Der Informationsdienst
des Instituts der deutschen Wirtschaft

Der Informationsdienst
des Instituts der deutschen Wirtschaft

Tarifpolitik Lesezeit 4 Min.

Moderne Tarifverträge in der M+E-Industrie

Um in schwierigen Zeiten investieren zu können und Arbeitsplätze zu sichern, dürfen Unternehmen der Metall- und Elektro-Industrie über Ergänzungstarifverträge von den Regelungen des jeweils gültigen Flächentarifs abweichen. Eine neue IW-Studie zeigt, dass Unternehmen und Gewerkschaften diese Verträge recht gut an die spezifischen Bedürfnisse der einzelnen Unternehmen anpassen können. Es gibt aber auch Hürden.

Kernaussagen in Kürze:
  • Seit 2004 können die Tarifpartner in der M+E-Industrie Ergänzungstarifverträge abschließen.
  • Diese Abweichungen von den tariflichen Bestimmungen haben sich bewährt.
  • Die meisten Ergänzungstarifverträge betreffen die Arbeitszeit.
Zur detaillierten Fassung

Angesichts der Megatrends Globalisierung, Digitalisierung, Dekarbonisierung, Strukturwandel und Demografie stehen die Unternehmen der Metall- und Elektro-Industrie (M+E-Industrie) vor großen Umbrüchen. Um innovationsfähig zu bleiben und flexibel auf die neuen Anforderungen reagieren zu können, müssen Löhne und andere Arbeitsbedingungen den jeweiligen Umständen angepasst werden – eine Bedingung, die viele Unternehmen mit den klassischen Flächentarifverträgen nicht mehr erfüllt sehen.

Tatsächlich aber bieten die Tarifverträge durchaus die Möglichkeit, betriebliche Abweichungen zu vereinbaren und so auf spezifische Bedürfnisse zu reagieren. Des Rätsels Lösung hört auf den Namen „Pforzheimer Abkommen“. Dieser 2004 geschlossene Pakt zwischen den Tarifpartnern der M+E-Industrie erlaubt den Abschluss von Ergänzungstarifverträgen, die auf betrieblicher Ebene von den tariflichen Bestimmungen abweichen.

Im Unterschied zu Öffnungsklauseln, die bereits im Tarifvertrag definiert sind und der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen, werden Ergänzungstarifverträge mit der Gewerkschaft ausgehandelt.

Ergänzungstarifverträge sind ein flexibles und vielseitig einsetzbares Instrument, um Krisen zu überwinden oder Investitionen zu ermöglichen.

Das IW hat sich rund 400 Tarifverträge angesehen, die am 31. Mai 2019 gültig waren. Die Stichprobe besteht, soweit zuordenbar, zu 28 Prozent aus Unternehmen mit bis zu 200 Mitarbeitern, 27 Prozent der Betriebe hatten 201 bis 500 Beschäftigte, 16 Prozent 501 bis 999 und 25 Prozent mindestens 1.000. Die Ergebnisse:

Die Inhalte von Ergänzungstarifverträgen. Wenn von den Regelungen im Flächentarifvertrag abgewichen wird, kann das viele Themen betreffen – eines wurde in der Metall- und Elektro-Industrie im Zeitraum 2015 bis 2019 besonders oft angegangen (Grafik):

Rund 60 Prozent der untersuchten Ergänzungstarifverträge enthielten Änderungen der Arbeitszeit.

In so viel Prozent der Ergänzungstarifverträge wurden Änderungen zu folgenden Themen vereinbart Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Dazu gehören Änderungen der Wochenarbeitszeit, der Regeln, um die Wochenarbeitszeit bei bestimmten Beschäftigten oder Beschäftigtengruppen auszuweiten, der Samstagsarbeit oder des Ausgleichszeitraums, innerhalb dessen die vereinbarte Wochenarbeitszeit im Durchschnitt eingehalten werden muss.

In 49 Prozent der Ergänzungstarifverträge wurde mindestens eine Jahressonderzahlung, also das Weihnachtsgeld, oder das 2019 eingeführte tarifliche Zusatzgeld (T-ZUG) angepasst.

