Mehr Zugänge zum Medizinstudium
Bei der Zulassung zum Medizinstudium darf an deutschen Universitäten nicht mehr allein die Abiturnote entscheiden. Künftig ist mindestens ein weiteres, nicht notenbasiertes Kriterium nötig. Hochschulen, die bereits Auswahlgespräche mit ihren Studenten führen oder deren Berufserfahrung berücksichtigen, haben gute Erfahrungen damit gemacht: Beispielsweise sinkt die Abbrecherquote.
- Das Bundesverfassungsgericht hat die Studienplatzvergabe im Fach Humanmedizin allein nach der Abiturnote im Dezember 2017 gekippt. Das Urteil wird sich wohl auch auf andere Fächer auswirken.
- Fortan muss neben der Note mindestens ein weiteres „nicht schulnotenbasiertes“ Kriterium in die Vergabe einfließen. Das können praktische oder sozial-kommunikative Fähigkeiten sowie medizinische Qualifikationen sein.
- Drei Bundesländer nutzen derzeit Eignungsfeststellungsverfahren für einige Fächer. An der TU München sind die Abbrecherquoten in Fächern mit Auswahlverfahren deutlich niedriger als im Bundesdurchschnitt.
1,0 – dieser Abidurchschnitt ist in 14 Bundesländern nötig, um eine Chance auf einen Studienplatz für Medizin zu haben. Die Betonung liegt auf „Chance“. Denn selbst mit diesem optimalen Notendurchschnitt landen Interessierte nur in der Kategorie „Abiturbestenquote“, über die lediglich 20 Prozent der Studienplätze für Medizin vergeben werden. Der Rest muss bis zu 14 Semester warten oder ein von der Hochschule festgelegtes Auswahlverfahren durchlaufen, in dem die Abinote ebenfalls häufig zu den Hauptkriterien zählt.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Studienplatzvergabe allein nach der Abiturnote im Dezember 2017 allerdings gekippt – zwar nur für das Fach Humanmedizin, doch Auswirkungen wird das Urteil wohl auf alle anderen Numerus-clausus-Studiengänge haben. Davon gibt es bundesweit eine ganze Menge (Grafik):
Von den mehr als 10.000 Studiengängen in Deutschland sind über 4.200 mit einem Numerus clausus belegt.
Bei den meisten handelt es sich um örtliche Beschränkungen, bundesweit zulassungsbeschränkt sind nur 91 Studienfächer, darunter Medizin und Pharmazie. Für alle anderen 4.120 Studiengänge gilt, dass das gleiche Fach an einer anderen Hochschule durchaus zulassungsfrei studiert werden kann.
Im Studienfach Medizin kommen in Deutschland derzeit auf einen Studienplatz fünf Bewerber.
Neu ist der Run auf das Fach allerdings keineswegs: Einen Numerus clausus gibt es in Medizin bereits seit 1968. Der soll laut Bundesverfassungsgericht auch gar nicht abgeschafft werden, sondern lediglich ergänzt – denn Kandidaten, die nur aufgrund ihrer sehr guten Noten zugelassen werden, müssen ja nicht zwangsläufig die für den Arztberuf geeignetsten sein. Deshalb sei mindestens ein weiteres „nicht schulnotenbasiertes“ Kriterium erforderlich, urteilten die Verfassungsrichter. Das können praktische oder sozial-kommunikative Fähigkeiten sowie medizinische Qualifikationen sein.
Neben der Abiturnote muss künftig mindestens ein weiteres „nicht schulnotenbasiertes“ Kriterium in die Studienplatzvergabe im Fach Humanmedizin einfließen.
Manche Hochschulen kommen diesen Anforderungen schon heute nach, die Universität Lübeck beispielsweise. Sie berücksichtigt im Zulassungsverfahren für das Studienfach Medizin zusätzlich zur Abinote die Ergebnisse des Tests für Medizinische Studiengänge sowie berufliche Vorerfahrungen, außerdem führt die Lübecker Uni Auswahlgespräche.
Mit dem Test für Medizinische Studiengänge, der bundesweit für jeden zugänglich ist, hat man gute Erfahrungen gemacht. Er überprüft, unabhängig vom Schulwissen, das Verständnis für naturwissenschaftliche und medizinische Problemstellungen sowie für den Arztberuf relevante Fähigkeiten – beispielsweise die Genauigkeit der visuellen Wahrnehmung. Bewerber mit weniger guten Abinoten, aber guten Testergebnissen, erwiesen sich im Studium als gleichermaßen erfolgreich.
