Deutsche Gewinne – made in China
In den vergangenen Jahren ist immer mehr deutsches Unternehmenskapital nach China geflossen. Doch inwieweit profitiert Deutschland von den Geschäften deutscher Firmen an chinesischen Standorten? Das Institut der deutschen Wirtschaft hat versucht, diese Frage zu beantworten.
- Das IW hat versucht, die Frage zu beantworten, inwieweit Deutschland von den Geschäften deutscher Firmen an Standorten in China profitiert.
- Von den Gewinnen in Höhe von 15 Milliarden Euro, die deutsche Unternehmen im Jahr 2021 mit ihrem Beteiligungskapital in China erwirtschafteten, schütteten sie 8 Milliarden Euro an ihre Anteilseigner nach Deutschland aus – etwa in Form von Dividenden.
- Im Vergleich zu anderen Regionen, in denen deutsche Unternehmen investiert haben, sind die Einkünfte aus China allerdings nach wie vor nicht außerordentlich hoch.
Schon seit geraumer Zeit ringt Deutschland – wie auch andere westliche Nationen – darum, das Verhältnis zu China neu zu justieren. Das gilt vor allem für die wirtschaftlichen Verbindungen. Die generelle Devise lautet: keine Abkopplung, aber weniger Abhängigkeit (siehe Textasten unten).
Die harten Fakten weisen allerdings bislang nicht darauf hin, dass die deutschen Unternehmen eine Kehrtwende im Geschäft mit China hinlegen. Die neuesten Daten der Deutschen Bundesbank zum Kapital, das deutsche Firmen in Produktionsstätten im Reich der Mitte investiert haben, zeigen das Gegenteil:
Mit 102,6 Milliarden Euro haben die deutschen Direktinvestitionsbestände im Jahr 2021 erstmals die Schwelle von 100 Milliarden Euro überschritten.
Im Jahr 2022 sind schätzungsweise weitere 11,5 Milliarden Euro an Direktinvestitionen in Betriebe an chinesischen Standorten geflossen – ebenfalls ein Rekordwert.
Will man dieses Engagement der deutschen Wirtschaft in China bewerten, drängt sich eine Frage auf: Inwieweit profitiert Deutschland von der Produktion deutscher Firmen in Fernost? Ein wichtiger Aspekt dabei: In welchem Ausmaß fließen also Gewinne, die Unternehmen mit ihrem in China investierten Kapital erwirtschaften, nach Deutschland und stärken hier die Wirtschaft?
Von den Gewinnen in Höhe von 15 Milliarden Euro, die deutsche Unternehmen im Jahr 2021 mit ihrem Beteiligungskapital in China erwirtschafteten, schütteten sie 8 Milliarden Euro an ihre Anteilseigner nach Deutschland aus – etwa in Form von Dividenden.
Um hierauf eine Antwort zu finden, hat das IW bei der Bundesbank eine Sonderauswertung der Daten zu den sogenannten Primäreinkommen angefragt. Die Primäreinkommen sind Teil der Leistungsbilanz und erfassen die aus dem Ausland nach Deutschland beziehungsweise den deutschen Unternehmen zufließenden Einkommen. Dazu zählen unter anderem im Ausland erzielte Erwerbseinkommen, Einkünfte aus Wertpapieranlagen sowie Einkommen aus Direktinvestitionen. Auf diese richtet sich im Folgenden der Fokus – aus zwei Gründen:
Erstens machten die Direktinvestitionen im Jahr 2021 mit fast 73 Prozent den weitaus größten Anteil des deutschen Auslandsvermögens in China aus.
Die übrigen 27 Prozent entfielen auf Wertpapier- und sonstige Kapitalanlagen.
Zweitens stammten mehr als 96 Prozent der gesamten Primäreinkommen in Höhe von 15,6 Milliarden Euro, die 2021 von China nach Deutschland flossen, aus Direktinvestitionen. Bei diesen Zuflüssen handelte es sich fast ausschließlich um Einnahmen aus dem in China investierten Beteiligungskapital – Zinserträge, die in der Statistik ebenfalls zu den Direktinvestitionseinkünften gezählt werden, waren marginal.
