Regionalentwicklung Lesezeit 4 Min.

Gefährdete Regionen in Ost wie West

Von den 96 deutschen Raumordnungsregionen sind 19 in ihrer Entwicklung besonders gefährdet. Denn dort steht es in den Bereichen Wirtschaft, Demografie und/oder Infrastruktur schlecht um die Zukunftsfähigkeit. So lautet ein zentrales Ergebnis der umfassenden Regionalstudie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Kooperation mit Wissenschaftlern von vier deutschen Hochschulen.

Kernaussagen in Kürze:
  • Das Institut der deutschen Wirtschaft hat die 96 Raumordnungsregionen in Deutschland hinsichtlich ihrer Perspektiven analysiert.
  • 19 der 96 Regionen sind in ihrer Entwicklung besonders gefährdet. Sie finden sich sowohl in Ost- wie in Westdeutschland und sind teils städtisch, teils ländlich geprägt.
  • Schuldenerlasse, mehr Bildungsangebote sowie eine bessere Anbindung von Gemeinden an Metropolen über das Schienennetz können Maßnahmen sein, um den gefährdeten Regionen zu helfen.
Zur detaillierten Fassung

Anfang Juli präsentierten Innenminister Horst Seehofer, Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner und Familienministerin Franziska Giffey in Berlin ihre Pläne, wie überall in Deutschland „gleichwertige Lebensverhältnisse“ erreicht werden können. Was man in dem 164-seitigen Dokument vergeblich sucht, sind die Namen jener Regionen, deren Perspektiven besonders schlecht sind.

Diese Lücke schließt die IW-Studie: Sie analysiert die 96 Raumordnungsregionen. Der Vorteil dieser Einteilung gegenüber der Betrachtung von Städten und Landkreisen ist, dass die Abgrenzung wirtschaftliche Verflechtungen und Nachbarschaftseffekte berücksichtigt.

In drei Kategorien mit je vier Indikatoren haben die Wissenschaftler die Regionen bewertet:

Die wirtschaftlichen Indikatoren berücksichtigen beispielsweise die Arbeitslosenquote oder die Überschuldung privater Haushalte.

Die demografischen Indikatoren erfassen unter anderem die Entwicklung der Einwohnerzahl und das Durchschnittsalter der Bevölkerung.

Die Infrastrukturindikatoren weisen auf die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Hand hin, liefern mit Blick auf die Breitbandausstattung aber auch Indizien für die Modernität und Innovationsfähigkeit einer Region. Die Immobilienpreise zählen ebenfalls in diese Kategorie, da sie die Attraktivität eines Standorts widerspiegeln.

Es gibt keine einheitliche Gruppe von Regionen, in denen dringend gehandelt werden muss – die bloße Unterscheidung zwischen Stadt und Land oder Ost und West greift zu kurz.

Bei den wirtschaftlichen Indikatoren zeigt sich, dass die Regionalentwicklung weder ein rein ostdeutsches Problem noch eines von abgelegenen ländlichen Regionen ist:

Mit Duisburg/Essen, Emscher-Lippe und Bremerhaven stehen drei städtisch geprägte westdeutsche Regionen ganz am Ende des Wirtschaftsrankings.

Erst auf dem viertletzten Platz folgt – zusammen mit Dortmund – mit der Altmark eine ostdeutsche Region.

Für die Bewertung wurden die Daten von 2011 mit denen der Jahre 2015, 2016 oder 2017 verglichen – je nach Verfügbarkeit. Und auch wenn die Ausgangsniveaus 2011 im Osten teilweise sehr niedrig waren, konnten dort viele Regionen im Vergleich überproportional zulegen. Gerade in Sachsen und Thüringen sind die Arbeitslosenzahlen deutlich gesunken und die Löhne teilweise überdurchschnittlich stark gestiegen.

Wesentlich schlechter schneiden die ostdeutschen Regionen dagegen beim Thema Demografie ab:

In den Regionen Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg, Lausitz-Spreewald, Oberlausitz-Niederschlesien sowie Ostthüringen und Südthüringen ist das Durchschnittsalter besonders hoch und steigt zudem schneller als andernorts.

