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Deutschlands innovativste Regionen

Ob bei Forschungsausgaben, Firmengründungen, digitaler Vernetzung oder Patentleistung: Die süddeutschen Industriezentren sowie – weniger ausgeprägt – die Regionen im Westen haben in den zentralen Innovationsindikatoren fast durchgängig die Nase vorn. Damit der Norden und der Osten aufholen können, muss der Staat handeln.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die süddeutschen Industriezentren sowie – weniger ausgeprägt – die Regionen im Westen liegen bei den zentralen Innovationsindikatoren fast durchgängig vorn.
  • Besonders stark ist das regionale Gefälle laut IW-Innovationsatlas bei den Forschungsaufwendungen und den Patentanmeldungen.
  • Damit vor allem die ländlichen Regionen im Norden und Osten Deutschlands in Sachen Innovationen nicht dauerhaft den Anschluss verlieren, muss die Politik unter anderem die Forschungsaktivitäten der Unternehmen stärker steuerlich fördern.
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Seltene Erden? Öl? Gas? Deutschland hat kaum Bodenschätze, mit denen ein Staat viel Geld verdienen und damit den Wohlstand fördern kann. Um Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum zu sichern, sind deshalb Innovationen umso wichtiger – ganz abgesehen davon, dass der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft nur mit innovativen Produkten und Prozessen zu bewältigen ist.

Wie die einzelnen Regionen in Deutschland diesbezüglich aufgestellt sind, hat das Institut der deutschen Wirtschaft in seinem neuen Innovationsatlas zusammengetragen. Einige zentrale Ergebnisse:

Forschungsaufwendungen der Wirtschaft. Das Ziel der EU, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) bis 2020 auf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern, hat Deutschland bereits 2019 mit 3,2 Prozent erfüllt. Maßgeblich war, dass die Unternehmen ihre Forschungsaktivitäten in den vergangenen Jahren massiv gesteigert haben. Im bundesweiten Schnitt investierten sie 2019 gut 2,4 Prozent der Bruttowertschöpfung in FuE und steuerten so rund drei Viertel aller FuE-Aufwendungen bei.

Auf regionaler Ebene ist das Gefälle allerdings groß:

Während die FuE-Intensität in Baden-Württemberg im Jahr 2019 – neuere Daten liegen nicht vor – mehr als 5,3 Prozent erreichte, betrug sie in Sachsen-Anhalt im Schnitt weniger als 0,5 Prozent.

Noch deutlichere Unterschiede zeigen sich zwischen den vom IW definierten 85 Wirtschaftsräumen (WR) in Deutschland. Hier liegt der von der Automobilindustrie geprägte WR Braunschweig/Wolfsburg/Gifhorn/Helmstedt mit FuE-Aufwendungen von fast 9,6 Prozent der Bruttowertschöpfung klar in Front. Den letzten Platz belegt der WR Emden mit lediglich 0,08 Prozent.

Technologieorientierte Unternehmensgründungen. Junge Firmen, die neue Produktideen und Technologiekonzepte auf den Markt bringen, sind nicht nur selbst innovativ. Sie erhöhen auch den Wettbewerbsdruck auf etablierte Unternehmen und steigern dadurch zusätzlich die Innovationskraft eines Landes.

Unternehmensgründungen in innovationsaffinen Branchen – also jenen mit in Relation zum Umsatz überdurchschnittlich hohen FuE-Aufwendungen – unterliegen ebenfalls einem regionalen Gefälle, das allerdings nicht so stark ist wie bei der FuE-Intensität (Grafik):

In der Region Rottweil/Schwarzwald-Baar-Kreis/Tuttlingen wurden von Mitte 2017 bis 2022 relativ gesehen die meisten Unternehmen in innovationsaffinen Branchen gegründet – nämlich 32 je 10.000 aktive Unternehmen.

Unternehmensgründungen in innovationsaffinen Branchen je 10.000 aktive Unternehmen Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Am niedrigsten war diese Quote im WR Pirmasens mit sieben innovationsorientierten Gründungen je 10.000 bestehende Unternehmen.

Die meisten Unternehmensgründungen in innovationsaffinen Branchen gab es zuletzt in den Wirtschaftsräumen Rottweil, Karlsruhe und München.

Der hohe Wert des Spitzenreiters dürfte vor allem auf die Attraktivität Tuttlingens als Cluster für Medizintechnik zurückzuführen sein. Die ebenfalls auf dem Treppchen platzierten Wirtschaftsräume Karlsruhe und München haben nicht zuletzt mit ihren etablierten Forschungsinstitutionen Start-ups angezogen.

Generell lassen sich die technologieorientierten Gründer häufig in den Ballungszentren nieder – trotz der dort hohen Mieten. Erklären lässt sich dies damit, dass beispielsweise innovative IT-Dienstleister keine großen Gewerbeflächen benötigen. Zugleich bieten die Metropolen ein großes Potenzial an qualifizierten Arbeitskräften.

