„Momentan ist die Pflegebranche der Buhmann“
Deutschland wird immer älter, die Pflegekosten steigen – und damit die Eigenanteile, die Versicherte tragen müssen. Der iwd sprach mit Susanna Kochskämper, Pflegeexpertin im IW, über ihren Reformvorschlag für die Pflegeversicherung und über das problematische Verhältnis der Politik zum Thema.
- IW-Pflegeexpertin Susanna Kochskämper sieht in der Politik momentan keine Patentlösung, um die steigenden Pflegekosten für Pflegebedürftige nachhaltig zu begrenzen.
- Eine kapitalgedeckte Eigenanteilsversicherung als Ergänzung zur gesetzlichen Pflegeversicherung könnte das Kostenproblem lösen helfen.
- Mit der neuen zweiten Versicherungssäule würde es möglich, vom Umlageverfahren wegzukommen, das zwangsläufig die jüngeren Generationen stärker belastet.
Bereits im vergangenen Jahr benannten Sie in einer intensiv diskutierten Studie die Herausforderungen für den Pflegesektor. Hat sich seither etwas verbessert?
Die Politik zeigt viel Aktionismus. Aber es ist fraglich, ob der zum Ziel führt. Denn Personalquoten, flächendeckende Lohnvorgaben und jede Menge andere Regulierungen schrecken potenzielle Investoren eher ab.
Sie zeigen in Ihrer jüngsten Studie, wie unterschiedlich hoch die Eigenanteile in der Pflege in den Bundesländern sind. Wie lässt sich diese große Differenz erklären?
Da gibt es nicht nur einen Grund. Die Unterschiede liegen zum Teil in unserer föderalen Struktur: Jedes Bundesland hat eigene gesetzliche Vorgaben, wie zum Beispiel eigene Personalschlüssel. Ein weiterer Aspekt ist die Anbieterstruktur. Gibt es beispielsweise besonders viele kirchliche Träger, die ihre Mitarbeiter tendenziell besser bezahlen? Hinzu kommt, dass der Fachkräftemangel in besonders betroffenen Regionen zu höheren Löhnen und Kosten führt.
Uns schwebt eine kapitalgedeckte Eigenanteilsversicherung vor. Nur so kämen wir weg vom Umlageverfahren, das zwangsläufig die jüngeren Generationen stärker belastet, weil sie immer mehr Pflegebedürftige mitfinanzieren.
Stichwort Kosten: Gerade in der Pflege lassen sich die doch eigentlich weit im Voraus planen. Dennoch ist die aktuelle Situation so verfahren. Warum?
Das Primat der Politik war von Anfang an, dass die Kosten der Versicherung nicht zu hoch ausfallen dürfen. Deshalb hat man den gesetzlichen Anteil nominal konstant gehalten, was die Leistungen der Versicherung real entwertet hat. Seit 2017 ist die Politik zwar verpflichtet, die Kostenentwicklung alle drei Jahre zu überprüfen. Doch es ist keinesfalls sicher, dass die Leistungen danach entsprechend steigen – denn das müsste dann über einen höheren Beitragssatz refinanziert werden.
Sie machen einen konkreten Reformvorschlag für die Pflegeversicherung. Was wäre dessen Vorteil gegenüber anderen Reformkonzepten?
Uns schwebt eine kapitalgedeckte Eigenanteilsversicherung als Ergänzung zur gesetzlichen Pflegeversicherung vor. Nur so kämen wir weg vom Umlageverfahren, das zwangsläufig die jüngeren Generationen stärker belastet, weil sie immer mehr Pflegebedürftige mitfinanzieren. Auch andere Reformvorschläge würden vor allem die Jungen belasten – vielleicht nicht über höhere Beiträge, aber dann über nötige Steuerzuschüsse.
Ein anderes Problem der Pflegeversicherung: In Zeiten des Fachkräftemangels kann man gute Pflegekräfte wahrscheinlich nur bekommen, wenn man ihnen mehr zahlt.
Natürlich ist eine markt- und leistungsgerechte Bezahlung wichtig. Aber es gibt jede Menge andere Stellschrauben. Momentan ist die Pflegebranche ja gern der Buhmann, doch oft sind ihr die Hände gebunden – beispielsweise durch zu starre Personalquoten. Denn wenn es einfach nicht genug Fachkräfte gibt, muss es möglich sein, andere Wege zu gehen – zum Beispiel, indem eine Fachkraft eine Hilfskraft anleitet.
Ein anderer Aspekt: Es sollte rechtssicher und einheitlich geklärt werden, welche Hilfsmittel eingesetzt werden dürfen. Ein Hebegerät beispielsweise kann den Personalbedarf für einige Aufgaben sofort halbieren.