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Interview: „Die Städte sind wieder auf Wachstumskurs“

Aufgrund der Coronapandemie brach in zahlreichen deutschen Städten die Wirtschaftsleistung ein. Markus Eltges, Direktor des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung, sieht die Städte aber wieder auf einem guten Weg. Er legt die aktuellen Aufgaben und Herausforderungen der Stadtentwicklung dar und erläutert, was wirtschaftlich schwächere Regionen tun können, um aufzuholen.

Kernaussagen in Kürze:
  • Wettbewerbsfähige Industrieunternehmen erzielen die primäre Wertschöpfung und sind für eine erfolgreiche Regionalentwicklung entscheidend, sagt Markus Eltges, Direktor des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung.
  • Die potenzielle Ansiedlung neuer Unternehmen solle in der Stadtplanung in Zukunft deshalb stärker beachtet werden.
  • Die Politik müsse sich zudem mit der Frage beschäftigten, wie sie das Bevölkerungswachstum in Deutschland so koordinieren kann, dass möglichst viele Regionen und Unternehmen wirtschaftlich davon profitieren.
Zur detaillierten Fassung

Die deutschen Städte mit dem höchsten Bruttoinlandsprodukt je Einwohner verdanken ihren Erfolg bestimmten Branchen oder sogar einzelnen Unternehmen. Ist es nicht ein enormes Risiko, wirtschaftlich so abhängig zu sein?

In der Theorie gibt es dieses Klumpenrisiko. In der ökonomischen Realität ist das aber kein Nachteil. Die großen Unternehmen sind meist schon seit mehreren Jahrzehnten an ihren Standorten und haben die jeweiligen Städte und Regionen mitgeprägt. Wettbewerbsfähige Industrieunternehmen erzielen die primäre Wertschöpfung und sind für eine erfolgreiche Regionalentwicklung entscheidend.

Natürlich würde zum Beispiel ein drastischer Geschäftseinbruch bei Volkswagen immense negative Auswirkungen auf Wolfsburg und Niedersachsen haben. Aber die Unternehmen sind darauf fokussiert, ihren wirtschaftlichen Erfolg zu sichern. Sie passen sich den Marktveränderungen an, entwickeln sich weiter, bleiben wettbewerbsfähig und sichern so die Wirtschaftskraft ihrer Region.

Markus Eltges ist Direktor des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung; Foto: Schafgans DGPh Inwiefern kann eine langfristige Stadtentwicklung den Zuzug von wirtschaftsstarken Unternehmen beeinflussen?

Die potenzielle Ansiedlung neuer Unternehmen muss in der Stadtplanung in Zukunft stärker beachtet werden. Aufgrund der Neujustierung der Globalisierung gepaart mit der Notwendigkeit, resiliente Lieferketten in Europa aufzubauen, müssen die Städte bereit sein, Flächen zur Verfügung zu stellen. Zum Beispiel plant der amerikanische Großkonzern Intel, in Magdeburg eine 380 Hektar große Fabrik zu bauen – das wäre eine der größten Firmenansiedlungen in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten.

Jede Stadt und jede Region ist also gut beraten, genau zu prüfen, wo sie Flächen bereitstellen kann und wie sie diese attraktiv für Unternehmen gestaltet – wichtige Aspekte sind hier die Versorgung mit grüner Energie und Landschaftsparkkonzepte für die Gewerbe- und Industriegebiete. Das Stichwort heißt „Transformationsflächen“.

Im ersten Jahr der Pandemie brach die Wirtschaftsleistung in zahlreichen Städten ein. Konnte sie sich seither erholen?

Tief eingeschnittene Furchen in der Gesamtwirtschaft der Städte sehe ich nicht. Die Pandemie ist zwar nicht spurlos an den Städten vorbeigegangen, dank der massiven staatlichen Unterstützungsprogramme und der Kreativität der Unternehmen sind viele Kommunen aber wieder auf dem Wachstumskurs, auf dem sie vor der Krise waren. Einzelne Branchen wie die Gastronomie oder die Einzelhandelszweige mit starker Online-Konkurrenz – unter anderem die Segmente Bekleidung und Schuhe – müssen ihren Weg noch finden. Insbesondere die Innenstädte brauchen neue Konzepte.

Jede Stadt und jede Region ist gut beraten, genau zu prüfen, wo sie Flächen bereitstellen kann und wie sie diese attraktiv für Unternehmen gestaltet.

