Der Informationsdienst
des Instituts der deutschen Wirtschaft

Der Informationsdienst
des Instituts der deutschen Wirtschaft

Interview Lesezeit 6 Min.

„Wir sind in einer Abwärtsspirale gegenseitiger Empörung“

Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie hat sich das Mediennutzungsverhalten gravierend verändert. Die meisten Menschen informieren sich mehr und auch oft über verschiedene Kanäle. Welche Rolle die sozialen Medien dabei spielen und warum der klassische Journalismus gerade besonders gefragt ist, erläutert Uwe Hasebrink, Kommunikationswissenschaftler und Direktor des Leibniz-Instituts für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut.

Kernaussagen in Kürze:
  • Ein großer Teil der veränderten Mediennutzung entfällt auf die gezielte Suche nach Informationen, die zum Verständnis der Pandemie beitragen sollen, sagt Uwe Hasebrink, Direktor des Leibniz-Instituts für Medienforschung.
  • Hasebrink beobachtet, dass derzeit insbesondere etablierte journalistische Medien wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk an Vertrauen und Glaubwürdigkeit gewinnen.
  • Die Differenzierung zwischen journalistischen und nicht journalistischen Medien sei nach wie vor stark verankert, trotz einer Teilgruppe, die Verschwörungstheorien anhängt und etablierte Medien grundsätzlich anzweifelt, so der Kommunikationswissenschaftler.
Zur detaillierten Fassung

Wie hat sich die Mediennutzung durch Corona verändert? Sind die Deutschen ein Volk der Bücherwürmer und Binge-Watcher geworden?

In dieser Krise verändern sich hinsichtlich der Mediennutzung drei Dinge: Erstens bleiben viel mehr Menschen zu Hause, was unter anderem dazu führt, dass sie weniger Auto fahren und entsprechend weniger Radio gehört wird. Weil viele kulturelle Angebote und Sportmöglichkeiten ausfallen, haben die Menschen die Möglichkeit, auch solche Medien zu nutzen, die mehr Zeit kosten – Bücher oder ganze Serien zum Beispiel. Zweitens entwickeln sich neue medienbezogene Kulturpraktiken. Da persönliche Kontakte mit anderen wegfallen oder zumindest stark reduziert sind, sitzen so viele Menschen in Videokonferenzen wie nie zuvor. Hinzu kommen Verabredungen zum digitalen Familientreffen oder zum gemeinsamen Teetrinken am Bildschirm.

Die Fähigkeit der Menschen, miteinander zu reden, Widerspruch und Unsicherheit auszuhalten und anderen, abweichenden Meinungen erst mal zuzuhören, ist derzeit nicht sehr groß. Unsere Kommunikations- und Streitkultur lässt momentan auf allen Ebenen zu wünschen übrig.

Auf einer dritten Ebene ist Covid-19 ein Thema, das verunsichert, das sogar bedrohlich ist und zu spezifischen Informationsbedürfnissen führt. Wir wollen wissen, wie die Inzidenz, die Ansteckungswahrscheinlichkeit und die Verläufe sind, was ich vermeiden sollte, wie lange das Virus auf Plastik, Leder oder Lebensmitteln überlebt, welche Masken welche Konsequenzen haben und was man sonst noch tun kann, um die Ausbreitung zu verhindern. Ein großer Teil der veränderten Mediennutzung entfällt also auf die gezielte Suche nach Informationen, die uns helfen sollen, die ganze Situation zumindest besser zu verstehen.

Welche Unterschiede gibt es hinsichtlich der veränderten Mediennutzung zwischen Jung und Alt?

Uwe Hasenbrink ist Direktor des Leibniz-Instituts für Medienforschung; Foto: David Ausserhofer In der ersten Phase war die Reaktion in der ganzen Bevölkerung sehr gleichförmig: Es gab eine enorm gestiegene Mediennutzung, insbesondere bei den etablierten klassischen Informationsmedien. Mit zunehmendem Abstand von dieser ersten Problemwahrnehmungsphase begannen sich die Mediennutzungsgewohnheiten auseinanderzuentwickeln, abhängig davon, ob man zur Risikogruppe gehört oder ob man unmittelbar von den Folgen betroffen ist – sei es durch Arbeitslosigkeit, Heimarbeit, Heimunterricht oder andere Faktoren. Gleichzeitig entstand in einem Teil der Bevölkerung eine Skepsis gegenüber politischen Maßnahmen, die auch übersprang auf etablierte journalistische Medien, denen vorgeworfen wurde und wird, nur verlängertes Sprachrohr der Bundesregierung und Behörden zu sein.

Und wie informiert sich diese Teilgruppe?

Menschen, die eine dezidierte Ansicht über bestimmte Phänomene haben, tendieren dazu, sich solchen Medien zuzuwenden, die diese Ansicht teilen. Corona ist ein Thema, das sehr polarisiert, und eine Kommunikation über diese Klüfte hinweg ist derzeit schwierig. Ein Großteil der Bevölkerung hat aber nach wie vor ein Bewusstsein dafür, dass es wichtig ist, mit ganz verschiedenen Menschen in Kontakt zu kommen und Medien zu nutzen, die vielfältig sind.

Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass man einem Medium vertrauen kann? Gibt es überhaupt noch Medien, denen die Menschen vertrauen?

Ja, es gibt nach wie vor ganz klar Medien, die besonders viel Vertrauen in der Bevölkerung genießen. In Zeiten der Verunsicherung lässt sich beobachten, dass insbesondere etablierte journalistische Medien wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk an Vertrauen und Glaubwürdigkeit gewinnen. Allerdings werden diese Medien nicht von allen genutzt. Es gibt Gruppen, die sich von den klassischen Medien aus verschiedenen Gründen verabschiedet haben – sei es, weil sie ihnen eben nicht vertrauen oder weil sie die dort präsentierten gesellschaftlichen Werte nicht teilen. Sie wenden sich meist anderen Informationsangeboten zu, die der eigenen Auffassung besser gerecht werden und denen dann wiederum vertraut wird. In diesen Gruppen gilt das Vertrauen also gerade den nicht klassischen Medien.

Warum leidet das Vertrauen in Medien aktuell?

Ein Grund sind sicherlich Fälle von schlecht recherchierten Nachrichten und absichtlichen Falschmeldungen, die über soziale Medien besonders schnelle Verbreitung finden. Wir beobachten seit 2012, dass der Anteil derjenigen, die soziale Medien als Nachrichtenquelle nutzen, kontinuierlich steigt. Die meisten benutzen sie allerdings nur ergänzend zu journalistischen, gründlich recherchierten Medien. Interessant ist, dass diejenigen, die soziale Medien als Nachrichtenquelle nutzen, den dort vermittelten Nachrichten kaum vertrauen. Die Differenzierung zwischen journalistischen und nicht journalistischen Medien ist nach wie vor stark verankert, wir haben also trotz einer Teilgruppe, die Verschwörungstheorien anhängt und etablierte Medien grundsätzlich anzweifelt, keine Krise des Journalismus.

Wie konnten Verschwörungstheorien bei einem Teil der Bevölkerung so populär werden? Ist das ein Corona-Phänomen oder wäre das so oder so passiert?

Dieses Phänomen ist nicht neu. Im Zusammenhang mit der Migrationsthematik, dem Klimawandel oder dem Populismus konnte man diese veränderte Kommunikationskultur bereits beobachten, Corona ist nur ein weiterer Katalysator dafür: Die Pandemie ist ein weiteres Streitthema, bei dem gesellschaftliche Unterschiede und Widersprüche zum Tragen kommen.

Wie viel Prozent der Bevölkerung Deutschlands haben sich vom etablierten Journalismus abgewandt?

Das ist schwer zu sagen, denn diejenigen, auf die dies zutrifft, nehmen auch selten an seriösen wissenschaftlichen Umfragen teil. Die große Mehrheit traut etablierten Medien und nutzt diese auch. Trotzdem muss man die andere, kleinere Gruppe derer, die sich als benachteiligt empfinden und das Vertrauen in die Politik verloren haben, ernst nehmen und darüber nachdenken, wie man sie wieder als Publikum gewinnt.

Gelingt das?

Im Moment habe ich nicht den Eindruck, ich sehe uns momentan in einer Abwärtsspirale gegenseitiger Empörung, es kommt derzeit schnell zu Streit oder zu Kommunikationsabbruch.

Was könnte man dagegen tun? Müsste der Staat stärker gegen Fake News vorgehen?

In vielen Staaten und in der EU werden Maßnahmen gegen Hass und Falschinformationen in den sozialen Medien ergriffen, auch viele zivilgesellschaftliche Organisationen engagieren sich. Die Regulierung der Kommunikation auf kommerziell betriebenen Plattformen stellt eine der wichtigsten politischen Herausforderungen dar. Zugleich wird derzeit für meine Begriffe eher zu viel über die sozialen Medien geschimpft. Dabei gerät aus dem Blick, dass der Großteil der Kommunikation über soziale Medien den Menschen hilft, Kontakte zu knüpfen und zu pflegen, und somit für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zuträglich ist.

Nicht nur in den sozialen Medien zeigen sich heute problematische Kommunikationsformen. Die Fähigkeit der Menschen, miteinander zu reden, Widerspruch und Unsicherheit auszuhalten und anderen, abweichenden Meinungen erst mal zuzuhören, ist derzeit nicht sehr groß. Unsere Kommunikations- und Streitkultur lässt momentan auf allen Ebenen zu wünschen übrig.

Was kann der Einzelne dagegen tun? Im Lockdown trifft man ja kaum noch andere Leute ...

Gelegenheit zur Kommunikation gibt es auch jetzt. In der Warteschlange im Supermarkt kommt es ja oft zu hässlichen Szenen, wenn man jemanden darauf hinweist, dass er die Abstandsregeln nicht einhält. Hier können wir ansetzen und überlegen, was wir beim nächsten Mal anders machen könnten. Es gibt in vielen Medien – auch auf YouTube – zahlreiche gute Empfehlungen, wie wir wieder besser miteinander reden können.

Das könnte Sie auch interessieren

Meistgelesene