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Interview: „Die Abhängigkeiten von China werden uns schaden“

China macht sich technologisch zunehmend unabhängig vom Westen. Warum auch Deutschland seine Abhängigkeiten von China verringern muss und inwieweit diese Botschaft bereits bei den Unternehmen angekommen ist, erläutern die IW-Wissenschaftler Oliver Koppel und Jürgen Matthes im iwd-Interview.

Kernaussagen in Kürze:
  • Deutschland muss seine Abhängigkeiten von China reduzieren, fordern die beiden IW-Wissenschaftler Jürgen Matthes und Oliver Koppel.
  • Außerdem sei es wichtig, naiven Forschungskooperationen mit China einen Riegel vorzuschieben, um einen ungewollten Technologietransfer dorthin zu verhindern, sagt Matthes.
  • Diese Botschaft sei im Großen und Ganzen bei den deutschen Unternehmen angekommen. Viele von ihnen hätten bereits begonnen, Lieferketten zu diversifizieren und mehr Lagerhaltung zu betreiben.
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Herr Koppel, China hat in den vergangenen 20 Jahren mehr als 90.000 Patente in Deutschland angemeldet. Welche davon belasten die heimische Industrie?

Koppel: Besonders zu schaffen machen den deutschen Unternehmen die chinesischen Patentanmeldungen beim Mobilfunkstandard 5G. Auch bei der Elektromobilität ist die Konkurrenz aus China stark. Der chinesische Batteriehersteller CATL hat sich rasant zur Nummer eins für Autobatterien entwickelt. Da die Batterie das Herz des Autos der Zukunft sein wird, hat China dort einen klaren Vorteil gegenüber den deutschen Automobilherstellern.

Haben deutsche Unternehmen in China auch die Möglichkeit, eigene Patente anzumelden?

Koppel: Ja, einige Firmen sind allerdings noch vorsichtig. Der chinesische Patentschutz hatte lange Zeit keinen guten Ruf, immer wieder gab es Probleme mit der Umsetzung von Schutzrechten. In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Patentschutz in China jedoch massiv verbessert und ist meiner Meinung nach mittlerweile sogar besser als in den USA. Das hat dazu geführt, dass deutsche Unternehmen wie Volkswagen und Siemens in den vergangenen Jahren viele Patente in China angemeldet haben. Schließlich ist das Land für viele hiesige Unternehmen der größte Exportmarkt und die Firmen sollten ihre Innovationen nun mal vor allem dort schützen, wo sie sie verkaufen wollen.

China will mittel- bis langfristig zur weltweit führenden Technologienation werden. Wie weit ist das Land?

Koppel: China ist in vielen Bereichen bereits Tech-Weltspitze – Stichwort Mobilfunk – und hat eine unvergleichliche Patent- und Forschungsdynamik. In den USA, Japan und Deutschland dagegen stagnieren die Patentanmeldungen. Überspitzt formuliert: Die Googles und Apples dieser Welt sind im vergangenen Jahrtausend gegründet worden. Die schnell wachsenden Technologieunternehmen kommen heutzutage aus China. Wenn das Land so weitermacht, wird es in noch viel mehr Bereichen zum Innovationsführer aufsteigen.

Es ist in unserem eigenen Interesse, abgewogene, aber hinreichend strikte Regeln gegenüber potenziellen geopolitischen Widersachern wie China zu entwickeln.

China verleibt sich dabei auch Technikwissen aus dem Ausland ein. Warum fällt es deutschen Unternehmen so schwer, sich dagegen zu behaupten?

Koppel: Weil Patente handelbare Güter sind. Mittlerweile kopiert China nicht mehr, sondern kauft technologisches Wissen aus anderen Ländern, zum Beispiel indem es Unternehmen samt deren Patenten oder gezielt einzelne Patente erwirbt. Unerwünscht ist der damit einhergehende Wissensabfluss aus industriepolitischer Sicht allemal, von einem ungewollten Technologietransfer kann allerdings nicht mehr die Rede sein. Der Kauf der Unternehmen und Patente ist schließlich legal.

Jürgen Matthes ist Leiter des Clusters Internationale Wirtschaftspolitik, Finanz- und Immobilienmärkte, Oliver Koppel ist Teamleiter der Patentdatenbank im Institut der deutschen Wirtschaft; Fotos: IW Medien Viele Regierungen und Staatengemeinschaften entwickeln gerade Regeln und Gesetze, um ihre Wirtschaftssysteme vor Attacken geopolitischer Gegner wie China oder Russland zu schützen. Wie sinnvoll ist das?

Matthes: Es ist in unserem eigenen Interesse, abgewogene, aber hinreichend strikte Regeln gegenüber potenziellen geopolitischen Widersachern wie China zu entwickeln. Das gilt zum Beispiel im Bereich kritischer Infrastruktur wie etwa der Stromversorgung oder unserem Mobilfunknetz.

Inzwischen gilt leider nicht mehr, dass gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeiten eine Art Versicherung gegen Krieg sind. Wir haben bei Russland gesehen, dass das Land trotz großer Exportabhängigkeit von der Europäischen Union in die Ukraine einmarschiert ist. Bei China wissen wir nicht, wie ernst die Drohung gegenüber Taiwan ist. Wenn dieser Konflikt eskalieren sollte, kommt es sehr wahrscheinlich zu einem gegenseitigen Sanktionsszenario zwischen dem Westen und China. Dann fallen uns all die kritischen Abhängigkeiten von China auf die Füße.

Zudem werden wir bereuen, dass wir China technologisch und damit auch militärisch auf die Sprünge geholfen haben. Daher braucht es auch schärfere Exportkontrollen bei sensiblen Technologien. Außerdem ist es wichtig, naiven Forschungskooperationen mit China einen Riegel vorzuschieben.

Eine Strategie, die die Abhängigkeiten Deutschlands und der EU gegenüber mächtigen Handelspartnern wie China reduzieren soll, ist das De-Risking. Ist diese Botschaft bei den Unternehmen angekommen? Die Handelsstatistiken sprechen eher eine andere Sprache …

Matthes: Ich glaube schon, dass die Botschaft im Großen und Ganzen bei den Unternehmen angekommen ist. Was genau sie daraus machen, ist aber die Frage. Es gibt einige Umfragen, die zeigen, dass Unternehmen tatsächlich begonnen haben, ihre Lieferketten zu diversifizieren oder dass sie mehr Lagerhaltung betreiben. Solche Maßnahmen können für sie aber mit hohen Kosten verbunden sein. Das ist eine Art Versicherungsprämie gegen einseitige Abhängigkeiten und gegen mögliche Lieferengpässe, die die eigene Produktion lähmen könnten. Die Frage ist, wie viel die Unternehmen für eine solche Absicherung zahlen wollen. Das hat auch etwas mit ihrer Risikobereitschaft und mit ihrer Kurzfristorientierung zu tun. Börsennotierte Firmen mögen hier weniger vorsichtig sein als Familienbetriebe.

Wer zahlt denn diese Versicherungsprämie letztendlich?

Matthes: Das kommt darauf an, ob die Unternehmen ihre Preise erhöhen können oder nicht. Entweder zahlen sie die Mehrkosten selbst oder die Verbraucher. Das hängt am Ende auch von der Zahlungsbereitschaft für das jeweilige Gut ab.

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