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Möbelhandel: Wohnhäppchen aus dem Netz

Noch ist der samstägliche Ausflug ins Möbelhaus nicht passé, aber er bekommt Konkurrenz. Denn immer mehr Verbraucher bestellen Lampen, Teppiche und Sofas im Internet. Mithilfe technischer Spielereien soll der Online-Möbelkauf bald noch attraktiver werden.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die Deutschen kaufen ihre Möbel zunehmend online – dies gilt vor allem für junge Paare und Frauen.
  • Die Hersteller lassen sich allerhand einfallen, um den Nachteil auszugleichen, dass Möbel im Netz nicht auszuprobieren sind – große Hoffnungen liegen in Augmented-Reality-Apps.
  • Online-Möbelverkäufer müssen ihre Retourenquote niedrig halten, damit sich das Geschäft lohnt.
Zur detaillierten Fassung

Jeder Dritte hat es schon getan und jeder Zweite kann es sich vorstellen: den Möbelkauf im Internet. Vor allem jüngere Leute und Frauen sind Fans des Online-Shoppings (Grafik):

Mehr als die Hälfte der jungen Paare in Deutschland hat bereits Möbel online gekauft.

Männer sind zwar begeisterte Online-Einkäufer, wenn es um Unterhaltungselektronik geht, doch die meisten von ihnen kaufen eher eine Waschmaschine als einen Wohnzimmerschrank im Netz. Bei Frauen ist das ein bisschen anders – zwar ist auch ihre Bestellbereitschaft für Elektronik und Haushaltsgeräte größer als für Einrichtungsgegenstände, gleichwohl kaufen Frauen mehr Möbel online ein als Männer.

Online-Möbelkäufer nach Geschlecht, Alter und Familiensituation im Vergleich der Jahre 2014 und 2017 Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Ein gutes Beispiel dafür, dass vor allem Frauen dem digitalen Einkaufserlebnis rund ums Einrichten zugetan sind, ist Westwing. Der 2011 gegründete Shoppingclub mit Sitz in München, der ein ständig wechselndes Angebot an Möbeln und Wohnaccessoires über das Internet verkauft, hat allein im deutschsprachigen Raum rund 3 Millionen Mitglieder – 2,7 Millionen davon sind weiblich.

Online Möbel kaufen wird in Deutschland immer beliebter. Vor allem junge Menschen und Frauen bestellen Einrichtungsgegenstände im Netz.

Einen Frauenüberschuss kann auch der Versandhändler Otto aus Hamburg verzeichnen. Otto setzte im Jahr 2017 knapp 800 Millionen Euro nur mit Möbeln um – und ist damit im Online-Möbelhandel Deutschlands Marktführer. Rund 200.000 Möbelstücke und Deko-Artikel von mehr als 140 Marken bietet Otto auf seiner Homepage an. Der Erfolg des Portals ist verblüffend: Ein ursprünglich nur für diesen Vertriebsweg designtes Polstermöbel wurde so oft beim Möbelhersteller direkt angefragt, dass der sich irgendwann dafür entschied, es auch in seinen Ladengeschäften anzubieten.

Doch längst nicht immer sind Möbel aus dem Netz solche Selbstläufer. Die „Lifestyle-Studie 2017“, die Otto zusammen mit dem Marktforschungsunternehmen TNS Infratest herausgegeben hat, fragte Verbraucher auch nach den Hindernissen beim Möbelkauf im Netz:

Zu den größten Barrieren zählt, dass Kaufinteressenten online weder die Qualität noch die Nutzungseigenschaften der Möbel beurteilen können.

Mehr als die Hälfte der Befragten bemängelt außerdem, dass das Internet kein reales Erleben bietet und sie die Möbel nicht ausprobieren können. Und ein Drittel kann sich am Bildschirm schlecht vorstellen, wie die Möbel in ihrem Zuhause aussehen.

Reale und virtuelle Welt werden verbunden

Zumindest diese Barriere dürfte bald beseitigt sein. Viele Online-Möbelhändler experimentieren mit technischen Lösungen wie zum Beispiel Augmented-Reality-Apps, die die reale und virtuelle Welt zusammenführen. Mithilfe dieser Apps lassen sich Möbel, Lampen und Teppiche in einer zuvor aufgenommenen Umgebung beliebig platzieren und herumschieben. Und nicht nur das – man kann die Stücke auf dem Bildschirm auch von allen Seiten betrachten und sogar sehen, welche Schatten sie werfen.

Was bislang nur im Testversuch mit einigen wenigen Möbelstücken funktioniert, soll noch in diesem Jahr allen Otto-Kunden von zu Hause aus möglich sein; aufgrund mangelnder Speicherkapazitäten wird jedoch nur ein Teil des Sortiments vom Verbraucher virtuell in den eigenen Räumen dargestellt werden können. Ikea bietet das Ausprobieren auf dem Bildschirm bereits seit September 2017 mit seiner Place-App an, die rund 2.000 Produkte beinhaltet.

Dass sich die Internet-Möbelhändler so allerhand einfallen lassen – manche betreiben Beratungshotlines, fast alle bieten einen kostenlosen Lieferservice, andere entsorgen alte Polstermöbel –, hat seinen Grund: Der Online-Möbelkauf gilt als das Geschäft der Zukunft. Zwar shoppen die Deutschen im Vergleich zu den Amerikanern nur wenig im Internet, doch für Platz vier im globalen Ranking reicht es schon heute (siehe iwd.de: „Couch-Surfing wörtlich genommen“). Und, da ist sich die Möbelbranche einig, die Online-Umsätze werden schon bald signifikant steigen.

Aktuell werden laut Handelsverband Möbel und Küchen 8 Prozent der Einrichtungsgegenstände in Deutschland über das Internet gekauft.

Problem Retouren

Auch der weltgrößte Möbelkonzern bastelt an einer Erweiterung seiner Digitalstrategie. Global setzte Ikea im Einzelhandel zuletzt 34,1 Milliarden Euro um, doch der Vertrieb über den seit 15 Jahren existierenden eigenen Online-Shop, der im vergangenen Geschäftsjahr 5 Prozent zum Gesamtumsatz des Konzerns beitrug, reicht den Schweden nicht mehr aus. Weil Ikea weiter wachsen will, sollen Billy, Klippan und Malm deshalb künftig auch über externe Online-Plattformen wie Amazon oder Alibaba verkauft werden. In diesem Jahr wollen die Schweden mit der Umsetzung des Pilotprojekts beginnen. Welche Anbieter zum Zug kommen und welche Märkte getestet werden, steht allerdings noch nicht fest.

Ein Problem vieler Online-Händler sind die hohen Retourenquoten. Bei Mode und Schuhen beträgt die Zahl der Rücksendungen mitunter 50 Prozent. Im Möbelsegment, so beteuern die Internethändler, sei die Quote viel niedriger und je nach Produktgruppe ganz unterschiedlich. Fest steht allerdings: Da es ziemlich teuer ist, ein Sofa oder eine Schrankwand erst anzuliefern und dann wieder abzuholen, setzen die Online-Möbelhändler alles daran, Retouren einzudämmen – denn mehr als 15 Prozent gelten als unrentabel. Auch deshalb ist Marktführer Otto freigiebig mit kostenlosen Stoff- und Holzmustern: Pro Jahr versendet der Internethändler mehr als eine Million solcher Wohnhäppchen.

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