Interview Lesezeit 7 Min.

„Die Digitalisierung kann viele globale Probleme lösen“

Wird 2020 ein gutes oder ein schlechtes Jahr für die deutsche Industrie? Und was bringt uns eigentlich der technische Fortschritt? Arndt G. Kirchhoff, geschäftsführender Gesellschafter der Kirchhoff-Gruppe und Präsident des Instituts der deutschen Wirtschaft, blickt optimistisch in die Zukunft – selbst für die eigene, viel kritisierte Zunft der Autobauer und Zulieferer.

Kernaussagen in Kürze:
  • Unternehmer seien von Grund auf Optimisten, die Menschen begeistern und Vorhaben voranbringen wollen, sagt Arndt G. Kirchhoff, geschäftsführender Gesellschafter der Kirchhoff-Gruppe.
  • Die Digitalisierung und Automatisierung könnten nicht nur zu einem sehr langen Aufschwung führen, sondern auch das Klima retten und allen Menschen zu mehr Gesundheit und Wohlstand verhelfen.
  • Würden die vielen grünen Produkte und Prozesse, die es in der EU bereits gibt, mithilfe einer funktionstüchtigen Infrastruktur zusammengeführt, könnte die EU zu einem nachhaltigen Vorbild werden – so die Überzeugung des Unternehmers.
Zur detaillierten Fassung

In der aktuellen IW-Verbandsumfrage gibt es mehr Optimisten als Pessimisten, was die Perspektiven für 2020 betrifft. Woher die Zuversicht?

Unternehmerinnen und Unternehmer sind von Grund auf Optimisten: Wir wollen Menschen begeistern, Vorhaben voranbringen, Ziele erreichen. Das wirkt sich sicherlich auf unsere Einschätzung der wirtschaftlichen Perspektiven aus.

Aber die Einschätzung der Verbände hat bestimmt auch damit zu tun, dass sich die aktuelle Krise stark von jener vor zehn Jahren unterscheidet. Damals hatte der Abschwung ganz andere Vorzeichen, die Banken waren in Schieflage geraten, es gab für Unternehmen kaum noch Kredite. Heute geht es viel eher um Ermüdungserscheinungen: Wir hatten in den vergangenen zehn Jahren in der Bundesrepublik den längsten Konjunkturaufschwung der Geschichte und haben nun schlichtweg einige Grenzen erreicht, beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt: Nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA und in vielen osteuropäischen Ländern findet man einfach keine neuen Mitarbeiter mehr.

Es gibt also Eintrübungen in der heimischen Wirtschaft, aber echte Bremsspuren sehen ganz anders aus. Und der private Konsum sowie die Bauwirtschaft laufen ja unbeirrt weiter. Hinzu kommt, dass mithilfe moderner Technik viele Dinge erst möglich werden, wie beispielsweise die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Was hätten Sie 2019 von der Politik erwartet?

Natürlich sind Politiker momentan verunsichert. Es gibt einfach zu viele Wünsche – die Menschen wollen ein besseres Klima, weniger Verkehr, bezahlbare Wohnungen und vieles andere mehr.

Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, die Stromnetze, neue Gewerbegebiete – all das dauert viel zu lange. Deshalb müssen die Planungsverfahren beschleunigt werden.

Die Politik muss sich deshalb in erster Linie die Frage stellen: Welche Rahmenbedingungen brauchen wir für all diese Herausforderungen? Vor allem in puncto Planungsrecht muss die Politik mutiger und schneller werden. Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, die Stromnetze, neue Gewerbegebiete – all das dauert viel zu lange. Mit den jetzigen Planungsverfahren werden wir die großen Klimaziele nicht rechtzeitig erreichen, das passt einfach nicht zusammen.

Nicht, dass Sie mich falsch verstehen: Natürlich müssen die Prozesse demokratisch sein und der Rechtsweg muss all jenen offenstehen, die gegen ein Vorhaben sind. Aber auch das muss schneller gehen. Und eine Gerichtsentscheidung darf nicht immer wieder infrage gestellt werden.

