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Interview: „Familienfreundlich­keit zahlt sich aus“

Immer mehr Unternehmen bemühen sich, familienfreundlicher zu werden. Warum sich das lohnt, was einen familienfreundlichen Betrieb überhaupt ausmacht und warum Arbeitnehmer die Situation oft kritischer einschätzen als ihre Arbeitgeber, erklärt Andrea Hammermann, Senior Economist für Arbeitsbedingungen und Personalpolitik im Institut der deutschen Wirtschaft.

Kernaussagen in Kürze:
  • Familienfreundlichkeit zahlt sich für Unternehmen aus, sagt IW-Expertin Andrea Hammermann. So denken Beschäftigte, die Berufliches und Privates nicht gut miteinander kombinieren können, häufiger über einen Wechsel des Arbeitgebers nach.
  • Das Wichtigste für eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei die in der Praxis gelebte Unternehmenskultur, so Hammermann. Dazu gehören neben der breiten Akzeptanz von Teil- und Elternzeit auch scheinbare Kleinigkeiten in der betrieblichen Organisation wie die Uhrzeit der fixen Termine.
  • Nach den flexiblen, familienfreundlichen Gestaltungsmöglichkeiten sollte man grundsätzlich schon im Bewerbungsgespräch fragen – schließlich gehen die meisten Unternehmen nach außen hin recht transparent damit um.
Zur detaillierten Fassung

Was hat die Familienfreundlichkeit der Unternehmen mehr befördert: die Pandemie oder der zunehmende Fachkräftemangel?

Durch die Pandemie sind Arbeitszeit und -ort deutlich flexibler geworden, was natürlich sehr familienfreundlich ist. Am stärksten treibt die Unternehmen aktuell aber die Frage um, wie sie ihre Fachkräfte halten und neue hinzugewinnen können. Wir steuern von einem Arbeitgeber- auf einen Arbeitnehmermarkt zu. Aufgrund des Fachkräftemangels können die Bewerber mehr verlangen und höhere Ansprüche an potenzielle Arbeitgeber stellen – darauf reagieren die Betriebe und stärken die Familienfreundlichkeit.

Woran erkennt ein Arbeitnehmer ein familienfreundliches Unternehmen?

Die meisten Unternehmen gehen nach außen hin recht transparent damit um, in welchem Umfang mobiles Arbeiten möglich ist, wie flexibel Arbeitszeiten sind und wie es mit Sabbaticals aussieht. Nach den Gestaltungsmöglichkeiten für eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf sollte man grundsätzlich schon im Bewerbungsgespräch fragen, auch wenn es einen aktuell noch nicht betrifft. Viele Firmen bemühen sich zudem mittlerweile um Zertifikate, die sie als familienfreundlich auszeichnen, oder lassen ihre Mitarbeiter über deren eigene Erfahrungen berichten – was haben sie für Arbeitszeitmodelle, wie war es, als sie Mutter oder Vater geworden sind? So können sich Bewerber ein Bild davon machen, wie die Familienfreundlichkeit im Unternehmen gelebt wird.

Das Wichtigste für eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist die in der Praxis gelebte Unternehmenskultur.

Das Wichtigste für eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist die Unternehmenskultur, wie also ein Betrieb das Thema in der Praxis umsetzt. Das beste Angebot nutzt nichts, wenn die Führungskraft oder die Kollegen trotzdem mit den Augen rollen, falls man in Elternzeit geht oder sich um pflegebedürftige Angehörige kümmern möchte.

Der IW-Unternehmensmonitor zeigt: Unternehmen, die sich als ausgeprägt familienfreundlich betrachten, werden nicht von allen Beschäftigten auch so gesehen. Woran liegt das?

Wir sehen drei potenzielle Gründe für diesen Wahrnehmungs-Gap. Option eins: Die Angebote der Arbeitgeber adressieren nicht die Bedarfe der Beschäftigten. Die Befragung der Beschäftigten im Unternehmensmonitor zeigt jedoch, dass das vorhandene Angebot größtenteils wertgeschätzt wird. Ich sehe den Grund für die Diskrepanz eher in der internen Kommunikation der Unternehmen, meinem zweiten Punkt. Hier können viele aus meiner Sicht noch besser werden. Oft wissen die Beschäftigten gar nicht, welche familienfreundlichen Möglichkeiten ihr Arbeitgeber anbietet, weil es sie aktuell nicht betrifft. Wenn ich niemanden habe, den ich pflegen muss, informiere ich mich im Zweifel nicht über die Unterstützungsangebote für diesen Fall. Arbeitgeber sollten deshalb ihre Angebote noch klarer und prominenter kommunizieren.

Andrea Hammermann ist Senior Economist für Arbeitsbedingungen und Personalpolitik im Institut der deutschen Wirtschaft; Foto: IW Medien Und wie lautet die dritte mögliche Erklärung?