Affinität zur Industrie 4.0. Für viele Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes ist es unabdingbar, ihre gesamten Wertschöpfungsprozesse zu digitalisieren und zu vernetzen – wobei auch die Kunden einbezogen werden. Nur so können die Firmen dauerhaft im internationalen Wettbewerb bestehen.

Auf der Ebene der Bundesländer war der Anteil solcher Industrie-4.0-affinen Unternehmen im Jahr 2020 in Hamburg mit 13 Prozent am höchsten, dicht gefolgt von den anderen Stadtstaaten, Berlin und Bremen, mit jeweils 12 Prozent. Im dünn besiedelten Mecklenburg-Vorpommern betrug der Anteil der Firmen, die für die Industrie 4.0 gerüstet sind, lediglich 6 Prozent.

Darüber hinaus gibt es eine digitalisierte und vernetzte Produktion vor allem in jenen Regionen, wo viele und/oder große Firmen einer Branche angesiedelt sind (Grafik):

Die höchsten Anteile an Industrie-4.0-affinen Unternehmen verzeichnen die Automobilregion München, der Wirtschaftsraum Darmstadt mit vielen Betrieben des Maschinenbaus, der Chemie und der Pharmabranche sowie die Region Kiel mit ihrem starken Marineschiffbau.

Wirtschaftsräume in Deutschland mit den meisten/wenigsten Industrie-4.0-affinen Unternehmen in Prozent aller Unternehmen im Jahr 2020 Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Generell gilt, dass der Übergang zur Industrie 4.0 von leistungsfähigem Breitbandinternet abhängt. Vor allem die ländlichen Regionen Deutschlands liegen hier zurück – entsprechend wenige Industrie-4.0-affine Unternehmen sind dort bislang zu finden.

Patentanmeldungen. Am Ende eines intensiven Forschungs- und Entwicklungsprozesses steht oft ein Patent – die Anmeldungen sind deshalb ein besonders wichtiger Innovationsindikator. Die vom IW ermittelten Zahlen für 2019 – dies ist aufgrund der langen Offenlegungsfristen der aktuelle Datenstand – zeigen auch bei dieser Messgröße eine deutliche Führungsposition der süddeutschen Industrieregionen (Grafik):

Erfinder in Baden-Württemberg und Bayern meldeten 2019 – je 100.000 Beschäftigte – 321 beziehungsweise 236 Patente an. Alle anderen Bundesländer lagen unter dem deutschlandweiten Durchschnitt von 147.

Patentanmeldungen je 100.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Jahr 2019 nach dem Sitz des Erfinders Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Die Ergebnisse für die Wirtschaftsräume unterstreichen die Dominanz des Südens – vor allem gegenüber den ostdeutschen Regionen. Auf Erfinder mit Wohnsitz in den Regionen Stuttgart, Ingolstadt und Kon-stanz gingen zuletzt jeweils mehr als 400 Patentanmeldungen je 100.000 Beschäftigte zurück – in den Wirtschaftsräumen Uckermark, Dessau-Roßlau und Cottbus waren es weniger als 20.

Fasst man alle Indikatoren zusammen, liegen die Wirtschaftsräume Stuttgart, Wolfsburg, Karlsruhe/Baden-Baden, München und Ingolstadt auf den vorderen Plätzen des Innovationsrankings, das Schlusstrio bilden Ostprignitz-Ruppin, Lüchow-Dannenberg und Mansfeld-Südharz. Eine Ausnahme von den generell unterdurchschnittlichen Ergebnissen für den Osten Deutschlands bildet lediglich der WR Jena auf dem Gesamtrang 27.

Politik muss die ländlichen Räume stärken

Verglichen mit 2017, als das IW erstmals den Innovationsatlas erstellte, hat sich das Gefälle innerhalb Deutschlands verschärft, sodass die ländlichen Regionen dauerhaft den Anschluss zu verlieren drohen. Die Politik muss deshalb handeln.

Unter anderem sollte der Staat die FuE-Aktivitäten der Unternehmen stärker steuerlich fördern und einem größeren Adressatenkreis zugutekommen lassen. Um den langfristig rückläufigen Trend bei den Unternehmensgründungen zu stoppen und umzukehren, sollten die Bundesländer ihre Hochschulen dazu motivieren, das Thema Unternehmertum stärker in ihre Lehrinhalte zu integrieren und ihre Transferzentren gezielt auf Ausgründungen auszurichten. Nicht zuletzt muss die öffentliche Hand flächendeckend sogenannte One-Stop-Shops einrichten beziehungsweise ausbauen, mit deren Hilfe der Glasfaserausbau gerade auf dem Land schneller geplant und durchgeführt werden kann.

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