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Diversifikation statt Konzentration auf China nötig

In diesem Jahr wird Deutschland so viele chinesische Waren einführen wie noch nie. Da Peking gleichzeitig als Absatzmarkt für die deutsche Wirtschaft an Gewicht verliert, erreicht das Handelsbilanzdefizit gegenüber China einen neuen Rekord. Diversifizierung wäre dringend nötig – und laut Modellrechnungen auch machbar.

Kernaussagen in Kürze:
  • In den ersten drei Quartalen des Jahres 2022 importierte Deutschland chinesische Waren im Wert von knapp 143 Milliarden Euro – ein Plus von rund 42 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
  • Gleichzeitig verliert China aber als Absatzmarkt für die deutsche Wirtschaft an Gewicht, sodass das Handelsbilanzdefizit gegenüber Peking weiter wächst.
  • Dabei zeigen Studien, dass es Deutschland lediglich knapp 1 Prozent an realer Wirtschaftsleistung kosten dürfte, wenn es sich innerhalb von rund zehn Jahren weitestgehend von China abkoppelt.
Zur detaillierten Fassung

Wohin steuert China? Die Proteste in zahlreichen chinesischen Städten vor wenigen Wochen, die sich zuerst gegen die strikte Null-Covid-Politik wandten und schließlich in Schanghai sogar in Rücktrittsforderungen an Präsident Xi Jinping mündeten, zeigen: Viele Chinesen sind die Corona-Politik der Kommunistischen Partei leid.

Die vielen Lockdowns, die in letzter Zeit verhängt wurden, haben auch die wirtschaftliche Entwicklung gebremst:

So brachen die chinesischen Exporte, in Dollar gerechnet, im November um 8,7 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat ein.

Dabei war der Export zuletzt eine wichtige Konjunkturstütze für China. Denn der private Konsum schwächelt und auch die Immobilienkrise schwelt weiter.

Als Reaktion auf die Proteste und die schlechten Wirtschaftszahlen hat die chinesische Regierung nun weitreichende Lockerungen verkündet. Und das trotz der kalten Jahreszeit, der geringen Durchseuchung, der hochinfektiösen Omikron-Variante und der niedrigen Impfquote der 1,4 Milliarden Chinesinnen und Chinesen. Viele haben erst zwei Impfungen mit chinesischen Tot-Impfstoffen hinter sich, die effizienteren mRNA-Impfstoffe hat Peking bislang nicht zugelassen. Und schon zuletzt infizierten sich in China trotz aller Eindämmungsmaßnahmen laut offiziellen Zahlen rund 30.000 Menschen täglich mit Corona, die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein.

Die Gefahr ist, dass die Infektionszahlen in China bald aus dem Ruder laufen, Krankenhäuser überfüllt sind und die Zahl der Toten rapide steigt. Dann dürften neuerliche Lockdowns unvermeidlich sein. Das würde die zaghafte wirtschaftliche Erholung, auf die jetzt zu hoffen ist, wieder abwürgen.

Die deutschen Importe aus China dürften 2022 einen neuen Rekordwert erreichen. Gleichzeitig verliert Peking aber als Absatzmarkt für die deutsche Wirtschaft an Gewicht, sodass das Handelsbilanzdefizit weiter wächst.

Ohnehin ist Chinas Wirtschaft derzeit im Stop-and-go-Modus: Nach einer schwachen Entwicklung bis zur Jahresmitte fiel das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) im dritten Quartal 2022 um 3,9 Prozent höher aus als im Vorjahreszeitraum. Das lag vor allem an den heruntergefahrenen Restriktionen aufgrund der recht niedrigen Infektionsraten im Sommer und Frühherbst. Die OECD ging in diesem Umfeld in ihrer jüngsten Prognose für China von einem realen Wirtschaftswachstum von 3,3 Prozent für 2022 aus. Doch dann stiegen die Infektionszahlen und es kam im November zu vermehrten Lockdowns, sodass die recht optimistische OECD-Prognose inzwischen Makulatur sein dürfte.

Sollten die nun erzwungenen Lockerungen in ein Infektionschaos münden, sind neue Abschottungsmaßnahmen vorprogrammiert. Insbesondere die Schließung der Häfen Chinas würde zudem die globale Lieferkettensituation, die sich gerade zu entspannen beginnt, erneut verschärfen.

Deutsches Handelsbilanzdefizit gegenüber China immer größer

Ungeachtet all dieser Unwägbarkeiten hat der bilaterale Handel zwischen China und Deutschland zuletzt weiter an Fahrt aufgenommen, vor allem die Einfuhren aus dem Reich der Mitte dürften in diesem Jahr einen neuen Rekordwert erreichen (Grafik):

In den ersten drei Quartalen des Jahres 2022 importierte Deutschland chinesische Waren im Wert von knapp 143 Milliarden Euro.

Deutsch-chinesischer Warenhandel in Milliarden Euro Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Damit legten die deutschen Wareneinfuhren aus China im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um rund 42 Prozent zu. Da die weltweiten Importe Deutschlands im selben Zeitraum allerdings nur um gut 28 Prozent gestiegen sind, hat China seine Position als wichtigster Warenlieferant noch einmal deutlich ausgebaut.

Anders stellt sich die Exportseite dar: In den ersten drei Monaten des Jahres 2022 führte Deutschland Waren im Wert von knapp 81 Milliarden Euro nach China aus. Damit stiegen die Warenexporte ins Reich der Mitte um 5,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, während die Ausfuhren in alle Länder im selben Zeitraum mit 15,2 Prozent dreimal so stark zulegten. China verliert also als Absatzmarkt für die deutsche Wirtschaft an Gewicht:

Lag China 2021 noch auf Rang zwei der wichtigsten Ausfuhrpartner, rangiert es 2022 bislang nur noch an vierter Stelle.

Da Deutschland aber gleichzeitig immer mehr Waren aus China importiert, wächst das Handelsbilanzdefizit gegenüber Peking nunmehr zum vierten Mal in Folge: Im Jahr 2021 betrug die Handelslücke bereits beachtliche 39 Milliarden Euro, in den ersten drei Quartalen 2022 kamen knapp 62 Milliarden Euro zusammen. Würde man die bisherige Entwicklung weiter fortschreiben, könnte sich das Defizit am Jahresende auf mehr als 80 Milliarden Euro belaufen – und wäre damit doppelt so hoch wie 2021.

Diversifikation wäre wirtschaftlich möglich

Statt zu diversifizieren macht sich Deutschland immer abhängiger von China. Dabei wäre ein Umsteuern mittelfristig zu vertretbaren Kosten möglich: Studien des ifo Instituts und des Instituts für Weltwirtschaft zeigen, dass es Deutschland lediglich knapp 1 Prozent an realer Wirtschaftsleistung kosten dürfte, wenn es sich innerhalb von rund zehn Jahren weitestgehend von China abkoppelt – vorausgesetzt, dass sich mittelfristig andere Absatzmärkte und Lieferanten finden.

Selbst doppelt oder dreimal so hohe BIP-Einbußen wären über einen Zeitraum von zehn Jahren verteilt kein Drama. Politik und Unternehmen sollten deshalb besser heute als morgen damit beginnen, neue Handelspartner zu suchen. US-Unternehmen wie Apple verfolgen diese Strategie schon längst: Zwar ist China mit einem Anteil von 36 Prozent immer noch Apples wichtigster Zulieferer, doch iPhones lässt das Unternehmen bereits auch in Indien fertigen, die Produktion von AirPods und iPads erfolgt zum Teil in Vietnam.

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