Interview Lesezeit 3 Min.

„Knapp zehn Millionen Arbeitnehmer profitieren von 12 Euro Mindestlohn“

Kommt die Erhöhung des Mindestlohns schon im Jahr 2022 oder erst 2023? Und was bedeutet die Anhebung für Einkommensbezieher, die knapp über 12 Euro die Stunde verdienen? Christoph Schröder, Tarifexperte im Institut der deutschen Wirtschaft, gibt Antworten.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro könnte laut Christoph Schröder, Tarifexperte im IW, frühestens am 1. Juli 2022, vielleicht aber auch erst am 1. Januar 2023 erfolgen.
  • Laut Schröder profitieren von der Erhöhung knapp zehn Millionen Arbeitnehmer.
  • Doch auch diejenigen, die jetzt schon etwas mehr als 12 Euro verdienen, dürfen mit einem Gehaltsplus rechnen, denn die Lohnverteilung müsse innerhalb der niedrigeren Einkommen nach der Aufstockung des Mindestlohns ein wenig aufgefächert werden.
Zur detaillierten Fassung

Die neue Bundesregierung hat beschlossen, den Mindestlohn auf 12 Euro anzuheben. Wann kommt denn die Erhöhung?

Das ist noch nicht ganz klar. Der frühestmögliche Zeitpunkt wäre der 1. Juli 2022. Das ist das Datum, an dem eigentlich die Mindestlohnerhöhung auf 10,45 Euro vorgesehen ist, die die Mindestlohnkommission schon beschlossen hat. Damit würde sozusagen die ursprüngliche Erhöhung überschrieben und wir würden direkt auf 12 Euro springen.

Der frühestmögliche Zeitpunkt für die Erhöhung des Mindestlohn wäre der 1. Juli 2022. Das ist das Datum, an dem eigentlich die Mindestlohnerhöhung auf 10,45 Euro vorgesehen ist, die die Mindestlohnkommission schon beschlossen hat

Ganz von heute auf morgen geht es auch deshalb nicht, weil das Mindestlohngesetz neu gefasst werden muss für diesen einmaligen Eingriff der Politik. Möglicherweise wartet man aber auch bis Ende des kommenden Jahres und erhöht dann zum 1. Januar 2023. Damit würde man die Mindestlohnkommission nicht so sehr vor den Kopf stoßen, weil man nicht in den laufenden Beschluss eingreifen, sondern die Laufzeit des jetzigen Beschlusses komplett abwarten würde.

Wer bekommt die 12 Euro Mindestlohn?

Den bekommt mit Ausnahme der Azubis jeder berufstätige Erwachsene, der weniger verdient – auch Minijobber, Teilzeitbeschäftigte und natürlich auch alle Vollzeitbeschäftigten. Man rechnet damit, dass knapp zehn Millionen Arbeitnehmer davon betroffen wären. Indirekt werden von der Erhöhung wahrscheinlich auch diejenigen profitieren, die etwas mehr als 12 Euro die Stunde verdienen, weil man die Lohnverteilung innerhalb der niedrigeren Einkommen etwas auffächern muss.

Erhalten auch Praktikanten künftig 12 Euro die Stunde?

Nein, bislang sind Praktikanten vom Mindestlohn ausgeschlossen, wenn das Praktikum nicht länger als drei Monate dauert. Es könnte natürlich sein, dass die neue Bundesregierung die Ausnahmen weiter einschränkt, aber ich gehe davon aus, dass Praktikanten weiterhin außen vor bleiben.

Christoph Schröder ist Tarifexperte im Institut der deutschen Wirtschaft; Foto: IW Medien Was passiert, wenn ein Unternehmen die 12 Euro Mindestlohn nicht zahlt?

Wenn ein Unternehmen die 12 Euro Mindestlohn wirklich nicht zahlen kann, wird es möglicherweise insolvent gehen oder Arbeitnehmer entlassen. Ansonsten kontrolliert der Zoll die Einhaltung des Mindestlohns. Die Frage ist, inwieweit es mit der Erhöhung auf 12 Euro künftig zu verschärften Kontrollen kommt, weil der Mindestlohn damit ja auf ein recht hohes Maß angehoben wird und Unterschreitungen damit wahrscheinlicher werden.

Die Inflationsrate in Deutschland ist mit 4,5 Prozent so hoch wie lange nicht. Möglicherweise sind 12 Euro Mindestlohn Anfang 2023 dann gar nicht mehr ausreichend …

Mit der Inflation ist das eine zweischneidige Sache: Auf der einen Seite machen wir mit der Erhöhung auf 12 Euro einen großen Sprung – nämlich entweder von 9,82 Euro auf 12 Euro oder von 10,45 Euro, die ja für Juli 2022 beschlossen sind, auf 12 Euro. Im letzteren Fall ist das immer noch eine Steigerung von 15 Prozent, das reicht also noch dreimal für einen Inflationsausgleich. Mit der Erhöhung des Mindestlohns kann man die Inflation auch weiter vorantreiben, die Gefahr einer dauerhaften Lohn-Preis-Spirale ist schon da. Auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass mit der Inflation auch Kaufkraft verloren geht. Es macht aber auch keinen Sinn, diejenigen zu überfordern, die den Mindestlohn zahlen müssen. Denn der Preisauftrieb ist ja vor allem ein Resultat gestiegener Rohstoff- und Importpreise.

 

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