Die Einnahmen aus dem Beteiligungskapital bestanden wiederum in den vergangenen Jahren überwiegend aus ausgeschütteten Gewinnen (Grafik):
Von den Gewinnen in Höhe von 15 Milliarden Euro, die deutsche Unternehmen im Jahr 2021 mit ihrem Beteiligungskapital in China erwirtschafteten, schütteten sie 8 Milliarden Euro an ihre Anteilseigner nach Deutschland aus – etwa in Form von Dividenden.
Knapp 7 Milliarden Euro haben die deutschen Unternehmen in China reinvestiert.
In den Jahren zuvor war der Anteil der ausgeschütteten an den gesamten Gewinnen aus dem Beteiligungskapital teils noch deutlich höher – 2019 lag er bei fast 76, im Jahr darauf sogar bei gut 80 Prozent.
Politischer Druck aus Peking
Die Frage, ob das größere Gewicht der reinvestierten Gewinne im Jahr 2021 ein vorübergehender Effekt oder ein neuer Trend ist, lässt sich mit den vorhandenen Daten nicht beantworten. Es besteht allerdings die Vermutung, dass die in China tätigen ausländischen Unternehmen aufgrund des politischen Drucks aus Peking ihre Produktion zunehmend lokalisieren und dies aus reinvestierten Gewinnen finanzieren.
Unabhängig davon stellt sich die Frage, ob die Einkommen aus Direktinvestitionen in China eine relevante Größe für Deutschland haben. Für die Antwort gilt es, die obigen Zahlen in den globalen Kontext einzuordnen (Grafik):
In den Jahren 2017 bis 2021 lag der Anteil Chinas an den gesamten Einnahmen, die Deutschland aus dem weltweit investierten Beteiligungskapital erzielte, zwischen gut 11 und rund 15 Prozent.
Ähnlich hoch war der Anteil, wenn man nur die Einnahmen aus nach Deutschland ausgeschütteten Gewinnen betrachtet.
Damit erweisen sich Direktinvestitionen in China als überdurchschnittlich lukrativ für Deutschland, beträgt der Anteil des in China angelegten Unternehmenskapitals von zuletzt 114 Milliarden Euro an allen deutschen Direktinvestitionsbeständen im Ausland doch nur gut 7 Prozent.
Dennoch sind die Einkünfte aus Direktinvestitionen in China – ungeachtet eines beachtlichen Wachstums in den vergangenen Jahren – absolut gesehen nach wie vor nicht außerordentlich hoch, wenn man sie mit den Zuflüssen aus anderen Regionen der Welt vergleicht:
Die im Jahr 2021 mit Direktinvestitionen in den EU-Staaten sowie dem Vereinigten Königreich erzielten Gewinne waren mit fast 73 Milliarden Euro nahezu fünfmal so hoch wie die Einnahmen aus China.
Die Erträge aus Beteiligungskapital in den USA blieben mit 10 Milliarden Euro lediglich um 5 Milliarden Euro hinter den in China erwirtschafteten Gewinnen zurück.
Betrachtet man speziell die nach Deutschland geflossenen Einkommen aus Dividenden und anderen ausgeschütteten Gewinnen, zeigt sich ein vergleichbares Bild – den Zuflüssen aus China in Höhe von zuletzt 8 Milliarden Euro stehen gut 5 Milliarden Euro aus den USA, aber fast 34 Milliarden Euro aus Europa gegenüber.
