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Interview: „Wir wollen selbst gerne mehr auf der Schiene transportieren“

Manuel Kallweit leitet beim Verband der Automobilindustrie (VDA) die Fachabteilung Economic Intelligence & Volkswirtschaft. Im iwd-Interview erklärt er, weshalb er keinen Konflikt zwischen dem öffentlichen Personennahverkehr und der individuellen Mobilität sieht, wieso die Autobranche selbst gern mehr per Schiene transportieren würde und weshalb ein Vergleich deutscher Hersteller mit Tesla oft wenig zielführend ist.

Kernaussagen in Kürze:
  • Der iwd sprach mit Manuel Kallweit, der beim Verband der Automobilindustrie (VDA) die Fachabteilung Economic Intelligence & Volkswirtschaft leitet.
  • Aus seiner Sicht ist die Basis für die Mobilitätswende in Deutschland zwar vorhanden, doch nur mit einem deutlich höheren Umsetzungstempo könnten die Ziele auch erreicht werden.
  • Kallweit betont, dass für die Klimaneutralität im Autobau die komplette Liefer- und Produktionskette auf den Prüfstand müsse – und die Autoindustrie gern mehr per Schiene transportieren wolle.
Zur detaillierten Fassung

Besitzen Sie ein Auto?

Ja. Ich fahre gerne Auto – genauso wie Fahrrad, ins Büro hier in der Berliner Innenstadt fahre ich eigentlich immer mit dem Rad. Also ein Mix aller Verkehrsmittel – je nach Situation und Bedarf.

Ob Berlin, Köln oder Hamburg: Überall wird mehr Raum für Radfahrer und Fußgänger geschaffen. Hat das Auto in der Stadt eine Zukunft?

Natürlich. Es ist ein zentraler Teil des individuellen Mobilitätsbedürfnisses der Bürgerinnen und Bürger. Das kann und darf man nicht ignorieren. Es ist vorteilhaft, wenn verschiedene Transportmittel miteinander konkurrieren, aber kontraproduktiv, wenn man sie gegeneinander ausspielt.

Manuel Kallweit leitet beim Verband der Automobilindustrie (VDA) die Fachabteilung Economic Intelligence & Volkswirtschaft; Foto: VDA

Wir wollen und werden das Bedürfnis nach individueller Mobilität – ob in der Stadt oder auf dem Land – in Zukunft CO2-neutral gestalten. In der Stadt setzen wir dabei vor allem auf digitale Lösungen und vernetzten Verkehr. Hier gibt es erhebliche Potenziale zur CO2-Einsparung.

Deutschlands Verkehrsinfrastruktur ist in einem desolaten Zustand. Was muss aus Ihrer Sicht zuerst angegangen werden?

Bei unserer jüngsten Allensbach-Umfrage sagte die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, dass sie mit der Infrastruktur zufrieden ist. Das hatten wir nicht erwartet. Gleichzeitig variiert das regional sehr – denken wir beispielsweise an die maroden Rheinbrücken.

Es reicht nicht, dass die Politik Ziele vorgibt, auch das Umsetzungstempo muss stimmen.

Aus wirtschaftlicher Perspektive ist die digitale Infrastruktur tatsächlich nicht mehr wettbewerbsfähig. Ich gebe einige Beispiele: Es braucht eine umfassende Ladeinfrastruktur für die E-Mobilität – und das nicht nur für Autos. Elektrische Lkw werden schon produziert, aber damit sie auf den Straßen unterwegs sein können, braucht es die entsprechenden Lademöglichkeiten. So voll, wie die Rastplätze nachts mit Lastern stehen, kann man sich ausmalen, was es für eine Herausforderung ist, wenn die alle ihre Akkus laden wollen. Und um die Potenziale des vernetzten Verkehrs sowie zukünftige Mobilitätsinnovationen zu verwirklichen, brauchen wir überall schnelles Internet.

Generell gilt: Die Basis ist da, aber wir müssen den Turbo einlegen. Es reicht nicht, dass die Politik Ziele vorgibt, auch das Umsetzungstempo muss stimmen. Und wir brauchen ein Monitoring, um rechtzeitig nachbessern zu können.