Ein Unternehmen kann sich um eine gute betriebliche Familienfreundlichkeit bemühen und viele flexible Optionen anbieten, der ein oder andere Abteilungsleiter jedoch trotzdem darauf bestehen, dass seine Mitarbeiter immer von 9 bis 17 Uhr ins Büro kommen. Hier sind wir wieder bei der Unternehmenskultur, die in der Praxis gelebt werden muss.

Immer mehr Betriebe bieten mobiles Arbeiten und flexible Arbeitszeiten an. Andere familienfreundliche Maßnahmen wie Jobsharing oder Kinderbetreuungsangebote nehmen dagegen ab.

Jobsharing ist ein spezielles Modell, das häufig auf Führungspositionen ausgerichtet ist, damit immer ein Ansprechpartner für die Mitarbeiter da ist. Der Grundgedanke ist super – allerdings müssen die zwei bis drei Personen, die sich den Job teilen, wirklich sehr gut miteinander interagieren und kommunizieren, da sie mit einer Stimme sprechen sollten. Ein Unternehmen, das Jobsharing anbieten möchte, muss also zunächst Personen finden, zwischen denen die Abstimmung so gut funktioniert.

In der Kinderbetreuung lohnt sich ein genauerer Blick. Nehmen wir zum Beispiel das Thema Betriebskindergärten. Der Staat baut die Kita-Infrastruktur immer weiter aus – und die Eltern nehmen natürlich lieber die wohnortnahe Betreuung im sozialen Umfeld des Kindes als beim Arbeitgeber wahr. Deswegen ist es wichtig, den staatlichen Ausbau der Betreuungsinfrastruktur weiter voranzutreiben. Mangelnde Kinderbetreuung können und sollten die Unternehmen nicht kompensieren müssen.

Das gilt aber nicht für die Freistellungstage bei Kinderkrankheit, die ebenfalls zurückgegangen sind.

Das stimmt, aber auch dafür gibt es einen plausiblen Grund. Seit 2020 hat der Staat die gesetzlichen Ansprüche auf Kinderkrankheitstage von zehn auf 30 Arbeitstage im Jahr je Kind verdreifacht, bei Alleinerziehenden sind es mittlerweile sogar 60 Arbeitstage. Wir fragen in unserer Studie aber danach, was die Unternehmen über die gesetzlichen Vorgaben hinaus leisten. Wenn sich die Grenze nach oben verschiebt, ist es klar, dass weniger Betriebe als zuvor noch mehr zusätzlich anbieten.

Zur Familienfreundlichkeit zählt auch, diejenigen Beschäftigten zu berücksichtigen, die Angehörige pflegen. Im Vergleich zu kinderfreundlichen Maßnahmen unterstützen die Unternehmen hier deutlich weniger. Braucht es mehr gesetzliche Regelungen für Pflegende?

Wir beobachten zwar, dass das Thema Pflege in den Unternehmen stärker angekommen ist. Die Herausforderung jedoch bleibt, dass die Übernahme der Pflege eines Angehörigen für Beschäftigte im Gegensatz zur Kindesplanung oft unvorhergesehen kommt. Außerdem steigt der Pflegebedarf in der Regel über die Zeit. Das ist in der vorgelagerten Organisation häufig schwierig abzubilden. Da jeder Fall anders ist, lässt es sich gesetzlich nicht gut festschreiben, wie genau die Pflegezeit aussehen sollte. Hier ist es wichtig, dass Arbeitgeber und Beschäftigte bilateral eine gute und flexible Lösung miteinander finden.

Oft sind es scheinbare Kleinigkeiten in der betrieblichen Organisation, die ein Unternehmen familienfreundlich machen.

Können Sie beziffern, wie viel Geld sich die Unternehmen in Deutschland Familienfreundlichkeit pro Jahr kosten lassen?

Da fragen wir ganz bewusst nicht nach. Natürlich wäre es spannend, zu wissen, wie hoch das Budget dafür ist. Allerdings lässt sich vieles, was mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu tun hat, nicht in monetären Größen messen. Oft sind es scheinbare Kleinigkeiten in der betrieblichen Organisation, die ein Unternehmen familienfreundlich machen: zum Beispiel, auf welcher Uhrzeit die fixen Termine liegen – der Vormittag ist für viele Eltern, die nachmittags ihre Kinder abholen müssen, deutlich günstiger.

Zahlt sich das Engagement der Betriebe – plus das Geld, das tatsächlich in die Hand genommen wird – denn aus?

Der Unternehmensmonitor zeigt deutlich, dass Beschäftigte, die Berufliches und Privates nicht gut miteinander kombinieren können, häufiger über einen Wechsel des Arbeitgebers nachdenken. Das Engagement zahlt sich also in Form der Fachkräftebindung aus.

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