Die Entgelte selbst landeten mit 47 Prozent erst auf Platz drei des Rankings. Die Änderungen bezogen sich hier auf tabellenwirksame Tariferhöhungen, Einmalzahlungen, Zuschläge, das Leistungsentgelt oder das Entgeltniveau.

Urlaub und Urlaubsgeld wurden in 29 Prozent der Ergänzungstarifverträge angepackt. Weit abgeschlagen – mit jeweils 7 Prozent – waren die Bereiche Befristung und Altersteilzeit.

Zudem gab es regionale Unterschiede: Während die tariflichen Arbeitszeitregelungen in Ostdeutschland deutlich seltener verändert wurden als in Westdeutschland, war es bei Abweichungen von Entgeltregelungen, Sonderzahlungen und Urlaubsregelungen umgekehrt.

Arbeitszeit. In 44 Prozent der Ergänzungstarifverträge wurde die Wochenarbeitszeit verlängert. Dies kam allerdings in Ostdeutschland (16 Prozent) wesentlich seltener vor als in Westdeutschland (46 Prozent). Nur in 1 Prozent der Fälle wurde die Wochenarbeitszeit verkürzt.

Bei den Ergänzungstarifverträgen, die eine Anpassung der Arbeitszeit vorsahen, wurde diese im Durchschnitt um 2,4 Stunden verlängert. Dabei entfiel der Großteil – 40 Prozent – auf zwei bis drei Stunden. In weiteren 27 Prozent der Fälle passten die Ergänzungstarifverträge die Wochenarbeitszeit um ein bis zwei Stunden nach oben an, um mehr als drei Stunden zusätzlich ging es in 17 Prozent der Verträge. Der Rest entfiel auf Verlängerungen um weniger als eine Stunde.

Entgelte. Bei den entgeltbezogenen Regelungen gibt es zahlreiche Möglichkeiten, mit Ergänzungstarifverträgen Kosteneinsparungen gegenüber dem Flächentarif zu erzielen (Grafik):

Am häufigsten wurde im Zeitraum 2015 bis 2019 die Jahressonderzahlung 2019 modifiziert, gefolgt vom Urlaubsgeld 2019 und der Jahressonderzahlung 2018.

In so viel Prozent der Ergänzungstarifverträge wurden Regelungen zu folgenden Themen getroffen Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

In der Mehrzahl der Fälle wurden die Sonderzahlungen entweder gekürzt oder ganz gestrichen.

Laufzeiten und Arbeitgeberzusagen. Rund 10 Prozent der untersuchten Ergänzungstarifverträge hatten eine sehr kurze Laufzeit von bis zu einem Jahr, jeder vierte Vertrag lief dagegen länger als fünf Jahre. In 15 Prozent der Fälle wurde sogar eine unbefristete Laufzeit vereinbart. Das zeigt:

Ergänzungstarifverträge können sowohl eine Umbruch- oder Krisenzeit überbrücken als auch eine längerfristige Lösung darstellen.

Zudem enthalten die Anpassungsverträge nicht nur Regelungen, die den Betrieben Kostenentlastungen und mehr Flexibilität einräumen – oft verpflichten sie die Arbeitgeber auch, bestimmte Zusagen gegenüber ihrer Belegschaft zu machen. So fanden sich in 63 Prozent der analysierten Verträge Beschäftigungszusagen in verschiedenen Formen, zum Beispiel der Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen. In weiteren 31 Prozent der Fälle ging es um konkrete Zusagen von Investitionen.

Alles in allem sind Ergänzungstarifverträge ein flexibles und vielseitig einsetzbares Instrument, um Krisen zu überwinden oder Investitionen zu ermöglichen.

Es gibt allerdings auch Haken: Während große Unternehmen solche Verträge relativ leicht umsetzen können, stellen der mit ihnen verbundene bürokratische Aufwand, der Verhandlungsaufwand sowie die zu treffenden Arbeitgeberzusagen insbesondere kleinere Betriebe vor Probleme.

Das könnte Sie auch interessieren

Meistgelesene