Hochschulen nutzen Eignungsfeststellungsverfahren
Während im Numerus-clausus-Fach Medizin und künftig womöglich auch in Studiengängen mit örtlichem NC das Abitur als alleinige Zugangsvoraussetzung nicht mehr ausreichen soll, müssen die Hochschulen in den zulassungsfreien Studiengängen aus rechtlichen Gründen meist jeden Bewerber mit einer Hochschulzugangsberechtigung akzeptieren.
Es geht allerdings auch anders: Momentan ist es in drei Bundesländern möglich, dass Unis und Fachhochschulen sogenannte Eignungsfeststellungsverfahren nutzen. Sie müssen allerdings begründen, warum das notwendig ist. Die TU München macht das bereits: In 20 Bachelorstudiengängen verlangt sie von Bewerbern neben dem Reifezeugnis ein Motivationsschreiben. Erfasst werden außerdem nicht nur die Abiturnote, sondern auch die Einzelnoten bestimmter Schulfächer. Eine Einladung zum Auswahlgespräch erhalten Kandidaten, die eine Mindestpunktzahl anhand der genannten Kriterien erzielen konnten. Bewerber mit Berufsausbildung, aber ohne ausreichende Punktzahl, werden ebenfalls eingeladen. Der Aufwand lohnt sich (Grafik):
Die Abbruchquoten an der TU München sind in den Fächern, in denen das Auswahlverfahren angewandt wird, zum Teil nur halb so hoch wie im Bundesdurchschnitt.
Die positiven Erfahrungen damit, zusätzliche Kriterien zu berücksichtigen, sprechen dafür, das Verfassungsgerichtsurteil zum Anlass für eine Ausweitung der Zulassungspraxis zu nehmen. Hochschulen sollten das Recht haben, neben den Abiturleistungen auch berufsrelevante Kriterien zu überprüfen.
Wer bekommt künftig einen Studienplatz?
Auch im neuen Auswahlverfahren für die Vergabe von Medizinstudienplätzen, das bis Ende 2019 stehen muss, soll es nach dem Willen der Kultusministerkonferenz weiterhin für einen Teil der Plätze eine Abiturbestenquote geben. Dabei hatte das Verfassungsgericht die Aussagekraft des Abiturs als alleiniges Kriterium in Zweifel gezogen.
Abgeschafft werden soll dagegen die Wartezeitquote – stattdessen ist eine noch nicht näher definierte Talentquote geplant.
Statt Studienplätze über unterschiedliche Quoten zu vergeben, wäre es allerdings besser, von Anfang an bei allen Bewerbern mehrere Kriterien zu berücksichtigen. In Anlehnung an einen Vorschlag des Medizinischen Fakultätentags und der Bundesvereinigung der Medizinstudierenden könnte ein Punktesystem mit maximal 100 Punkten etabliert werden, das drei Kriterien erfasst:
- Maximal 40 Punkte werden mithilfe der Abiturdurchschnittsnote vergeben.
- Ebenfalls bis zu 40 Punkte können über die Ergebnisse des Tests für Medizinische Studiengänge erworben werden.
- Bis zu 20 Punkte erhalten Bewerber für berufliche Erfahrungen.
Die daraus resultierende Bewerber-Rangliste wird folgendermaßen bedient: Die besten 20 Prozent der Studienplatzbewerber erhalten sofort einen Studienplatz. Alle übrigen Bewerber können sich für Auswahlverfahren an mehreren Hochschulen bewerben. Die bislang nach Wartezeitquote vergebenen Studienplätze werden diesen Auswahlverfahren zugeschlagen. Die Hochschulen selbst sollten künftig eine Vorauswahl der Bewerber nach Rangliste treffen können. Voraussetzung ist allerdings, dass der Datenabgleich zwischen den Hochschulen und der Stiftung für Hochschulzulassung funktioniert.
Probleme bei der Programmierung der entsprechenden Software durch die Stiftung für Hochschulzulassung führen aktuell jedoch dazu, dass ab dem Sommersemester 2020 nur eine technisch reduzierte Übergangslösung zur Verfügung stehen wird. Auswahlgespräche werden während einer Übergangsfrist von einem Jahr dann nicht durchgeführt werden können, weil der Datenaustausch zwischen den Hochschulen und der Stiftung für Hochschulzulassung nur eingeschränkt möglich sein wird – zum Nachteil der Studenten und der involvierten Hochschullehrer.