Der Informationsdienst
des Instituts der deutschen Wirtschaft

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Verhaltensökonomie Lesezeit 6 Min.

Nudging für mehr Klimaschutz

Theoretisch wissen die meisten Menschen in Deutschland um den Klimawandel und wollen ihren Teil dazu beitragen, kommenden Generationen einen halbwegs intakten Planeten Erde zu hinterlassen. In der Praxis ist es mit entsprechendem Handeln aber oft nicht weit her. Dabei gibt es viele Möglichkeiten, das individuelle Verhalten in eine nachhaltigere Richtung zu lenken – zum Beispiel mit dem sogenannten Nudging, einer Strategie aus der Verhaltensökonomie.

Kernaussagen in Kürze:
  • Mit dem sogenannten Nudging – einem (vorsichtigen) Anstoßen – kann das menschliche Verhalten in die ein oder andere Richtung gelenkt werden, zum Beispiel beim Klimaschutz.
  • Umfragen und Marktdaten zeigen, dass die allermeisten zwar um die Bedeutung des Umweltschutzes wissen, aber selbst nicht entsprechend handeln.
  • Die Politik sollte Nudging-Instrumente möglichst zielgruppengerecht und nur ergänzend zu klassischen Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen einsetzen.
Zur detaillierten Fassung

Wunsch und Wirklichkeit liegen oft weit auseinander. So weiß zwar jeder, dass der klassische Individualverkehr viel CO2 verursacht, doch als vor einem Jahr die Spritpreise wegen der neuen CO2-Abgabe stiegen, war die Empörung nichtsdestotrotz groß.

Diese Ambivalenz illustrieren weitere Umfrageergebnisse, wenn man sie mit Marktdaten kontrastiert:

Im Jahr 2018 gaben 64 Prozent der vom Umweltbundesamt Befragten an, dass Umwelt- und Klimaschutz eine sehr wichtige Herausforderung darstellen. Gleichzeitig lag der Marktanteil von Produkten mit dem europäischen Umweltzeichen bei nur 7,5 Prozent – und war damit niedriger als ein Jahr zuvor.

Der Marktanteil für Elektroöfen mit der höchsten Energieeffizienzklasse betrug 2018 sogar weniger als 1 Prozent und im Jahr 2020 waren noch immer nur 6,4 Prozent der in Deutschland verkauften Lebensmittel Bioprodukte.

Mit verschiedenen Instrumenten der Verhaltensökonomie können Menschen dazu gebracht werden, ihr Verhalten zu ändern. Diese Möglichkeit sollte die Politik für den Umwelt- und Klimaschutz sinnvoll nutzen.

Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft beschäftigt sich nun mit dieser Inkonsistenz zwischen der vorherrschenden Überzeugung zur Klimafrage und dem Verhalten der Verbraucher. Zentrale Botschaft der Wissenschaftler: Es ist wichtig, dass die Politik die individuelle Situation verschiedener Personengruppen berücksichtigt und diese gezielt adressiert. Diese Gruppen – in der Studie als Milieus definiert – haben zum einen sehr unterschiedliche Bildungs- und Einkommensniveaus und zum anderen stark divergierende Ansichten und Konsumgewohnheiten (Grafik):

Fast 70 Prozent des kritisch-kreativen Milieus zeigten sich 2018 davon überzeugt, dass die Energiewende in Deutschland zu langsam erfolgt, um das Klima effektiv zu schützen. In der Mittelschicht sieht das nicht mal ein Drittel der Befragten so.

So viel Prozent der Befragten in Deutschland, die zu diesem Milieu zählen, stimmten im Jahr 2018 der jeweiligen Aussage zu Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Auch sind die Kritisch-Kreativen jene, die Autos am seltensten regelmäßig nutzen – allerdings fahren selbst sie noch zu mehr als zwei Dritteln mehrmals die Woche mit dem Pkw und nur 24 Prozent steigen regelmäßig in Bus und Bahn.

Einstellung zum Umweltschutz abhängig von Bevölkerungsgruppe

Besonders weit auseinander liegen die Milieus bei der Frage, inwiefern sie für umweltfreundliche Produkte mehr zu zahlen bereit sind. Auch hier liegen die Kritisch-Kreativen mit fast 66 Prozent an der Spitze, während nur etwas mehr als 11 Prozent aus der Mittelschicht dazu bereit sind. Selbst bei jenen, die aufgrund ihres geringen Einkommens zum prekären Milieu gehören, ist dieser Anteil mit gut 13 Prozent höher.

Doch wie schafft es die Politik in dieser unübersichtlichen Gemengelage, die Bürger zum klimafreundlichen Handeln zu bewegen? Hier kommt das sogenannte Nudging ins Spiel – abgeleitet vom englischen „to nudge“: jemanden (vorsichtig) anstoßen. Im verhaltensökonomischen Kontext soll eine Person oder Gruppe mit passenden Instrumenten mehr oder weniger subtil dazu gebracht werden, etwas einmalig oder dauerhaft zu tun oder zu lassen – zum Beispiel, indem vereinfachte Produktinformationen gegeben, Voreinstellungen verändert oder Waren auf eine bestimmte Art präsentiert werden. Wie Nudging konkret funktioniert, zeigt folgendes Beispiel aus der Reisebranche (Grafik):

Im Jahr 2018 hatten die vom Umweltbundesamt Befragten in den zurückliegenden zwölf Monaten durchschnittlich 0,7 Urlaubsreisen mit dem Flugzeug unternommen. Ein Drittel wusste, dass man die Emissionen finanziell kompensieren kann.

