Mehr Pendler, längere Pendelzeiten
In Deutschland ziehen immer mehr Menschen in kleinere Städte oder ländliche Gemeinden. Kein Wunder: Wer regelmäßig Homeoffice machen kann, nimmt dafür auf seinen selteneren Wegen zur Arbeitsstätte auch längere Pendelzeiten in Kauf.
- Im Jahr 2021 pendelten in Deutschland 19,6 Millionen Beschäftigte. Im Schnitt legte jeder Pendler 16,9 Kilometer Wegstrecke zurück, um seinen Arbeitsplatz zu erreichen.
- Seit einigen Jahren ziehen immer mehr Menschen in kleinere Städte oder ländliche Gemeinden. Die Städte wachsen zwar auch noch, aber längst nicht so dynamisch wie Landgemeinden.
- Begünstigt wird diese Entwicklung auch von der Digitalisierung und der sich verändernden Arbeitswelt – Stichwort Homeoffice.
16,9 Kilometer – so viel Wegstrecke legten Pendler im Jahr 2021 im Schnitt zurück, um ihren Arbeitsplatz zu erreichen. Und es werden immer mehr, die zum Arbeiten ihre Wohngemeinde verlassen:
Im Jahr 2016 pendelten in Deutschland 18,4 Millionen Beschäftigte, 2021 waren es bereits 19,6 Millionen.
Das entspricht annähernd 60 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Mittlerweile dürften es – dank stärker verbreitetem Homeoffice – noch ein paar mehr sein, das Statistische Bundesamt legt die nächsten Daten zum Pendlerverhalten allerdings erst 2024 vor.
Seit 2018 entscheiden sich nicht nur mehr Menschen für ein Leben auf dem Land als zehn Jahre zuvor, sondern es ziehen inzwischen auch mehr Menschen in ländliche Regionen als von dort weg.
Immer mehr Pendler nehmen zudem weite Wege in Kauf. Im Jahr 2016 zählten 3,3 Millionen Menschen in Deutschland zu den Fernpendlern, die für den einfachen Arbeitsweg mehr als 50 Kilometer zurücklegen. Im Jahr 2021 waren es bereits 3,6 Millionen Beschäftigte, die sich auf eine kleine Reise zur Arbeitsstätte begaben. Infrage kommen dürfte eine solch große Distanz zwischen Wohn- und Arbeitsort am ehesten für all jene, die nicht täglich im Kindergarten, am Band oder in der Praxis parat stehen müssen.
Die Lust aufs Land bahnt sich schon seit ein paar Jahren an. So zeigen die Wanderungsstatistiken von Bund und Ländern, dass sich seit 2018 nicht nur mehr Menschen für ein Leben auf dem Land entscheiden als zehn Jahre zuvor, sondern auch, dass inzwischen mehr Menschen in ländliche Regionen ziehen als von dort weg (Grafik):
Die Landgemeinden konnten zwischen 2018 und 2020 jährliche Wanderungsgewinne von durchschnittlich 4,2 Personen je 1.000 Bewohner verzeichnen, die Großstädte kamen dagegen nur noch auf ein Plus von 2,5 Personen.
Anders als zehn Jahr zuvor (2008 bis 2010) zeigt sich das Wanderungsgeschehen insgesamt ausgeglichener. Dass zuletzt alle Städte jeglicher Größenordnung sowie die Landgemeinden im Schnitt Einwohner durch Zuzüge gewinnen konnten, liegt daran, dass zwischen 2018 und 2020 jahresdurchschnittlich mit 316.000 rund 16-mal so viele Menschen aus anderen Ländern nach Deutschland zugewandert sind wie ein Jahrzehnt zuvor.
Städte ziehen vor allem junge Leute und Berufseinsteiger an
Auch die Großstädte wachsen also oft noch weiter, aber weniger schnell als noch zwischen 2008 und 2010. Vor allem für Ausländer und junge Menschen, die ein Studium, eine Ausbildung oder bereits die ersten Berufsjahre absolvieren, sind die großen Städte nach wie vor attraktiv.
Familien dagegen kehren den Großstädten zunehmend den Rücken. Die 30- bis 50-Jährigen mit minderjährigen Kindern wünschen sich häufig mehr Wohnraum: für jedes Kind ein eigenes Zimmer und für sich selbst ein separates Arbeitszimmer. Viele Großstadtfamilien hätten auch gern einen Balkon oder Garten. Bis etwa 2010 war es Familien oft noch finanziell möglich, eine solche Wohnung oder ein Haus innerhalb einer Großstadt zu finden. Doch die Immobilienpreise sind seitdem überproportional gestiegen, bezahlbarer Wohnraum in den Ballungsräumen ist rar. Kein Wunder also, dass München als der teuerste Immobilienstandort Deutschlands auch Pendlerhochburg ist (Grafik):
Mit knapp 400.000 führt die bayerische Landeshauptstadt die Liste der deutschen Großstädte mit den meisten Einpendlern an.
Nicht nur in München fällt es vielen Familien mit Kindern schwer, eine attraktive und bezahlbare Wohnung zu finden. Im Grunde gilt dies für alle deutschen Großstädte. Und wer den Kauf eines Einfamilienhauses erwägt, landet angesichts der Immobilienpreise ganz schnell im Umland oder noch weiter draußen.
Allein im Jahr 2021 verzeichnete der ländliche Raum einen Wanderungsgewinn von rund 113.000 Familien, in den Umlandgemeinden der Großstädte waren es immerhin 63.000 Familien.
Begünstigt werden diese Entscheidungen sicherlich auch von der Digitalisierung und der sich verändernden Arbeitswelt: Da immer mehr Jobs zumindest tageweise im Homeoffice erledigt werden können, ziehen auch mehr Erwerbstätige längere Pendeldistanzen in Betracht und nutzen die Chance, trotz Job in der Stadt eine bezahlbare Wunschimmobilie in einer ländlichen Gemeinde zu beziehen. Unabdingbar dafür ist allerdings eine leistungsfähige Internetverbindung, die nicht nur das Remote-Arbeiten, sondern auch die Teilhabe an anderen gesellschaftlichen Bereichen ermöglicht – sei es der Online-Sprachkurs oder die digitale Sprechstunde mit dem Hausarzt.
Nachteil des Landbooms: mehr versiegelte Flächen
Falls sich die Landlust verstetigt, hätte dies aber auch negative Effekte: Weil im Umland weniger dicht und hoch gebaut wird, werden mehr Flächen versiegelt. Und da der Wohnungsbau außerhalb der Städte oft aus kleineren Baugebieten besteht, die häufig schlecht an den öffentlichen Nahverkehr angebunden sind, steigt der Bestand an privaten Pkw – und im ungünstigsten Fall auch der Pendelverkehr.