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„Die Dekarbonisierung ist ein gutes Geschäft für Bayer“

68 deutsche Unternehmen haben Ende April an die Bundesregierung appelliert, künftige Konjunkturpakete zur Bewältigung der Corona-Krise systematisch klimafreundlich auszurichten. Zu den Unterzeichnern zählt auch der Agrarchemie- und Pharmakonzern Bayer. Warum Deutschland und alle anderen Nationen den Klimawandel auch in Corona-Zeiten weiter bekämpfen sollten, erklärt Matthias Berninger, Leiter „Public Affairs und Nachhaltigkeit“ bei der Bayer AG.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die Klimaveränderungen habe ganz massive Auswirkungen auf das Geschäft, sagt Matthias Berninger, Leiter „Public Affairs und Nachhaltigkeit“ bei der Bayer AG.
  • Weil sich die Klimaveränderungen direkt auf die Bayer-Wertschöpfungsketten auswirken würden, wolle die Mehrzahl der großen Investoren, dass das Unternehmen wirksame Maßnahmen für den Klimaschutz ergreife, so Berninger. Aus diesem Grund hat sich Bayer im vergangenen Jahr entschieden, bis 2030 klimaneutral zu werden.
  • Wenn man über Klima-Konjunkturprogramme rede, dann solle man über Investitionen nachdenken, die langfristig die Resilienz erhöhen und wertschöpfend sind, sagt der Nachhaltigkeitsexperte.
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Die ganze Welt sucht fieberhaft nach einem Corona-Impfstoff. Warum setzt sich Bayer ausgerechnet jetzt für ein Klima-Konjunkturprogramm ein?

Wir sind wie viele andere Unternehmen der Pharmaindustrie daran beteiligt, Strategien gegen die Pandemie zu entwickeln – das gilt nicht nur für Impfstoffe, sondern auch für Therapien und den gesamten Bereich des Testings. Bayer hat sich dabei für Partnerschaften entschieden, die früher undenkbar waren. Es gibt im Kampf gegen Covid-19 nicht mehr die klassischen Wettbewerber – es wird nun nicht nur über die Grenzen von Ländern, sondern auch von Unternehmen zusammengearbeitet.

Die Klimakatastrophe ist, anders als die Corona-Krise, dagegen schon länger eine Herausforderung. Bayer hat sich im vergangenen Jahr entschieden, hier aktiv zu werden, weil die Klimaveränderungen ganz massive Auswirkungen auf unser Geschäft haben. Wir müssen also das Kunstwerk vollbringen, die Pandemie in den Griff zu bekommen und gleichzeitig die großen, wenn nicht sogar noch größeren Probleme rund um den Klimaschutz und die Dekarbonisierung zu bewältigen.

Matthias Berninger, Leiter Public Affairs und Nachhaltigkeit bei der Bayer AG; Foto: Bayer Wie beeinflusst der Klimawandel Ihr Geschäft?

Im Agrargeschäft leiden wir beispielsweise unter der fortschreitenden Trockenheit in Australien, in Indien ist der Zugang zu Frischwasser ein ernsthaftes Problem. In den Vereinigten Staaten wiederum gibt es zu viel Regen, vor allem im Mittleren Westen. All das wirkt sich auf ein saisonales Geschäft extrem aus. Hinzu kommen die negativen Auswirkungen von Hitze auf die Gesundheit und damit auch auf die Gesundheitssysteme. Klimaveränderungen beispielsweise sorgen für eine weitere Ausbreitung von Tropenkrankheiten. All das wirkt sich auch auf unsere Arbeit aus.

Hat das Thema Nachhaltigkeit bei Bayer infolge der Corona-Krise an Bedeutung gewonnen oder verloren?

Weder noch. Die Klimaveränderungen wirken sich direkt auf unsere Wertschöpfungsketten aus. Die Mehrzahl unserer großen Investoren will, dass wir wirksame Maßnahmen für den Klimaschutz ergreifen. Und sie wollen das nicht aus PR-Gründen, sondern weil sie ihre Investments langfristig absichern möchten. Im landwirtschaftlichen Bereich forschen wir deshalb beispielsweise intensiv an Pflanzen, die extremen Witterungsbedingungen standhalten.

Es gibt – nicht nur in Deutschland – Unternehmen, die finden, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt sei, um noch zusätzliche Umweltauflagen zu stemmen.