Wie wichtig ist der Stadtentwicklung und -planung die stetige Steigerung der Wirtschaftskraft?

Eine stabile Wirtschaftskraft und wirtschaftliche Dynamik mit guten Arbeitsplätzen sind die Grundvoraussetzungen, damit die Kommunen ihre Angelegenheiten angemessen selbst regeln und sich weiterentwickeln können.

Die Städteplanung steht aktuell vor großen Herausforderungen: Städte sollen möglichst CO2-neutral und gleichzeitig klimaresilient werden, also für die Folgen des Klimawandels gerüstet und auf Wetterextreme wie Starkregen und enorme Hitze vorbereitet sein. Dafür sind infrastrukturelle Maßnahmen nötig, die sehr viel Geld kosten. Da ist es von Vorteil, wenn die Städte wirtschaftlich gut aufgestellt sind. Nichtsdestotrotz braucht es auch die Unterstützung des Landes, des Bundes und der EU.

Darüber hinaus muss eine Stadtentwicklung darauf bedacht sein, jungen Menschen ein attraktives Lebensumfeld zu bieten. Eine große Chance ist gerade für kleine und mittlere Städte die durch das Homeoffice begünstigte Trennung zwischen Arbeits- und Wohnort. Ich bin mir sicher, dass in Zukunft viele Unternehmen weiter entfernten Wohnorten der Arbeitnehmer sehr offen gegenüberstehen. Für die Beschäftigten ergibt sich so eine große räumliche Flexibilität – sie müssen nicht mehr unbedingt in der Großstadt wohnen, in der ihre Firma sitzt. Das gilt es nun für regionale Entwicklungsprozesse zu nutzen.

Wie können Städte, die wirtschaftlich nicht so erfolgreich sind, aufholen?

Jede Stadt, jede Region will sich besser aufstellen. Wichtig wird sein, das Potenzial der Zuwanderung zu nutzen, um insbesondere dem Fachkräftemangel zu begegnen, der zunehmend zur Wachstumsbremse wird. Wir brauchen einen Plan, wie und wo wir diese zusätzlichen Menschen sinnvoll unterbringen. Viele Großstädte haben bereits jetzt mit Wachstumsschmerzen zu kämpfen – sei es bezüglich des Wohnungsmarktes, des Verkehrs, der Bereitstellung von Büro- und Industrieflächen oder der Kitas und Schulen.

Die Politik muss sich schnell mit der Frage beschäftigen, wie sie das Bevölkerungswachstum in Deutschland so koordinieren kann, dass möglichst viele Regionen und Unternehmen davon profitieren. Es gibt viele Städte, die bei guten infrastrukturellen Voraussetzungen noch Wachstumspotenzial haben. Das Ruhrgebiet ist zum Beispiel so eine Region.

Aktuell tummeln sich im Ruhrgebiet allerdings noch viele wirtschaftsschwache Städte. Wie lässt sich die Situation in dieser Region verbessern?

Es ist ja nicht so, dass die Wirtschaft im Ruhrgebiet seit den 1960er Jahren stehen geblieben ist. Es tut sich langfristig etwas. Nehmen wir zum Beispiel Dortmund: Früher stand die Stadt für Kohle und Stahl, mittlerweile ist sie ein Hochtechnologiestandort. Es braucht eben seine Zeit, bis die Strukturen neu geschaffen sind. Auch München war nicht innerhalb von zehn Jahren da, wo die Stadt jetzt steht.

Die Kommunen im Ruhrgebiet brauchen finanzielle Entlastung.

Das Ruhrgebiet muss noch stärker an seinem Image arbeiten, um junge Menschen in die Region zu holen. Die Stärken müssen im nationalen und internationalen Marketing viel mehr herausgestellt werden, damit diese wunderschöne Region sichtbarer wird, als sie es in der öffentlichen Wahrnehmung derzeit ist. Das Ruhrgebiet ist ein starkes Stück Deutschland.

Letztendlich ist eine gute wirtschaftliche Entwicklung aber auch eine Frage des verfügbaren Geldes. Wenn es der Politik gelänge, die Kommunen im Ruhrgebiet bei ihren Schulden zu entlasten, wäre das ein riesiger Fortschritt. Dann hätten sie die finanziellen Spielräume, um in Infrastruktur zu investieren und so attraktiver für junge Menschen und Familien zu werden. Entsprechende Ideen haben die Städte alle genug. Was sie brauchen, ist finanzielle Entlastung.

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