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Ein Katalysator für die Kohlereviere

Die Braunkohlereviere im Rheinland, in Mitteldeutschland und in der Lausitz stehen vor einem gewaltigen Strukturwandel. Wie der gelingen kann, zeigt eine neue IW-Studie.

Kernaussagen in Kürze:
  • Bis 2038 wird die Kohleförderung und -verstromung im Rheinland, in Mitteldeutschland und in der Lausitz beendet. Die Braunkohlegebiete stehen daher vor einem großen Strukturwandel.
  • Um die Regionen zu unterstützen, schlägt das Institut der deutschen Wirtschaft eine Reihe von Maßnahmen vor, unter anderem eine Senkung des Gewerbesteuerhebesatzes auf den Mindestsatz.
  • Außerdem sollten die universitären Bildungseinrichtungen sowie die digitale Infrastruktur ausgebaut werden.
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Beim Wort Strukturwandel denkt man sofort ans Ruhrgebiet. Denn schließlich steht Deutschlands dichtester Ballungsraum mit seinen 5,1 Millionen Einwohnern seit dem Beginn der Kohlekrise im Jahr 1957 vor der Herausforderung, seinen Bürgern ein lebenswertes Umfeld zu gewährleisten, das nicht auf dem Abbau der Steinkohle basiert. Vielfach ist dies gelungen, doch das Ruhrgebiet ist wirtschaftlich längst noch nicht über den Berg, wie die hohe Arbeitslosigkeit und die milliardenschwere Schuldenlast vieler Revierstädte zeigen.

Auch die Braunkohlereviere müssen diesen Prozess nun bewältigen. Bis 2038 wird die Kohleförderung und -verstromung im Rheinland, in Mitteldeutschland und in der Lausitz beendet – zehn Jahre früher als geplant. Es müssen also besonders zügig neue Wirtschaftsstrukturen und neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

Strukturstärkungsgesetz soll helfen

Tatsächlich hat die Bundesregierung im September 2019 ein Strukturstärkungsgesetz vorgelegt, das Hilfen im Umfang von 40 Milliarden Euro über einen 20-jährigen Zeitraum vorsieht. In der Haushaltsplanung des Bundesfinanzministeriums sind zunächst allerdings nur 500 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr vorgesehen, sodass unklar ist, inwieweit es sich bei den 40 Milliarden Euro um zusätzliche Mittel oder um zum Teil umgewidmete Gelder aus bestehenden Fördertöpfen handelt.

Auch die EU-Kommission plant im Rahmen des Green Deal eine Unterstützung europäischer Kohlereviere, die vom Ausstieg aus der Kohleförderung betroffen sind. Deutschland wäre mit 877 Millionen Euro aus dem Just Transition Fund in Höhe von 7,5 Milliarden Euro nach Polen zweitgrößter Nutznießer dieses Topfes.

Um den Strukturwandel in den Braunkohlerevieren zu fördern, müssen unter anderem Investitionen erleichtert und die digitale Infrastruktur ausgebaut werden.

Allerdings sind die geografischen Abgrenzungen für die Braunkohlenreviere im Strukturstärkungsgesetz sehr weit gefasst: In Mitteldeutschland zählen auch Leipzig und Halle dazu, deren Wirtschaft überhaupt nicht von der Braunkohle abhängt. Ähnlich ist es mit dem Lausitzer Revier, das den neuen Berliner Flughafen mit einschließt.

Maßnahmenkatalog für den Strukturwandel

Eine Alternative dazu wäre die Einrichtung von Sonderwirtschaftsregionen in jeweils vier Kreisen und kreisfreien Städten der drei Regionen. In diesen Zonen genießen industrielle Investitionen, neue Technologien und eine smarte Regulierung Vorfahrt.

Wie der Strukturwandel in solchen Sonderwirtschaftsregionen in den drei Braunkohlerevieren erfolgreich bewältigt werden könnte, zeigt das IW in einem Gutachten für die FDP. Die Finanzierung könnte im Rahmen der vereinbarten Strukturhilfen über 40 Milliarden Euro erfolgen. Die Maßnahmen im Einzelnen:

1. Die Reduktion des Gewerbesteuerhebesatzes auf den Mindestsatz von 200 Prozent. Die durchschnittliche Gewerbesteuerbelastung ist auch in den Braunkohlerevieren zuletzt gestiegen (Grafik). Eine Halbierung auf den Mindesthebesatz würde die dortigen Betriebe um jährlich 880 Millionen Euro entlasten.

Gewerbesteuer in deutschen Braunkohleregionen in Prozent des Unternehmensgewinns Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

2. Investitionen erleichtern. Jährlich sollten 50 Millionen Euro Investitionszuschüsse bereitgestellt werden.

3. Stärkung von Forschung und Entwicklung. Den Firmen in den Braunkohlerevieren sollten verbesserte Förderbedingungen gewährt werden, denn in strukturschwachen Regionen sind Betriebe oft weniger innovativ.

4. Ausbau der universitären Bildungseinrichtungen. Um junge Menschen in der Region zu halten, sollten Hochschulen und Institute ausgebaut werden.

5. Bau und Ausbau von Technologieparks und Gründerzentren. Zusammen mit den Hochschulen können sie zu Zentren für neue Wachstumsbranchen wie etwa der Energiebranche werden.

6. Digitale Netze zügig ausbauen. In den drei Braunkohlerevieren ist die Breitbandversorgung zum Teil unzureichend (Grafik).

So viel Prozent der Haushalte verfügten Ende Januar 2020 über einen Internetanschluss mit mindestens 50 Mbit/s pro Sekunde Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

7. Testfeld intelligente Netzsteuerung. Durch Testfelder für erneuerbare Energien und Speichertechnologien können die Regionen ihre Sonderstellung in der deutschen Energieversorgung weiter aufrechterhalten.

8. Planungsbeschleunigung für Verkehrsinfrastrukturen. Straßen, Bahnlinien und Ersatzneubauten müssen hier schneller gebaut werden als sonst üblich.

9. Vereinfachung bürokratischer Verfahren bei der Genehmigung industrieller Ansiedlungen.

10. Partizipation. Wenn Bürger, Experten und Betriebe frühzeitig in Entscheidungsprozesse eingebunden werden, kommen Lösungen oft schneller zustande.

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