Der Koalitionsvertrag nachgerechnet
Koalitionsverträge sind zwangsläufig Kompromisse, doch worauf sich Union und SPD Anfang Februar geeinigt haben, ist kein beherzter Modernisierungskurs, sondern der Versuch, Wirtschaft und Gesellschaft durch kleinteilige Maßnahmen zu steuern. Schlimmer noch: Wird alles wie geplant umgesetzt, steht am Ende ein zweistelliges Milliardendefizit im Bundeshaushalt.
- Das IW hat den Groko-Vertrag analysiert – Pluspunkte sind die Politikfelder Familie, Bildung und Forschung sowie Digitalisierung, problematisch die Bereiche Rente, Steuern und Arbeitsmarkt.
- Die im Koalitionsvertrag aufgelisteten Maßnahmen verursachen in dieser Legislaturperiode Kosten von 66 Milliarden Euro, gedeckt sind davon nur 46 Milliarden Euro.
- Besonders teuer wird unter anderem die Mütterrente sowie die paritätische Finanzierung der Krankenversicherung.
Auf 179 Seiten listen die Koalitionspartner CDU/CSU und SPD fast 100 Programme auf, die sie während ihrer Regierungszeit umsetzen wollen. Und einige davon haben es durchaus verdient, mit dem Adjektiv zukunftsorientiert versehen zu werden. Drei Beispiele:
- Familien mit Kindern bekommen mehr Kindergeld und einen höheren Kinderzuschlag. Dafür sind 4,5 Milliarden Euro vorgesehen.
- In den Bereich Bildung, Forschung und Hochschulen sollen zusätzlich rund 9,5 Milliarden Euro fließen. Mit dem Geld sollen unter anderem die Forschung und Entwicklung gefördert, 100.000 Kita-Plätze geschaffen und die Hochschulfinanzierung gesichert werden.
- In Sachen Digitalisierung setzt der Koalitionsvertrag wichtige Schwerpunkte und Impulse. Unter anderem werden eine bundesweite digitale Infrastruktur bis 2025 sowie der Ausbau der digitalen Bildung und Verwaltung versprochen.
Was jedoch die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit sowie die technischen und demografischen Herausforderungen angeht, stellt der Koalitionsvertrag die falschen Weichen. Auch hier drei Beispiele:
- In der Rentenpolitik blenden Union und SPD nicht nur die demografischen Veränderungen aus, sie nehmen sogar die Reformen der Vergangenheit de facto zurück und schaffen neue Leistungsansprüche, indem sie die Mütterrente ausbauen und eine Grundrente einführen.
- In der Steuerpolitik verschieben die Koalitionäre die Abschaffung des Solis ans Ende der Legislaturperiode und begrenzen sie auf 90 Prozent der Zahler. Immerhin soll die kalte Progression ausgeglichen werden.
- In der Arbeitsmarktpolitik will die Koalition das Befristungsrecht ohne Not drastisch verschärfen (siehe „Befristungen: Das eingebildete Problem“). Außerdem erhöht sie durch die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Krankenkassenbeiträge die Arbeitskosten.
Allein dieser Dreiklang aus Rente, Steuern und Arbeitsmarkt wird die Beschäftigung in Deutschland verteuern – was im Widerspruch zur anvisierten Vollbeschäftigung steht.
Die fiskalischen Effekte des Koalitionsvertrags: Es wird teuer
Die neue Bundesregierung wird sich auch daran messen lassen müssen, wie sie mit Geld umgeht. Das IW hat den Koalitionsvertrag unter diesem Aspekt analysiert und kommt – trotz bewusst vorsichtiger Abschätzung – zu einem nicht besonders schmeichelhaften Ergebnis (Grafik ):
Unter dem Strich hat allein der Bund in den Jahren 2018 bis 2021 einen Finanzierungsbedarf von mindestens 66 Milliarden Euro – seine frei verfügbaren Mittel betragen laut Koalitionsvertrag aber nur 46 Milliarden Euro.
Bis 2021 droht dem Bundeshaushalt also ein Defizit von 20 Milliarden Euro. Hinzu kommen eventuell noch bis zu 13,5 Milliarden Euro für den Breitbandausbau und den Digitalpakt Schulen, die aus den Versteigerungserlösen der 5G-Lizenzen finanziert werden sollen. Nicht in der IW-Rechnung sind auch jene Maßnahmen, für die noch keine konkreten Kosten genannt werden oder die noch nicht seriös zu beziffern sind.
Aus dem Koalitionsvertrag ergibt sich bis 2021 für den Bund ein Finanzierungsbedarf von 66 Milliarden Euro – gedeckt sind davon 46 Milliarden.
Das Milliardenminus beim Bund ergibt sich aus folgender Rechnung:
Mehrausgaben: Mütterrente, höhere Überweisungen an den EU-Haushalt infolge des Brexit und all die anderen Vorhaben führen bei Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen zu Mehrausgaben von insgesamt 50,6 Milliarden Euro – davon entfallen 48,2 Milliarden auf den Bund.
Mindereinnahmen: Der Abbau des Solis und der kalten Progression sowie die Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung bescheren dem Staat und den Sozialversicherungen Mindereinnahmen von 40,9 Milliarden Euro – davon entfallen 19 Milliarden Euro auf den Bund.
Mehrausgaben und Mindereinnahmen summieren sich beim Staat und den Sozialversicherungen auf 91,5 Milliarden Euro – davon entfallen 67,2 Milliarden Euro auf den Bund.
Dem stehen lediglich 3 Milliarden Euro an Mehreinnahmen durch die Abgeltungssteuer entgegen – davon 1,3 Milliarden Euro für den Bund.
Die Haushaltsrisiken sind vermutlich noch größer, denn die Rechnungsposten verteilen sich nicht gleichmäßig auf die Jahre 2018 bis 2021, sondern das Gros fällt am Ende der Legislaturperiode an. Aus politischer Sicht ergibt das durchaus Sinn, denn 2021 steht die nächste Bundestagswahl an und da machen sich Wahlgeschenke für die eine oder andere Klientel immer gut.
Selbst die nächsten Wahlgeschenke sind schon eingeplant: Die größten Ausgabenposten lauern Ende dieser Legislaturperiode.
Für den Steuerzahler aber, der das alles letztlich bezahlen muss, wird es teuer: Denn selbst wenn der Bund bis 2021 neue Schulden verhindern kann – danach werden die zusätzlichen Ausgaben kaum ohne neue Kredite, Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen zu finanzieren sein.
Weil sich die Ausgaben zu Beginn des kommenden Jahrzehnts sprunghaft erhöhen, ohne dass steigende Einnahmen zu erwarten sind, droht folglich ein noch größeres Milliardenloch (Grafik):
Nach derzeitiger Einnahmeprognose fehlen dem Bund im Jahr 2022 mindestens 39 Milliarden Euro in der Kasse.
Deshalb wird der neuen Regierung wohl nichts anderes übrig bleiben, als entweder ihren Maßnahmenkatalog deutlich abzuspecken – oder das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts aufzugeben.