Arndt G. Kirchhoff, geschäftsführender Gesellschafter der Kirchhoff-Gruppe und Präsident des Instituts der deutschen Wirtschaft. Foto: IW Medien Sie sagen, global gibt es momentan eigentlich nur eine G2 – die USA und China. Wie könnte daraus G3 werden, mit Deutschland am Tisch?

Deutschland allein ist viel zu klein, um global eine Rolle zu spielen, wir stellen nur 1 Prozent der Weltbevölkerung. Aber Europa könnte das gelingen. Die EU ist allerdings noch nicht fertig, der Binnenmarkt muss und kann noch besser werden. In vielen Bereichen brauchen wir einheitliche Standards – etwa in der Energiewirtschaft, in der Verkehrsinfrastruktur, in Digitalisierungsfragen. All das macht ja nicht an den Ländergrenzen halt.

Blicken wir also nach Europa: Was halten Sie von Ursula von der Leyens Green Deal?

Politisch ist es immer leicht, so ein Konzept in den Raum zu stellen. Aber es dann für einen ganzen Kontinent umzusetzen, ist eine riesige Herausforderung.

Meiner Meinung nach haben wir in Europa schon eine ganze Menge sehr grüner Produkte und Prozesse. Was wir aber dringend brauchen, ist eine funktionstüchtige Infrastruktur, die es uns ermöglicht, sie zusammenzuführen. Wenn uns das gelingt, könnten wir zum nachhaltigen Vorbild in der Welt werden – und unser diesbezügliches Know-how exportieren.

Sie sind Automobilzulieferer und auch -hersteller. Damit stehen Sie für eine Branche, die einige bereits abgeschrieben haben …

Ich halte das Auto – auch in Deutschland – weiterhin für ein wesentliches Element von Freiheit. Und diese Freiheit sollten wir aufrechterhalten. Weltweit betrachtet haben die meisten Menschen diese Möglichkeit zur individuellen Mobilität noch gar nicht, deswegen wird der Markt für Automobile auch weiter wachsen.

Der weltweite Markt für Automobile wird weiter wachsen. Und dieses Wachstum lässt sich durchaus umweltfreundlich gestalten.

Dieses Wachstum lässt sich durchaus umweltfreundlich gestalten. Natürlich gibt es im Pkw-Bestand große Dreckschleudern. Aber mittlerweile produzieren wir Motoren, die die Luft sogar sauberer machen.

Wichtig ist es außerdem, den Verkehr zu verflüssigen. Zwei Beispiele: Die Parkplatzsuche verursacht Staus, verbraucht jede Menge Sprit, kostet Zeit und Nerven. Wenn das Auto oder eine App den Fahrer zu einem freien Parkplatz lotsen würde, hätte das also jede Menge Vorteile.

Ein anderes Beispiel sind die Busse im öffentlichen Nahverkehr. Die fahren immer die gleiche Strecke. Wenn es einen Stau gibt, stellen sie sich hinten an – obwohl sie oft ohne Weiteres eine andere Route nehmen könnten. Beide Probleme lassen sich mithilfe der Digitalisierung lösen.

Auch die mangelnde Lade-Infrastruktur für E-Mobilität ist kein unüberwindbares Hindernis. Hier sage ich ganz klar: Das ist nicht Aufgabe von Bund oder Land, sondern Job der jeweiligen Kommune.

Fast alle Autohersteller und viele Zulieferer haben einen massiven Stellenabbau angekündigt. In der IW-Verbandsumfrage gehen die Automobilbauer allerdings von einer gleichbleibenden Produktion für 2020 aus – wie passt das zusammen?