Antworten von Befragten in Deutschland im Jahr 2018 Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Was Entscheidungen beeinflusst

Die Befragungsergebnisse unterschieden sich stark nach den Milieus – auch mit Blick darauf, wer schon einen Flug CO2-kompensiert hatte. Mit welcher Art des Nudgings können nun einerseits die Emissionen gesenkt und andererseits die Kompensationszahlungen erhöht werden? Damit beschäftigen sich zwei Experimente:

Emissionsinformationen. Für dieses Experiment wurde die klassische Flugsuche im Internet weiterentwickelt. Neben den Informationen zu Preis und Flugzeit informierte die Website darüber, wie „grün“ der gewählte Flug ist, welche Flüge besser für die Umwelt wären und welche Flugverbindung die niedrigsten Emissionen hat. Das Ergebnis:

Die Studienteilnehmer waren durch die Zusatzinfos zu den Flugemissionen bereit, für einen internationalen Flug bis zu 250 Dollar mehr pro eingesparter Tonne CO2 zu zahlen.

Zudem wäre es ihnen im Schnitt 97 Dollar wert gewesen, zugunsten niedrigerer Emissionen von einem weniger ideal gelegenen Flughafen, dafür aber Nonstop zu reisen.

Voreinstellungen. Flugreisende können selbst entscheiden, ob und wie umfassend sie den CO2-Ausstoß ihres Flugs kompensieren wollen. Das wird aber von den Voreinstellungen auf der Buchungs-Website beeinflusst, wie das zweite Experiment zeigt: Die Versuchsteilnehmer hatten 100 Euro für eine Flugbuchung zur Verfügung und mussten aus Flügen zwischen 88 und 92 Euro wählen. Mit dem übrigen Geld konnten sie die Emissionen kompensieren. Wurden ihnen dafür im nächsten Schritt „0 Euro“ als Voreinstellung angeboten, entschieden sich die Teilnehmer im Schnitt dafür, 25 Prozent des verfügbaren Restbetrags als Kompensationszahlung auszugeben. Waren 50 Prozent als Kompensation voreingestellt, wählten die Probanden im Schnitt 38 Prozent. Und wenn das System vorschlug, das komplette übrige Geld für die CO2-Kompensation zu verwenden, wurden durchschnittlich 42 Prozent gewählt.

Eine Vielzahl Nudging-Instrumente

Die Experimente zeigen, wie Nudging Entscheidungen und Verhalten beeinflussen kann. Tatsächlich gibt es unzählige weitere solcher Instrumente aus drei Kategorien:

Kognitionsbasierte Nudging-Instrumente zielen auf das Wahrnehmen und Erkennen der Konsumenten – beispielsweise, indem die Energieeffizienz eines Geräts mit einem Ampelsystem farblich aufbereitet wird. Ebenso können – wie im zweiten Experiment – Voreinstellungen verändert werden oder die Konsumenten bekommen unmittelbares Feedback, beispielsweise zum Strom- oder Wasserverbrauch.

Interaktionsbasierte Tools betten den Konsumenten in einen gesellschaftlichen Kontext ein und wollen so auf sein Verhalten einwirken. Dafür wird beispielsweise der individuelle Gasverbrauch in Relation zum Verbrauch der Nachbarschaft gesetzt oder es wird darauf verwiesen, dass sich die Mehrheit einer Gruppe so oder anders verhält.

Nudging mit Anreizen arbeitet mit Belohnungssystemen und konkreten Zielsetzungen – beispielsweise zum Wassereinsparen. Auch Vereinfachungen wie kostenlose ÖPNV-Tickets sind mögliche Anreize.

Nebenwirkungen und Fallstricke

Doch all diese Nudging-Instrumente funktionieren nicht immer problemlos, es gibt unerwünschte Nebenwirkungen und Fallstricke – zum Beispiel diese:

Abnutzungserscheinungen. Unter Umständen nutzt sich der Nudging-Effekt schnell ab. Etwa wenn ein Haushalt nur einmalig darüber informiert wird, wie sein Energieverbrauch im Vergleich zur Nachbarschaft ausfällt.

Bumerang-Effekt. Spart beispielsweise ein neues Auto Sprit gegenüber dem alten ein, könnte das dazu führen, dass häufiger und weitere Strecken gefahren werden. Möglich ist auch, dass das eingesparte Spritgeld für zusätzliche Flugreisen ausgegeben wird.

Dark Nudging. In der Theorie soll Nudging Verhalten nur sanft lenken – letztlich soll aber jeder weiterhin frei entscheiden, was er tut oder lässt. Wenn Nudging aber besonders subtil erfolgt, also kaum zu erkennen ist, ist es mit der freien Entscheidung unter Umständen nicht mehr besonders weit her.

Deshalb empfiehlt es sich, Nudging immer mit größtmöglicher Transparenz einzusetzen. Zudem sollte die Politik die Instrumente präzise auf die Zielgruppe ausrichten und immer Nutzen gegen Kosten abwägen. Hilfreich könnte hierfür eine bundesweite Datenbank sein, in der positive und negative Folgen „grüner“ Nudges dokumentiert werden. Darüber hinaus sollten diese Instrumente die klassische Umwelt- und Klimaschutzpolitik – zum Beispiel Anreize für Innovationen und die CO2-Bepreisung – nur ergänzen, nicht ersetzen. Clever genutzt könnte Nudging so dazu beitragen, dass der Wunsch nach mehr Umwelt- und Klimaschutz – zumindest etwas schneller und vor allem ohne zusätzliche Kosten – Wirklichkeit wird.

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