Die westdeutschen Regionen stehen im demografischen Vergleich besser da: Von den zehn am stärksten demografisch herausgeforderten Gebieten liegt mit Schleswig-Holstein Süd-West nur ein einziges in den alten Bundesländern.

Hinsichtlich der Infrastruktur gibt es Probleme sowohl im Westen als auch im Osten – allerdings mit unterschiedlichen Ausprägungen:

Die drei westdeutschen Regionen Emscher-Lippe, Trier und Westpfalz fallen jeweils durch sehr hohe Verschuldungsquoten auf.

Gegenden wie die Altmark, Magdeburg und Halle (Saale) im Osten hinken dagegen eher in Bezug auf die Verfügbarkeit von Breitbandinternet hinterher.

In der Summe der drei Bereiche Wirtschaft, Demografie und Infrastruktur sind es am Ende 19 der 96 Raumordnungsregionen, die laut IW in der Entwicklung besonders gefährdet sind (Grafik):

In elf Regionen in den neuen Bundesländern, vier Regionen in Nordrhein-Westfalen entlang der Ruhr sowie in Bremerhaven, dem Saarland, Schleswig-Holstein Ost und in der Westpfalz kommen besonders viele unterschiedliche oder gravierende Probleme in einem Bereich zusammen.

Diese Regionen schneiden in der Analyse der 96 deutschen Raumordnungsregionen am schlechtesten ab Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Demnach gibt es keine einheitliche Gruppe von Regionen, in denen dringend gehandelt werden muss – die bloße Unterscheidung zwischen Stadt und Land oder Ost und West würde zu kurz greifen (Einen Überblick über alle Regionen finden Sie in dieser interaktiven Grafik).

Und weil sowohl die Regionen als auch die Probleme so unterschiedlich sind, gibt es kein Patentrezept, mit dem alle 19 Gebiete zukunftsfähig gemacht werden können (siehe: „Wir brauchen flächendeckend eine exzellente Infrastruktur“). Vielmehr betonen die Studienautoren, dass die Kommunen vor allem befähigt werden müssen, sich selbst zu helfen. Die Wissenschaftler machen deshalb vier Vorschläge für die Regionalpolitik:

1. Schuldenerlasse: Hohe Schulden versperren den Weg zu Investitionen und schränken die Handlungsfähigkeit massiv ein. Die Politik muss daher über Schuldenerlasse auf kommunaler Ebene nachdenken, wobei die Anreizwirkung gegenüber jenen, die bislang sparsam gewirtschaftet haben, nicht außer Acht gelassen werden darf.

2. Bürgerschaftliches Engagement: Die Erfahrungen in vielen schrumpfenden Gemeinden zeigen, dass bürgerschaftliches Engagement die Lage vor Ort erheblich verbessern kann. Doch dafür braucht es eine offene, flexible kommunale Verwaltung – Ehrenamtler dürfen keine Angst vor zu viel Bürokratie oder rechtlichen Fallstricken haben.

3. Bildungsangebote: Viele junge Menschen zieht es in die Großstädte, weil sie nur dort studieren können. Als Gegenmaßnahme müssen gefährdete Regionen attraktive Bildungsangebote schaffen – am besten eng verzahnt mit der Wirtschaft, die oft händeringend Fachkräfte sucht. Selbstverständlich kann der Staat nicht flächendeckend in neue Hochschulen investieren, aber in einigen Regionen könnte das Angebot erweitert werden.

4. Netzausbau: Durch ein besseres Schienennetz könnten mehr Gemeinden an die Metropolen angebunden werden, was diese Kommunen attraktiver macht und die Großstädte entlastet. Darüber hinaus ist der Breitbandausbau entscheidend – nicht nur für Unternehmen, sondern zunehmend auch für private Haushalte ist er ein zentraler Standortfaktor.

Das könnte Sie auch interessieren

Meistgelesene