Und wie stehen Sie zu Investitionen in den ÖPNV?

Wir sind für einen Ausbau des ÖPNV. Zur Ehrlichkeit gehört dazu, dass beispielsweise was die Bahn angeht, Strecken in den letzten Jahrzehnten mehr zurück- als ausgebaut wurden. Generell gibt es hier große Stadt-Land-Unterschiede. Ich komme aus einem kleinen Ort in Thüringen. Da fährt dreimal am Tag ein Bus, das Potenzial ist dort sehr begrenzt. Autonomes Fahren wird in diesen Gebieten in Zukunft eine große Rolle spielen.

Grundsätzlich gibt es keinen Konflikt zwischen dem ÖPNV und individueller Mobilität – sie ergänzen sich. Was die Schiene angeht – die Fahrzeugindustrie ist tatsächlich einer der größten Kunden der Bahn in Deutschland. Die Züge sind ideal, um Fahrzeuge, Batterien und sonstiges Material zu transportieren. Wir würden tatsächlich sogar noch viel mehr Schiene nutzen: Um klimaneutral zu werden, muss uns das für die komplette Liefer- und Produktionskette gelingen. Entsprechend begrüßen wir Maßnahmen, die die Schiene stärken. Aktuell müssen wir teilweise zurück auf die Straße verlagern, weil die Bahn selbst versprochene Kapazitäten nicht einhalten kann.

Mit Mühe wurde das 49-Euro-Ticket eingeführt. Einige fordern, das Dienstwagenprivileg – das den Staat deutlich mehr kostet – abzuschaffen, um dieses Geld lieber in das Ticket zu investieren …

Das ist kein Privileg, sondern eine Steuerpauschale auf Dienstwagen, um es Arbeitgebern und Finanzämtern einfacher zu machen. Ohne die Pauschale müsste alles per Fahrtenbuch dokumentiert werden. Ich frage mich, wem diese Bürokratie helfen würde. Übrigens wird die Dienstwagenbesteuerung am häufigsten von Pflegediensten in Anspruch genommen.

Wir haben beim Deutschlandticket ein viel grundlegenderes Thema: den Stadt-Land-Konflikt. In den Metropolregionen ist so ein Ticket sehr hilfreich, auf dem Dorf bringt es im Alltag fast nichts.

Themenwechsel: Die internationale Konkurrenz in der Autoindustrie rüstet auf. Hat die Branche in Deutschland einige Entwicklungen verschlafen, zum Beispiel bei der E-Mobilität?

Natürlich habe ich mir diese Frage auch gestellt und komme bei meiner Analyse zu einer klaren Antwort: nein. Die IAA MOBILITY hat gerade erst wieder gezeigt, wie innovativ und führend unsere Industrie ist. 30 Prozent der von deutschen Herstellern gebauten Fahrzeuge sind aktuell E-Fahrzeuge. In China ist der Anteil ebenfalls relativ hoch, aber bei den anderen klassischen Autonationen – USA, Japan oder Frankreich – viel niedriger. Die deutschen Hersteller haben da den Hebel längst umgelegt. Und unsere Investitionen werden den Prozess weiter beschleunigen. Im Bereich der Kreislaufwirtschaft sind wir übrigens führend – was nachhaltige Produktion angeht, macht uns keiner was vor.

Unsere Autobauer meistern gerade eine riesige Transformation. Andere Hersteller fangen hingegen als Neueinsteiger auf der grünen Wiese an.

Bei Vergleichen mit anderen Herstellern, ob Tesla oder chinesische Wettbewerber, muss auch berücksichtigt werden: Unsere Autobauer meistern gerade eine riesige Transformation, während Neueinsteiger oft auf der grünen Wiese anfangen.

Weil Sie gerade Tesla ansprechen: Aus der (Auto-)Industrie hört man immer wieder, dass der Standort Deutschland zu teuer sei. Wie passt das mit den Ansiedlungen von Tesla, Intel und TSMC zusammen?

