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„Die Arbeitszeit ist Sache der Betriebe“

Wie eine moderne Arbeitszeitpolitik aussehen kann, erläutert Hagen Lesch, Leiter des Kompetenzfelds Tarifpolitik und Arbeitsbeziehungen im Institut der deutschen Wirtschaft.

Kernaussagen in Kürze:
  • Individuelle Arbeitszeitwünsche stehen bei Tarifverhandlungen mittlerweile häufig im Mittelpunkt. Für die Betriebe ist die Umsetzung oftmals schwierig, sagt IW-Tarifexperte Hagen Lesch.
  • Der Gesetzgeber und die Tarifparteien stehen in der Verantwortung, die Rahmenbedingungen zeitgemäß zu gestalten. Im Moment herrscht hier dringender Reformbedarf.
  • Innerhalb einer Branche können die Anforderungen an die Arbeitszeit zwischen kleinen und Großbetrieben stark variieren. Eine stärkere Differenzierung ließe sich durch Öffnungsklauseln und Arbeitszeitkorridore erreichen.
Zur detaillierten Fassung

Die Arbeitszeit beherrscht wieder viele Tarifrunden. Ausgehend von dem im Jahr 2016 eingeführten Wahlmodell bei der Deutschen Bahn, bei dem die Mitarbeiter eine Lohnerhöhung in zusätzliche Freizeit umwandeln können, fordern nun auch große Branchengewerkschaften Wahlmodelle. Auch wenn bei diesen Regelungen individuelle Arbeitszeitwünsche im Mittelpunkt stehen: Die Tarifparteien bürden der betrieblichen Arbeitszeitpolitik zusätzliche Bürokratie auf.

Ein Problem besteht vor allem dann, wenn eine Tarifregelung Erwartungen weckt, die in den Betrieben nicht umgesetzt werden können. Durch den Fachkräftemangel, der sich von Betrieb zu Betrieb unterscheidet, ist es vielfach schwierig, Wünschen nach zusätzlicher Freizeit zu entsprechen.

Hagen Lesch ist Leiter des Kompetenzfelds Tarifpolitik und Arbeitsbeziehungen im Institut der deutschen Wirtschaft; Foto: IW Medien Dies wirft die grundsätzliche Frage auf, wer für die Arbeitszeitpolitik zuständig ist. Der optimale Ort für eine innovative und passgenaue Gestaltung der Arbeitszeiten ist nun mal der Betrieb. Dies geschieht im Rahmen gesetzlicher Vorgaben, zum Beispiel bei der täglichen Höchstarbeitsgrenze von zehn Stunden, und – bei tarifgebundenen Unternehmen – unter Beachtung tarifvertraglicher Regelungen.

Der Gesetzgeber und die Tarifparteien stehen in der Verantwortung, die Rahmenbedingungen jeweils zeitgemäß zu gestalten. Aufgrund der digitalisierten Arbeitswelt und infolge der wachsenden Arbeitszeitsouveränität vieler Arbeitnehmergruppen hat sich in den vergangenen Jahren ein Reformbedarf aufgestaut.

Der optimale Ort für eine innovative und passgenaue Gestaltung der Arbeitszeiten ist der Betrieb.

So greift der deutsche Gesetzgeber bei der Festlegung der täglichen Höchstarbeitsgrenze unnötig in die Gestaltungsspielräume von Beschäftigten und Unternehmen ein. Die europäische Arbeitszeitrichtlinie schreibt lediglich eine wöchentliche Höchstgrenze vor. Auch die elfstündige Ruhezeit ist in Zeiten, in denen dienstliche E-Mails auch mal am Abend beantwortet werden, eher anachronistisch. Hier sollten zumindest Bagatellgrenzen definiert werden, bei deren Unterschreitung die Ruhephase nicht als gestört oder unterbrochen gilt.

Angesichts der sinkenden Tarifbindung müssen auch die Tarifparteien prüfen, wie zeitgemäß ihre Regelungen noch sind. In der Metall- und Elektro-Industrie etwa stößt die 35-Stunden-Woche auf große Vorbehalte. Da nützt es wenig, wenn verschiedene Quotenregelungen Ausnahmen erlauben. In Ostdeutschland, wo die gleichen Quoten gelten, die Wochenarbeitszeit aber drei Stunden länger ist, sind die tarifgebundenen Betriebe deutlich zufriedener mit der Arbeitszeitregelung. Eigentlich müsste sich der Westen an den Osten angleichen. Eine moderne Tarifpolitik überlässt diese Entscheidung aber den Betrieben. Die Tarifparteien würden lediglich einen Arbeitszeitkorridor vorgeben, in dem die Betriebe in Abstimmung mit ihren Betriebsräten ihre Wochenarbeitszeiten frei wählen können.

Eher national agierende kleine und mittlere Betriebe haben andere Anforderungen an die Arbeitszeit als internationale Großbetriebe. In den Tarifverträgen gibt es aber vor allem Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen und teilweise auch zwischen Ost- und Westdeutschland. Eine stärkere Differenzierung innerhalb einer Branche ließe sich durch Öffnungsklauseln und vor allem durch Arbeitszeitkorridore erreichen.

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