Viertagewoche: Der heikle Wunsch nach weniger
Deutschland debattiert über die Viertagewoche. Befragungen zeigen, dass sich ein beträchtlicher Teil der Arbeitnehmer hierzulande wünscht, weniger zu arbeiten oder die Arbeitszeit auf weniger Tage zu verteilen. Doch angesichts einer immer älter werdenden Bevölkerung und dem Fachkräftemangel würde ein verringertes Arbeitszeitvolumen zu Wohlstandsverlusten für alle führen. Und auch die Arbeitsverdichtung auf weniger Tage hat ihre Tücken.
- In Deutschland würde etwa ein Drittel der Vollzeitkräfte bei entsprechender Lohnanpassung gerne weniger arbeiten.
- Die IG Metall ging zuletzt noch weiter und forderte, dass ihre Beschäftigte die Arbeitszeit bei gleichbleibendem Gehalt reduzieren dürfen.
- Angesichts des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels würde ein verringertes Arbeitszeitvolumen unausweichlich zu Wohlstandsverlusten führen.
Belgien macht es vor: Seit November 2022 haben Arbeitnehmer dort einen Anspruch, ihre Arbeitswoche bei gleicher Stundenzahl zu verkürzen. Die sogenannte Compressed Workweek erlaubt Vollzeitkräften, ihre Arbeit auf vier statt fünf Tage zu verteilen – bei gleicher Wochenarbeitszeit und Bezahlung.
Das belgische Modell stößt auch bei den Bundesbürgern auf Interesse, wie aus der IW-Beschäftigtenbefragung aus dem Frühjahr 2023 hervorgeht (Grafik):
In Deutschland würden knapp 28 Prozent der Vollzeitkräfte ihre vertragliche Arbeitszeit gerne auf weniger Tage verteilen.
Die Auswirkungen einer solchen Arbeitszeitverdichtung sind schwer einzuschätzen. Viele der Befürworter dürften eine Viertagewoche im Kopf haben, in der sie Montag bis Donnerstag arbeiten und an die sich drei Tage Wochenende anschließen. Freie Tage mitten in der Woche sind vermutlich weniger beliebt. Daraus könnten sich in einzelnen Teams Konflikte über die Aufteilung der Arbeitstage ergeben. Betriebe, die durchgängig erreichbar sein müssen – etwa im Gesundheitswesen –, könnten das Modell zudem nur mit zusätzlichem Personal umsetzen.
Ein weiteres Risiko: Vor allem Beschäftigte, die sich häufig durch ihren Job gestresst fühlen, möchten ihre Arbeit gerne auf weniger Tage verteilen. Ob sich die Beschäftigten dadurch besser erholen, ist fraglich. Der Druck, in vier Tagen das Arbeitspensum von fünf Tagen zu erledigen, kann womöglich zu mehr Stress führen und bewirken, dass sich Beschäftigte nur noch auf das Tagesgeschäft konzentrieren. Das könnte kreativer Arbeit schaden.
Durchaus Sinn ergibt die Compressed Workweek für Beschäftigte und Arbeitgeber, die dadurch weniger Übernachtungen oder Fahrten – beispielsweise zu weit entfernten Baustellen – in Kauf nehmen müssen.
In Deutschland würden knapp 28 Prozent der Vollzeitkräfte ihre vertragliche Arbeitszeit gerne auf weniger Tage verteilen. Etwa ein Drittel wüscht sich, bei entsprechender Lohnanpassung weniger zu arbeiten.
Ein noch größerer Teil der Vollzeitbeschäftigten wünscht sich allerdings, die eigene Arbeitszeit nicht nur zu verdichten, sondern sie bei entsprechender Lohnanpassung zu reduzieren:
Etwa ein Drittel der befragten Vollzeitkräfte würde gerne weniger arbeiten.
Offen bleibt in der Befragung, aus welchen Gründen – also ob aus privaten oder betrieblichen – der Wunsch nach veränderten Arbeitszeiten bislang nicht umgesetzt werden konnte.
Die IG-Metall geht mit ihren Forderungen nach einer Viertagewoche für die Stahlindustrie noch weiter. Nach dem Willen der Gewerkschaft sollen die Beschäftigten ihre Arbeitszeit bei gleichbleibendem Gehalt reduzieren können, mit dem Verweis darauf, Beschäftigte seien bei kürzeren Arbeitszeiten motivierter und damit auch produktiver.
Das Problem mit der Produktivität
Damit diese Rechnung aufgeht, wäre ein deutlicher Produktivitätsanstieg nötig. Eine Beispielrechnung: Wenn sich die Arbeitswoche von fünf auf vier Tage verringert, reduziert sich die Arbeitszeit um 20 Prozent. Um diese Lücke auszugleichen, müsste die Stundenproduktivität um 25 Prozent steigen. So, wie sich die Stundenproduktivität in Deutschland zuletzt entwickelt hat, ist das jedoch unrealistisch (Grafik):
Im Durchschnitt nahm die Stundenproduktivität in den vergangenen 20 Jahren um jährlich 0,8 Prozent zu, wobei der Trend rückläufig ist.
Ein Anstieg um 25 Prozent entspräche dem gesamten Produktivitätszuwachs seit 1998. Es ist äußerst fragwürdig, ob deutsche Betriebe ihre Produktivität auf einen Schlag derart steigern können.
Befürworter einer Viertagewoche verweisen dagegen gern auf ein Experiment aus Island, in dem von 2015 bis 2019 die Beschäftigten verschiedener Einrichtungen – überwiegend aus dem öffentlichen Dienst – bei gleichem Lohn statt 40 Stunden nur 35 oder 36 arbeiteten. Die Ergebnisse zeigen: Manche Betriebe erbrachten weiterhin die gleiche Leistung, was für eine Produktivitätssteigerung spräche, sofern dafür keine Leistungen zugekauft wurden. Manche Betriebe – vor allem aus dem Gesundheitswesen – mussten dagegen zusätzliches Personal einstellen oder Überstunden anordnen. Die Betriebe berichteten außerdem von Produktivitätssteigerungen durch verkürzte Meetings oder gestrichene Kaffeepausen – Maßnahmen, die auch ohne Arbeitszeitverkürzung umsetzbar sind.
Auch in Deutschland startet Anfang 2024 ein Pilotprojekt zur Viertagewoche. 50 Unternehmen verschiedener Branchen werden das Arbeitszeitmodell ab dem 1. Februar testen: Sechs Monate lang kommen ihre Mitarbeiter bei gleichem Gehalt vier statt fünf Tage zur Arbeit.
Experimente dieser Art können zeigen, dass die Viertagewoche in einzelnen Betrieben auf kurze Sicht funktionieren kann. Sie zeigen aber nicht, ob die Betriebe langfristig innovations- und wettbewerbsfähig bleiben. Was für einzelne Unternehmen sinnvoll sein mag – etwa, wenn mithilfe der Viertagewoche knappe Arbeitskräfte von Konkurrenten abgeworben werden –, löst sich mit Blick auf die gesamte Wirtschaft auf, denn:
Wenn alle Unternehmen die Arbeitszeit reduzieren, bleibt am Ende ein Arbeitszeitdefizit.
Hinzu kommt, dass die geburtenstarken Jahrgänge in den kommenden Jahren das Rentenalter erreichen. Allein dadurch wird sich der Mangel an Arbeits- und Fachkräften weiter verschärfen. In dieser Situation Arbeitszeiten zu kürzen, führt unausweichlich zu einem Wohlstandsverlust.