Tesla ist wegen der deutschen Autoindustrie, insbesondere dem weltweit führenden Netz an Zulieferern, hergekommen. Wir haben hier passende Netzwerke und sehr gut ausgebildete Fachkräfte. Ein Beispiel sind renommierte Gießereien, die für Tesla neue Lösungen gefunden haben. Diese Industrielandschaft ist weltweit einmalig und es gilt, sie zu bewahren und zu fördern.

Bei den Chipfabriken darf man nicht vergessen, dass Deutschland dafür sehr viel Geld in Form von Subventionen gezahlt hat. In diesem Fall begrüßen wir das: Mit Blick auf unsere gemeinsamen Ziele hinsichtlich Diversifizierung und Resilienz ist es langfristig sinnvoll und notwendig, solche Firmen im Land zu haben.

Die deutschen Hersteller bieten zwar immer mehr E- oder Hybrid-Autos an, doch die sind alle ziemlich groß. Geht es nicht kleiner?

Die Hersteller, die wir vertreten, bieten alle möglichen Fahrzeuggrößen an – und bei den E-Klein- und -Kleinstwagen in Deutschland haben sie mit Abstand den größten Marktanteil: In den ersten neun Monaten dieses Jahres erreichten die deutschen Hersteller bei den E-Kleinwagen einen Marktanteil von 47 Prozent. Also stammt fast jeder zweite E-Kleinwagen, der in Deutschland neu zugelassen wird, von einem deutschen Hersteller.

Gleichzeitig gilt: In allen Regionen der Erde geht der Trend in Richtung SUV, Europa hat dabei noch immer den geringsten Anteil. Und es spricht auch einiges für ein SUV – der Sitzkomfort, der Überblick im Straßenverkehr durch die erhöhte Sitzposition sowie der Vorteil, dass Batterien sich bei größeren Autos leichter unterbringen lassen als im flachen Zweisitzer. Letztlich müssen wir uns danach richten, was die Kunden nachfragen.

Ob Fridays for Future oder die Letzte Generation: Die Autoindustrie hat momentan besonders viele Kritiker. Was sagen Sie denen?

Wir stehen entschlossen und aus fester Überzeugung hinter den Pariser Klimazielen. In den kommenden vier Jahren investiert unsere Branche rund 250 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung sowie weitere etwa 130 Milliarden Euro in den Neubau oder Umbau von Werken. Das sind gewaltige Summen, die unser Commitment zeigen. Das Ziel der Klimaneutralität haben wir mit unseren Kritikern gemeinsam. Über den Weg dahin kann und muss gestritten werden, aber bitte nur verbal und ohne Nötigungen.

Wir sind davon überzeugt, dass unser größter Hebel für den weltweiten Klimaschutz Zukunftstechnologien sind, die klimaneutrales Wachstum ermöglichen – insbesondere in jenen Weltregionen, die einen viel niedrigeren Entwicklungsstand haben als Deutschland. Nur dann werden die Menschen dort bereit sein, den Weg mitzugehen.

Apropos Menschen: Die Fachkräfteengpässe werden auf absehbare Zeit zunehmen. Wie rüstet sich die Autoindustrie?

Mittelfristig werden wir wahrscheinlich etwas weniger Beschäftigte brauchen als aktuell. Trotzdem ist das Thema Fachkräfte für unsere Unternehmen – in Deutschland wie auch in allen anderen Ländern – eine der größten Herausforderungen. Hier sind Politik und Industrie gleichzeitig gefordert.

Es entstehen aktuell auch viele neue Arbeitsplätze in unserer Branche – mit geänderten Anforderungen. Große Unternehmen schulen schon jetzt komplette Belegschaften einzelner Standorte um. Je größer ein Unternehmen ist, desto einfacher ist das natürlich möglich.

Insgesamt ist und bleibt die Transformation eine enorme Herausforderung. Eine entscheidende Bedeutung haben in diesem Kontext regionale Netzwerke, eine Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen vor Ort – also gemeinschaftliches Agieren beispielsweise mit Industrie- und Handelskammern, Gewerkschaften und der jeweiligen Landesregierung.

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