Also, ich glaube, das ist der Western von gestern.

Wie meinen Sie das?

Es rücken beispielsweise die Biologie und Rechnerkapazitäten immer stärker zusammen und ich würde mir wünschen, dass in ein Thema wie die Bioökonomie viel mehr Bewegung kommt, auch in Deutschland. Anders als bei künstlicher Intelligenz haben wir bei der Bioökonomie noch die Möglichkeit, eine Vorreiterrolle einzunehmen. Denn solche Innovationen sind nötig, um der Menschheit dabei zu helfen, sich an die kommenden Klimaveränderungen besser anzupassen.

Wir müssen das Kunstwerk vollbringen, die Pandemie in den Griff zu bekommen und gleichzeitig die großen, wenn nicht sogar noch größeren Probleme rund um den Klimaschutz und die Dekarbonisierung zu bewältigen.

Was sollte denn ein Klima-Konjunkturpaket konkret beinhalten?

Ein großes Thema für uns ist die Digitalisierung des ländlichen Raums. Wir wissen, dass wir durch die flächendeckende Einführung von digitalen Technologien in der Landwirtschaft nicht nur die Aussaat effektiver steuern können, sondern auch den Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln massiv reduzieren können. Die Digitalisierung kann also sehr dabei helfen, den Klimafaktor Landwirtschaft positiv zu beeinflussen.

Wenn man über Klima-Konjunkturprogramme redet, dann sollte man über Investitionen nachdenken, die langfristig die Resilienz erhöhen und wertschöpfend sind. Die Digitalisierung ist dabei eine Grundvoraussetzung, um die Wirtschaft umzustellen. Die Digitalisierung würde zum Beispiel auch ermöglichen, dass Technologien wie das Carbon Storage, also die Speicherung von CO2 im Boden, den Durchbruch schaffen. Denn wir werden den Klimawandel nur dann bewältigen, wenn wir Energie einsparen, auf grünen Strom umsteigen und eben auch erfolgreich CO2-Emissionen in Pflanzen und im Boden binden.

Bayer ist ein Global Player, das Unternehmen erzielt nur 5 Prozent seines Jahresumsatzes in Deutschland. Welchen Nutzen kann da ein deutsches Klima-Konjunkturpaket entfalten?

Ich hoffe, dass dieses Thema in die europäische Diskussion eingebettet wird. Und die Datenlage ist ja eindeutig: Wenn wir den Anstieg der CO2-Emissionen nicht deutlich verlangsamen, dann werden wir nicht in der Lage sein, die heute schon feststehenden Klimaveränderungen zu bewältigen, ohne dass es zu massiven Verwerfungen kommt. Deswegen kann der Kontinent nur geschlossen an dieses Thema herangehen.

Wie realistisch ist ein globales Hilfsprogramm, das sowohl die Pandemie als auch das Klima in den Blick nimmt?

Die G-20-Staaten könnten ein solches globales Kriseninterventionsprogramm in Richtung einer resilienteren Wirtschaft anschieben, das hat auch in der Vergangenheit bei anderen Themen wie der Asienkrise und der weltweiten Finanzkrise sehr gut geklappt.

Kann Bayer trotz der Corona-Krise das Ziel, bis 2030 klimaneutral zu sein, noch erreichen?

Klar. Natürlich wird Corona vieles massiv verändern. Resilienz wird künftig ein Kernbestandteil jeder Unternehmensstrategie sein. Investoren werden fragen, wie widerstandsfähig das Geschäftsmodell gegen Klimaveränderungen ist, gegen Verwerfungen in der Bevölkerung, gegen Pandemien und vieles andere mehr. Da Dekarbonisierung ein zentrales Thema unter dem Stichwort Resilienz ist, glaube ich, dass das auch ein gutes Geschäft für Bayer ist. Wir sind ja interessant aufgestellt: Bayer ist systemisch relevant, weil wir zur Gesundheit und zur Ernährung der Menschen einen wesentlichen Beitrag leisten – wie es auch unsere Vision ausdrückt „Health for all, hunger for none“.

Die Klimaneutralität bis 2030 erreichen Sie also auch ohne ein Klima-Konjunkturpaket der Bundesregierung?

Wir haben zumindest alle Weichen dafür gestellt.

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