.

Absolut richtig, doch wenn es um Haftungsfragen geht, dann muss eine Kausalitätskette detailliert nachweisbar sein. Es mag eine große Wahrscheinlichkeit geben, dass sich der Arbeiter auf einer Baustelle infiziert hat, aber er kann sich auch genauso gut auf dem Weg zur Baustelle angesteckt haben oder beim Essen oder Einkaufen oder beim Treffen mit Anderen. Nach meinem Dafürhalten ist also ein Nachweis, dass man sich am Arbeitsplatz angesteckt hat, außerordentlich schwer.

Wie sehen denn die allgemeingültigen Regeln aus für Betriebe, die einen Corona-Fall haben? Muss dann der ganze Betrieb geschlossen werden?

Jeder Arbeitnehmer ist verpflichtet, sich gegenüber dem Arbeitgeber zu offenbaren, wenn er an Covid-19 erkrankt ist. Das galt auch schon vorher für alle hochansteckenden Krankheiten. Doch auch der Arbeitgeber ist verpflichtet, ein Verfahren zur Klärung von Verdachtsfällen einzuleiten, also Regeln dafür zu entwickeln, was passiert, wenn sich jemand aus der Belegschaft infiziert hat oder infiziert haben könnte. Der Arbeitgeber muss Verdachtsfälle, also erkrankte Mitarbeiter mit Symptomen, auf jeden Fall nach Hause schicken und sie bitten, das abzuklären. Solange sie nicht arbeitsunfähig sind, wäre das eine bezahlte Freistellung. Ist ein Arbeitnehmer jedoch nicht arbeitsfähig, bekommt er Entgeltfortzahlung.

Und was passiert, wenn aus dem Verdachtsfall ein bestätigter Fall wird?

Covid-19 ist eine meldepflichtige Erkrankung. Auch wenn die Meldepflicht nicht den Arbeitgeber trifft, sondern den feststellenden Arzt, sollte der Arbeitgeber das Gesundheitsamt einschalten. Der Arbeitgeber wird dann zusammen mit dem Gesundheitsamt eruieren, mit wem und mit wie vielen Kollegen der Erkrankte Kontakt hatte. Ob es dann ausreicht, dass nur der Infizierte in Quarantäne geht oder gar die gesamte Belegschaft, entscheidet je nach Einzelfall das Gesundheitsamt.

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