Viertagewoche Lesezeit 4 Min.

Interview: „Ich warne davor, Arbeit beliebig zu verdichten“

Der Fachkräftemangel stärkt die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer in Deutschland gegenüber ihren Arbeitgebern. Oft möchten die Angestellten weniger arbeiten als bislang, was die Lage auf dem Arbeitsmarkt weiter verschärfen würde. Wie sich dieser Teufelskreis durchbrechen lässt, erläutert IW-Arbeitsmarktexperte Holger Schäfer.

Kernaussagen in Kürze:
  • „Jeder Arbeitnehmer, der die Arbeitszeit verkürzen möchte, kann das mit seinem Arbeitgeber vereinbaren, er hat sogar einen Rechtsanspruch darauf", sagt IW-Arbeitsmarktexperte Holger Schäfer.
  • Allerdings können man natürlich nicht verlangen, trotz verringerter Arbeitszeit das Gleiche zu verdienen
  • Bei einem Versuch zur Viertagewoche in England, wo die Unternehmen berichtet haben, dass die Arbeit produktiver wurde, beruhte das laut Schäfer auf Maßnahmen wie dem Kürzen und Weglassen von Meetings.
Zur detaillierten Fassung

Arbeiten wir demnächst alle nur noch drei oder vier Tage die Woche an einem beliebig wählbaren Ort bei vollem Gehalt?

Wahrscheinlich nicht. Grundsätzlich kann jeder Arbeitnehmer mit seinem Arbeitgeber die Arbeitszeit und den Lohn natürlich individuell vereinbaren, das ist Teil der Tarifautonomie. Es gibt also bezüglich des Arbeitspensums keine Vorgaben. Vielmehr existieren in Deutschland zahllose verschiedene Arbeitszeitmodelle, die oftmals individuell auf die Bedürfnisse von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zugeschnitten sind. Wenn ein Arbeitnehmer die Arbeitszeit verkürzen möchte, kann er das mit seinem Arbeitgeber vereinbaren, er hat sogar einen Rechtsanspruch darauf.

Man kann nicht weniger arbeiten und damit so viel verdienen wie vorher. Das klappt weder individuell noch gesamtwirtschaftlich.

Allerdings kann er natürlich nicht verlangen, trotz verringerter Arbeitszeit das Gleiche zu verdienen. Man kann ja nicht weniger arbeiten oder weniger produzieren und damit so viel verdienen wie vorher. Das klappt weder individuell noch gesamtwirtschaftlich.

Holger Schäfer ist Senior Economist im Themencluster Arbeitswelt & Tarifpolitik im Institut der deutschen Wirtschaft; Foto: IW Medien

In Großbritannien, wo mehr als 60 Unternehmen vorübergehend die Viertagewoche bei vollem Gehalt eingeführt haben, soll die Produktivität im Vergleich zur Fünftagewoche sogar gestiegen sein.

Bei diesem Versuch ist die Produktivität gar nicht gemessen worden, lediglich der Umsatz. Aber der ist kein geeignetes Maß für die Produktivität, denn Umsätze kann ich beispielsweise auch konstant halten, indem ich Leistungen extern zukaufe.

Also ist die Viertagewoche bei vollen Bezügen keine gute Idee?

Wenn Unternehmen das machen wollen und mit ihren Arbeitnehmern vereinbaren, dann gibt es niemanden, der etwas dagegen sagen kann. Aber es ist kein Modell, das volkswirtschaftlich unsere Probleme löst. Ganz im Gegenteil, sie werden noch viel größer, weil uns aufgrund der demografischen Entwicklung die Arbeitskräfte immer mehr ausgehen. Denn die geburtenstarken Jahrgänge gehen bald in Rente. In dieser Situation noch weniger zu arbeiten, kann nicht funktionieren.

Warum nicht? In den Testläufen zur Viertagewoche scheint das doch sehr gut geklappt zu haben.

