EU - Europäische Unterschiede
Zwar ist Armut immer auch eine Frage der Definition. Doch egal welche Indikatoren man zugrunde legt – in der Europäischen Union gibt es ein gewaltiges Gefälle zwischen den meist reichen Nordländern und Osteuropa, wo Armut recht häufig verbreitet ist.
- In der Europäischen Union gibt es ein gewaltiges Gefälle zwischen den meist reichen Nordländern und Osteuropa, wo Armut recht häufig verbreitet ist.
- Insgesamt suchten 2011 rund 97.500 Rumänen und gut 52.400 Bulgaren hierzulande ihr Glück.
- Bulgarien bildet das Schlusslicht: In dem Land gelten mehr als 22 Prozent der Bevölkerung als arm.
Seit dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens zur EU im Jahr 2007 kommen mehr Armutsflüchtlinge aus diesen beiden Ländern nach Deutschland. Insgesamt suchten 2011 rund 97.500 Rumänen und gut 52.400 Bulgaren hierzulande ihr Glück. Zum Vergleich: Im Jahr 2006 waren es noch gut 23.700 Rumänen und etwa 7.700 Bulgaren.
Einer der Gründe, warum diese Menschen ihre Heimat verlassen, ist Armut – denn die ist in den beiden osteuropäischen Ländern besonders hoch. Allerdings ist Armut immer auch eine Frage der Definition, da es unterschiedliche Indikatoren gibt, mit denen sich Armut messen lässt.
Relative Einkommensarmut. Als einkommensarm gilt demnach, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens (Median) zur Verfügung hat – das ist genau das Einkommen, bei dem die eine Hälfte der Bevölkerung mehr und die andere Hälfte weniger verdient. Zugrunde gelegt wird dabei das Äquivalenzeinkommen, also das auf den Bedarf eines Singles umgerechnete Pro-Kopf-Nettomonatseinkommen.
Im EU-Vergleich schneidet bei der relativen Einkommensarmut Tschechien am besten ab, hier ist nur knapp jeder Zehnte einkommensarm. In Deutschland sind es rund 16 Prozent. Das Schlusslicht bildet Bulgarien: In dem Land gelten mehr als 22 Prozent der Bevölkerung als arm (Grafik).
Subjektive Einkommensarmut. Bei diesem Indikator legen die Befragten den Schwellenwert selbst fest. Zunächst wird gefragt, wie hoch das Mindesteinkommen wäre, mit dem der Haushalt gerade zurechtkommen würde. Dann wird gefragt, wie hoch das tatsächliche Einkommen ist. Liegt es deutlich unter dem gewünschten Mindesteinkommen, gilt eine Person als arm.
Die Dänen und die Schweden sind mit jeweils 2 Prozent am wenigsten von subjektiver Einkommensarmut betroffen. In Bulgarien und Ungarn fühlt sich dagegen rund jeder Zweite arm. Deutschland schneidet mit einer Quote von 11 Prozent besser ab als der EU-Durchschnitt.
Deprivation. Armut lässt sich auch am Lebensstandard messen. Die EU spricht von einer materiellen Entbehrung (Deprivation), wenn vier von neun Grundbedürfnissen aus finanziellen Gründen nicht befriedigt sind. Dazu gehört es u. a., die Wohnung angemessen beheizen zu können und täglich eine warme Mahlzeit zu haben. Der Haken: Die Auswahl und die Bedeutung der Bedürfnisse sind ebenso wie der Schwellenwert von vier Entbehrungen für alle Länder gleich und berücksichtigen nicht die teilweise großen Unterschiede in den Lebensverhältnissen der Mitgliedsländer.
Auch in dieser Sichtweise ist Bulgarien mit einer Armutsquote von 44 Prozent das EU-Schlusslicht. In Deutschland gelten gut 5 Prozent der Bevölkerung als depriviert.
Konsistente Armut. Demnach ist nur arm, wer gleichzeitig einkommensarm und depriviert ist. Das sind in Luxemburg 0,7 Prozent der Bevölkerung, in Bulgarien aber trifft es jeden Sechsten.
Problemgruppen. Besonders von Armut betroffen sind Arbeitslose, Alleinerziehende und Alleinstehende (Grafik). Ein Hauptansatzpunkt zur Armutsbekämpfung ist der Arbeitsmarkt (Interview). So haben Geringverdiener eine wesentlich geringere Armutsquote als Arbeitslose.
Christoph SchröderArmut in EuropaIW-Trends 1/2013
Interview
Nachgefragt bei Christoph Schröder, Statistiker und Experte für Arbeitskosten und Einkommensverteilung im Institut der deutschen Wirtschaft Köln
Der neue Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hat wieder für Furore gesorgt. Werden die Reichen tatsächlich immer reicher und die Armen immer ärmer?
Das stimmt nur, wenn man sehr lange Zeiträume zugrunde legt. Seit 2005 beobachten wir aber, dass die Einkommensungleichheit nicht mehr zugenommen hat. Auch das Einkommensverhältnis zwischen den eher Wohlhabenden und den Einkommensschwachen hat sich in den vergangenen Jahren nicht mehr erhöht.
Hat Deutschland also gar kein Armutsproblem?
Das kann man so leider nicht sagen. Denn wir haben zwar den Trend zu mehr Armut gestoppt, aber deutlich nach unten geht die Armutsquote noch nicht. Wenn wir die besonders betroffenen Gruppen betrachten, sehen wir, dass vieles am Arbeitsmarkt hängt, sprich an zu geringer Erwerbsbeteiligung. Den Alleinerziehenden könnte beispielsweise ein Ausbau der Ganztagsbetreuung dabei helfen, einen Vollzeitjob anzunehmen. Auf keinen Fall sollten die Reformen, die zu mehr Beschäftigung geführt haben, wieder zurückgedreht werden.