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Funktioniert das Umverteilungssystem?

Steuer- und Transfersysteme verteilen in Deutschland viel Geld um - aber sind die Ergebnisse zufriedenstellend?

Kernaussagen in Kürze:
  • Martin Beznoska, Senior Economist für Steuerpolitik im Institut der deutschen Wirtschaft, sieht keine Anhaltspunkte dafür, dass die Umverteilungswirkung des deutschen Steuer- und Transfersystems zu gering ist. Für ihn funktioniert das Prinzip der Leistungsfähigkeit.
  • Joachim Rock, Leiter der Abteilung Arbeit, Soziales und Europa beim Paritätischen Gesamtverband, attestiert dem deutschen Sozialstaat zwar, dass er viel verteilt. Doch für Rock verteilt er zu wenig um, da vor allem die indirekten Steuern Menschen in Armut überproportional belasten.
Ja,
sagt
Martin Beznoska,

Senior Economist für Finanz- und Steuerpolitik

Die Steuerbelastung bleibt bis ins oberste Prozent der Einkommensverteilung progressiv.

Die Ergebnisse unserer Verteilungsanalyse zeigen, dass unter Berücksichtigung sämtlicher Steuern, Sozialabgaben und staatlicher Transfers das Prinzip der Leistungsfähigkeit funktioniert. Die Haushalte in der unteren Hälfte der Einkommensverteilung zum Beispiel erhalten im Schnitt deutlich mehr vom Staat, als sie an diesen abführen.

Auf der einen Seite spielen dafür vor allem bedarfsgeprüfte Sozialtransfers wie das Arbeitslosengeld II, das Wohngeld und die Grundrente eine zentrale Rolle. Auf der anderen Seite bleibt die Belastungswirkung des Steuersystems bis ins oberste Prozent der Einkommensverteilung progressiv. Das gilt vor allem für die Einkommensteuer, deren Steuersatz mit der Höhe des Einkommens steigt.

Zwar belasten indirekte Steuern wie die Mehrwertsteuer geringere Einkommen relativ stärker, doch bei den Empfängern von Sozialleistungen übernimmt diese Abgaben größtenteils ohnehin der Staat, indem er seine Transfers entsprechend anpasst. Verbesserungswürdig ist jedoch die Tatsache, dass die Haushalte im unteren Bereich der Einkommensverteilung nicht immer ihre Ansprüche, zum Beispiel auf Wohngeld, geltend machen. Bürokratieabbau und eine effizientere Verwaltung könnten helfen, die Inanspruchnahme zu erhöhen.

Es gibt also keine Anhaltspunkte dafür, dass die Umverteilungswirkung des bestehenden Steuer- und Transfersystems zu gering ist.

Nein,
sagt
Joachim Rock,

Leiter der Abteilung Arbeit, Soziales und Europa beim Paritätischen Gesamtverband

Nicht nur Personen, ganze Regionen sind von der Wohlstandsentwicklung abgekoppelt.

Der Sozialstaat verteilt viel, aber er verteilt viel zu wenig um. Menschen in Armut sind über die regressiv wirkenden indirekten Steuern überproportional belastet. Selbst Geringverdienende sind voll abgabenpflichtig, während hohe Einkommen nur bis zur Bemessungsgrenze verbeitragt werden.

Die Grundsicherung für Arbeitsuchende und ihre Familien betrifft derzeit sechs Millionen Menschen, darunter zwei Millionen Kinder, aber sie macht weniger als 5 Prozent des Sozialbudgets aus. Zudem nehmen zwischen 40 und 60 Prozent der Berechtigten ihre Ansprüche auf Grundsicherung aus Unwissenheit oder Scham nicht wahr und tauchen nicht in den Statistiken auf.

Auch die Lohnentwicklung fördert die Ungleichheit: Zwischen 1991 und 2016 wuchsen die Einkommen des einkommensstärksten Zehntels real um 35 Prozent, die des ärmsten Zehntels sanken um 8 Prozent. Nicht nur Personen, ganze Regionen sind von der Wohlstands-entwicklung abgekoppelt. Die soziale Infrastruktur für Erziehung, Versorgung und Pflege wird dem Bedarf vielerorts nicht mehr gerecht. Diese Entwicklungen spiegelt die Statistik wider: 15,5 Prozent der Bevölkerung gelten als arm, darunter jedes fünfte Kind. Bei den Älteren steigt die Armut rasant, die Zahl der Grundsicherungs-beziehenden unter ihnen hat sich in den vergangenen15 Jahren mehr als verdoppelt und wächst weiter.

Der soziale Zusammenhalt erodiert, mit Folgen für die Demokratie. Höchste Zeit, um in mehr Gleichheit zu investieren!

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