Bestätigte Erkenntnisse – und weiterer Forschungsbedarf
All diese mithilfe der Bundesbankdaten gewonnenen Erkenntnisse wurden durch eine Befragung von 36 großen Unternehmen ergänzt, die stellvertretend für das deutsche Engagement in China stehen – wobei diese Firmen nur zu einem geringen Teil detaillierte Angaben zu den dort erzielten Gewinnen und ihre Verwendung gemacht haben. Tendenziell ist die Bedeutung der in China getätigten Investitionen und erwirtschafteten Gewinne in Relation zum Auslandsgeschäft insgesamt für die vom IW befragten Unternehmen noch etwas höher, als es die Bundesbankdaten für die deutsche Wirtschaft insgesamt zeigen.
Sowohl die in China reinvestierten als auch an die Anteilseigner der deutschen Unternehmen ausgeschütteten Gewinne aus Direktinvestitionen fließen als Primäreinkommen in die deutsche Leistungsbilanz ein. Inwieweit diese Einkommen – mittelbar, indem sie die Produktion am Standort China stärken, oder unmittelbar, indem sie in den heimischen Konsum fließen – in Deutschland die Wirtschaft stärken und Arbeitsplätze schaffen, lässt sich mit den verfügbaren Daten allerdings nicht vollständig klären. Es besteht also weiterer Forschungsbedarf, um die Eingangsfrage erschöpfend beantworten zu können.
Abhängigkeit von China
Die autoritäre Führung in Peking setzt außenpolitisch immer stärker auf Drohungen – Stichwort Taiwan – und versucht zunehmend, im Ausland ihre politischen Ziele mit wirtschaftlichen Mitteln wie Handelsboykotten durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund mehren sich in den westlichen Staaten die Stimmen, die darauf drängen, die ökonomische Abhängigkeit von China zu verringern.
In Deutschland wird die Debatte darüber allerdings oft zu undifferenziert geführt. Denn eine eindeutige Antwort darauf, wie abhängig die deutsche Wirtschaft von China ist, gibt es nicht – es kommt auf den jeweils betrachteten Aspekt an.
Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene ist die Abhängigkeit geringer, als manch aufgeheizte Diskussion vermuten lässt. So zeigt eine Analyse von Bundesbankdaten durch das IW, dass die Einnahmen, die Deutschland aus Direktinvestitionen in China erzielt, nach wie vor deutlich niedriger sind als die entsprechenden Gewinne aus Engagements in Europa. Zudem hängen schätzungsweise nur rund 3 Prozent aller deutschen Arbeitsplätze direkt oder indirekt vom Export nach China ab, selbst in der Industrie sind es im Branchendurchschnitt lediglich etwa 5 bis 6 Prozent (siehe "China: In welchen Branchen die Abhängigkeit groß ist").
Sorgen bereitet allerdings, dass in jüngster Zeit im Warenhandel mit China ein gravierendes Ungleichgewicht entstanden ist – vor allem aufgrund der stark gestiegenen Importe erhöhte sich das deutsche Handelsbilanzdefizit gegenüber China im Jahr 2022 auf mehr als 84 Milliarden Euro (siehe "Handel mit China: Das deutsche Defizit wächst").
Das ist auch deshalb problematisch, weil von den nach Deutschland importierten seltenen Erden, elektronischen Bauteilen sowie pharmazeutischen und chemischen Grundstoffen teils bis zu 100 Prozent aus China kommen. Sollten geopolitische Konflikte mit China ausbrechen, wäre Deutschland bei der Versorgung mit diesen Gütern wohl erpressbar.
Daher sollten deutsche Unternehmen solche Risiken schnell und konsequent verringern, indem sie verstärkt auf andere Lieferanten setzen. Die Politik muss dies flankieren, etwa indem sie den Abschluss neuer Freihandelsabkommen mit anderen Partnerländern forciert.
Deutsche Unternehmen, die einen hohen Teil ihres Umsatzes und Gewinns in China erwirtschaften, wären im Fall politischer Verwerfungen mit China vermutlich ebenfalls erpressbar. Dieses Risiko zu minimieren, ist vorrangig Aufgabe der Firmen selbst – betriebliche Verluste, die im Konfliktfall entstehen könnten, dürfen nicht dem Staat und damit am Ende den Steuerzahlern zugeschoben werden.