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Der deutsche Schienenverkehr ist besser als sein Ruf

2021 ist das europäische Jahr der Schiene. In dieser Zeit möchte die EU-Kommission auf die Wichtigkeit und das Potenzial des Schienenverkehrs aufmerksam machen und Bahnen als sicheres und umweltfreundliches Verkehrsmittel bewerben. Doch gibt es an der deutschen und der europäischen Schiene überhaupt etwas zu loben?

Kernaussagen in Kürze:
  • 27 Jahre nach der Bahnreform hat die deutsche Schiene wie erhofft Marktanteile im Personen- und Güterverkehr gewonnen.
  • Die europäische und auch die deutsche Schiene vereinen beide Schienenpotenziale - Personen- und Güterbeförderung - in einem hohen Maße. Andere Nationen glänzen oft nur in einem der beiden Schwerpunkte.
  • Um weitere Fortschritte zu erzielen, ist es von großer Bedeutung, dass Europa weitere Schritte hin zu einem einheitlichen Verkehrsraum Schiene geht.
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Über den deutschen Bahnverkehr sprechen die Bundesbürger oft spöttisch. Zu spät, unzuverlässig, veraltet – so der Tenor. Dass Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr Erfolge verzeichnen konnte und die europäische Schiene im internationalen Vergleich gut dasteht, übersehen kritische Stimmen oft.

Der Blick auf die Entwicklung des deutschen Schienenverkehrs zeigt: 27 Jahre nach der Bahnreform, die den Schienensektor für den Wettbewerb öffnete, hat die Schiene wie erhofft Marktanteile gewonnen. Obwohl der Wettbewerb erst zehn Jahre nach der Reform Schwung aufnahm, wächst der Marktanteil der Schiene seither kontinuierlich. Vor allem der Schienengüterverkehr konnte seit Beginn der 2000er Jahre durch mehr unternehmerisches und weniger staatlich reguliertes Handeln seine Verkehrsleistung stark erhöhen. Im Jahr 2019 transportierte er rund ein Fünftel aller beförderten Güter.

Schaut man einmal über die Landesgrenzen hinaus, fällt eine Qualität des europäischen Schienenverkehrs besonders auf – die Kombination aus Güter- und Personenbeförderung.

Den Personenverkehr dominiert trotz ebenfalls gestiegener Schienenverkehrsleistung noch immer die wettbewerbsintensivere Straße. Rund 80 Prozent der Bundesbürger bevorzugen private Fahrzeuge, um von A nach B zu kommen. Die Bahn liegt weit dahinter (Grafik):

Im Jahr 2019 deckte der Bahnverkehr nicht einmal 9 Prozent der Personenbeförderung ab.

So hoch war der prozentuale Anteil der deutschen Schiene am... Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Auch wenn die Liberalisierung der Schiene nicht direkt zu Beginn für kräftige Zuwächse der Produktivität des Bahnsektors gesorgt hat, hat sich die Marktöffnung in den vergangenen Jahrzehnten als Erfolg herausgestellt. Auch andere Nationen, zum Beispiel Japan, zeigen, dass ein dem Wettbewerb geöffneter Schienenverkehrsmarkt durchaus erfolgreich sein kann und hilft, neue Kunden auf die Schiene zu holen. Solche Maßnahmen bleiben also auch für den noch ausbaufähigen deutschen Personenverkehr interessant.

Die Stärke des europäischen Schienenverkehrs

Schaut man einmal über die Landesgrenzen hinaus, fällt eine Qualität des europäischen Schienenverkehrs, zu dem auch Deutschland einen großen Teil beiträgt, besonders auf – die Kombination aus Güter- und Personenbeförderung. Andere Nationen glänzen mit ihren Beförderungsmengen oft entweder nur im Güter- oder nur im Personenverkehr.

Vergleicht man die europäische Schiene allein im Hinblick auf die erbrachten Tonnenkilometer mit anderen Nationen, wird der Unterschied besonders deutlich (Grafik):

Die Bahnen in den USA leisteten 2018 rund das Sechsfache von dem, was im europäischen Gütertransport auf der Schiene zurückgelegt wurde. So viele Milliarden Leistungskilometer legten die nationalen Bahnen 2018 zurück Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Doch dieses Gefälle stellt sich bei genauerer Betrachtung als weniger dramatisch heraus. Pauschal Tonnenkilometer verschiedener Nationen miteinander zu vergleichen und aufgrund dessen auf die Gesamtleistung der Schiene zu schließen, ist zu einseitig. Das gilt auch für den internationalen Vergleich von Personenkilometern. Geografische Gegebenheiten spielen eine wichtige Rolle für den Schienenverkehr und dessen Bedeutung im jeweiligen Land.

Japans Vorteil im Personenverkehr

In Japan zum Beispiel legten die Bahnen 2018 weniger als 1 Prozent der in den USA erbrachten Tonnenkilometer zurück. Dafür schafften sie aber das Zwölffache an Personenkilometern. Das liegt daran, dass Japan ein Inselstaat ist und die meisten Güter per Küstenschiff transportiert werden. Das Land braucht und hat demzufolge fast keinen Schienengüterverkehr. Man liegt keineswegs falsch, wenn man Japan für seinen zuverlässigen und pünktlichen Personenverkehr lobt, darf allerdings nicht vergessen, dass dort die Personenbahnen die Schiene kaum mit Güterzügen teilen müssen. Das hilft Verspätungen zu vermeiden und zudem die Abnutzung der Gleisanlagen durch schwere Güterzüge zu reduzieren.

Güterverkehr in den USA

Die USA sind mit ihrer sehr guten Performance im Güterverkehr und geringer Verkehrsleistung im Personenverkehr das Spiegelbild zu Japan. Die Größe des amerikanischen Kontinents macht es selbst Fernzügen schwer, Personen über die Schiene zu befördern – zu lang wären die Zugstrecken. Daher spielt der Personenverkehr auf der Schiene eine eher untergeordnete Rolle. An dessen Stelle treten Kurz- und Langstreckenflüge, welche wesentlich umweltschädigender sind. Güter hingegen können gut über große Entfernungen mit der Bahn transportiert werden. Die US-amerikanische Bahn spielt ihre Langstreckenvorteile gegenüber anderen Transportarten wie dem Lkw aus und kam somit im Jahr 2018 auf rund 2,5 Billionen zurückgelegte Tonnenkilometer.

Japan als Vorreiter im Personenverkehr und die USA als Spitzenreiter im Güterverkehr zu betrachten, ist also nur dann sinnvoll, wenn man sich klar macht, dass es kein Land mit japanischer Personenbeförderung und gleichzeitig US-amerikanischer Güterbeförderung gibt. Die europäische und auch die deutsche Schiene vereinen beide Schienenpotenziale in einem vergleichsweise hohen Maße –ein gutes Gesamtpaket.

Um allerdings weitere Fortschritte zu erzielen, ist es von großer Bedeutung, dass Europa weitere Schritte hin zu einem einheitlichen Verkehrsraum Schiene geht. Bislang bestehen nur leidlich verbundene nationale Schienensysteme mit einem halben Dutzend Spurbreiten und einem Dutzend Stromsystemen. Das bremst die Schiene als Langstreckentransportmittel bisher aus.

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