Es kann sich doch jeder selbst überlegen, ob er die Arbeit, die er bisher an fünf Tagen macht, ohne Qualitätsverlust auch an vier Tagen schafft. Ich glaube, die wenigsten würden das uneingeschränkt bejahen. Diese Vorstellung, es gäbe eine Produktivitätsreserve in einer Größenordnung von 25 Prozent, bei der die Unternehmen bisher nur zu doof waren, sie zu heben, und die sich nur dann realisiert, wenn man die Viertagewoche einführt, ist abenteuerlich.

Es gibt keinen Beleg dafür, dass die Arbeitszeitverkürzung ursächlich ist für eine Produktivitätssteigerung: Auch beim Versuch in England, wo die Unternehmen berichtet haben, dass die Arbeit produktiver wurde, beruhte das auf Maßnahmen wie dem Kürzen und Weglassen von Meetings. Das sind Dinge, die man natürlich auch ohne Arbeitszeitverkürzung hätte umsetzen können.

Dennoch: Es ist doch durchaus möglich, das Gleiche in kürzerer Zeit zu produzieren.

Bei vielen Berufen wie denen von Ärzten oder Pflegern geht das nicht. Pfleger können nicht mehr pflegen innerhalb von vier Tagen, um dann einen Tag freizumachen. Und selbst bei Bürotätigkeiten warne ich davor, dass man Arbeit beliebig verdichtet. Wenn Mikropausen dauerhaft wegfallen, erhöht das den Stresslevel und kann krank machen.

Auch die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens kann durch Arbeitszeitverdichtung beeinträchtigt werden: Wer während der Arbeit scheinbar unproduktiv aus dem Fenster schaut oder mit Kollegen schwätzt, kann dabei durchaus auf innovative Ideen kommen. Deshalb legen viele Unternehmen größten Wert darauf, dass Arbeitnehmer sich zwischendurch informell austauschen können.

Die Beschäftigten in Deutschland möchten trotzdem generell weniger arbeiten, nämlich im Schnitt nur 32,8 Stunden in der Woche. Wie lässt sich das mit dem wachsenden Fachkräftemangel vereinbaren?

Gar nicht. Und dieser Umstand macht es unwahrscheinlich, dass wir das Problem mit heimischem Potenzial lösen. Durch den Arbeitskräftemangel steigt ja die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer: Sie können in viel stärkerem Maß ihre Interessen durchsetzen als bisher – auch das Interesse gerade der Vollzeitbeschäftigten, ihre Arbeitszeit zu verkürzen. Das verschärft die Fachkräfteproblematik.

Ist die Zuwanderung von Fachkräften die Lösung?

Auch hier gibt es große Herausforderungen: Beim Anwerben von Fachkräften hat Deutschland im internationalen Vergleich keine besonders gute Position. Zwar bietet Deutschland einen verlässlichen rechtlichen Rahmen, gute Chancen für Arbeitnehmer und eine attraktive Vergütung. Aber wir haben Nachteile, was die Sprache angeht, auch das Wetter ist nicht besonders toll und die Willkommenskultur hat noch Potenzial. Der erste Anlaufpunkt von Migrationswilligen aus Drittstaaten ist die deutsche Botschaft. Da wartet man manchmal ein Jahr oder länger nur auf einen Termin, um einen Visumsantrag stellen zu können. Auch die Abläufe bei den deutschen Ausländerbehörden sind teils ähnlich langwierig und entwürdigend.

Und wenn wir einfach das Rentenalter weiter anheben, um die Fachkräfteprobleme zu lösen?

So ein Prozess hat wahnsinnig lange Vorlaufzeiten. Der Parlamentsbeschluss für die Rente mit 67 stammt aus dem Jahr 2007, die Umsetzung dauert mehr als 20 Jahre. Die Zeit haben wir nicht mehr, denn die Verrentung der Babyboomer steht unmittelbar bevor und erreicht bereits 2030 ihren Höhepunkt. Das Einzige, was wir kurzfristig machen können, ist Frühverrentungsmöglichkeiten wie die Rente mit 63 sofort zu beerdigen und noch mehr qualifizierte Fachkräfte aus Staaten wie Indien, den Philippinen oder dem Iran anzuwerben.

Das könnte Sie auch interessieren

Meistgelesene