Ein Auto ohne Verbrennungsmotor ist schneller und einfacher zu bauen, weil es weniger Teile hat. Entsprechend ist die Montage künftig mit weniger Arbeitskräften möglich. Das ist aber keine Tragödie, denn dafür entstehen an anderer Stelle neue Jobs. Wenn wir bei uns im Unternehmen beispielsweise keine Gabelstaplerfahrer mehr brauchen, weil die Hubwagen autonom fahren, fallen diese Jobs weg. Doch gleichzeitig brauchen Carsharing-Anbieter neue Mitarbeiter, die Fahrzeuge in die Werkstatt bringen oder in die Waschanlage fahren.

Aber es entstehen nicht nur neue Jobs: Ungefähr 50 Prozent der Arbeitsplätze, sagen Forscher, werden sich teils radikal verändern. Es wird künftig mehr Dienstleistungsjobs und Arbeitsplätze mit Steuerungsfunktionen geben, dafür weniger in der Produktion. In einer Fabrik zu arbeiten – in der Hitze eines Stahlwerks oder mit krummem Rücken in einer Gießerei – ist nicht schön. Da ist der Fortschritt, den Digitalisierung und Automatisierung für die Arbeitswelt bringen, doch ein Segen.

„Digitalisierung und Automatisierung führen zu einer vierten industriellen Revolution“, haben Sie einmal gesagt. Wo stehen wir da momentan auf einer Skala von 0 bis 100?

Dieses neue Zeitalter wird niemals enden, denn wir können immer größere Rechenleistungen bewerkstelligen und auch immer größere Datenmengen sammeln. Mithilfe der Massendatenverarbeitung kann alles immer noch besser und schneller werden.

Was bedeutet diese Revolution für den einzelnen Menschen?

Sie kann zu einem sehr langen Aufschwung führen, zum viel beschworenen Wohlstand für alle: Wir können das Klima retten, Menschen besser versorgen, sie aus Armut und Krankheit holen.

Ich bin überzeugt davon, dass die digitale Revolution unterm Strich für mehr Arbeitsplätze sorgt. Vielleicht arbeiten wir künftig auch einfach weniger.

Eine Revolution wird es beispielsweise in der Lebensmittelproduktion geben: Mithilfe von satellitengesteuerten Saat-, Bewässerungs- und Erntemaschinen kann die Nahrungsmittelproduktion deutlich gesteigert werden, sodass sie auch für eine wachsende Weltbevölkerung reicht. Die Technik dafür gibt es bereits und vielerorts wird sie auch schon angewendet. Weltmarktführer für diese Saatmaschinen ist übrigens eine deutsche Firma.

Doch auch im Kleinen gibt es Verbesserungen. Wir haben gerade die mitdenkende Füllstandsmessung für Mülleimer erfunden, sodass das Müllauto künftig erst dann kommt, wenn die Tonne voll ist. Mitdenkend ist die Messung deshalb, weil das Messgerät zusätzlich noch erkennt, was in der Tonne gelagert wird. Auch das spart Ressourcen. Ich bin jedenfalls überzeugt davon, dass die digitale Revolution unterm Strich für mehr Arbeitsplätze sorgt.

Früher hätten Sie mit der Kutsche vom Sauerland nach Köln einen halben Tag gebraucht. Wie sind Sie heute von Iserlohn nach Köln gekommen?

Mit einem Auto mit Verbrennungsmotor.

Welches Verkehrsmittel werden Sie in zehn Jahren für diesen Weg wählen?

Wahrscheinlich wird es ein Hybrid-Fahrzeug sein, also ein Auto, das sowohl elektrisch als auch mit Benzin fährt, oder aber ein Brennstoffzellenauto.

Ich glaube ohnehin nicht, dass es künftig nur den einen Antrieb geben wird. In den Städten wird die Mobilität wahrscheinlich rein elektrisch sein. Außerhalb der urbanen Zentren braucht es wohl auch in Zukunft Autos mit Verbrennungsmotoren, die dann mit umweltfreundlich produzierten synthetischen Kraftstoffen betankt werden. Denn man darf nicht vergessen: Rund die Hälfte der Bevölkerung lebt und arbeitet in ländlichen Gebieten. Und diese Menschen wollen auch in Zukunft zur Arbeit kommen.

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