Der Informationsdienst
des Instituts der deutschen Wirtschaft

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Pro und Kontra Lesezeit 5 Min.

Brauchen wir mehr sozialen Wohnungsbau?

In Deutschland finden immer mehr Menschen keine Wohnung und landen schlimmstenfalls obdachlos auf der Straße. Das Problem konzentriert sich auf die Großstädte, weil gerade dort bezahlbarer Wohnraum knapper und knapper wird. Nicht zuletzt deshalb werden die Rufe lauter, den sozialen Wohnungsbau wiederzubeleben. Doch ist er überhaupt ein geeignetes Mittel, um Wohnungslosen zu helfen?

Kernaussagen in Kürze:
  • Thomas Specht, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, will den sozialen Wohnungsbau wiederbeleben und ihn dazu mit einer steuerlich geförderten Gemeinnützigkeit versehen, um die Sozialbindung der Wohnungen dauerhaft erhalten zu können.
  • IW-Immobilienökonom Michael Voigtländer setzt dagegen generell auf mehr Neubauten. Zudem sollten die Kommunen Belegungsrechte für bestehende Wohnungen erwerben, um Bedürftigen so zu einer Wohnung zu verhelfen.
Ja,
sagt
Thomas Specht,

Geschäftsführer der Bundesarbeits-gemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW)

Wir müssen den sozialen Wohnungsbau wieder beleben

Der soziale Wohnungsbau in Deutschland ist so gut wie tot: Für eine Million Wohnungen lief zwischen 2006 und 2016 die Sozialbindung aus, und jedes Jahr fallen weitere 60.000 bis 80.000 Wohnungen weg, während maximal 30.000 bis 40.000 neu dazukommen. Doch der Ruf des sozialen Wohnungsbaus ist schlechter als das, was er in der Vergangenheit für die Wohnungsversorgung der Menschen mit unzureichenden Einkommen geleistet hat.Wir schätzen, dass die Zahl der Wohnungslosen bis 2018 auf 1,2 Millionen steigt. Immer mehr Menschen müssen enger zusammenrücken, weil sie sich einen Umzug nicht mehr leisten können. Es ist höchste Zeit, den sozialen Wohnungsbau wiederzubeleben.

Denn: Die aktuelle Krise am Wohnungsmarkt ist keine jener Krisen, die zyklisch immer wieder auftreten, so etwa 1972, 1982, 1992 und seit 2012, sondern sie geht tiefer. Grund dafür ist, dass die Ausgleichsfunktion von mehr als vier Millionen Sozialwohnungen zu Beginn der 1970er Jahre zunächst schleichend und dann immer schneller weggefallen ist. In Deutschland ist sie bei einem Bestand von rund einer Million Sozialwohnungen nicht mehr vorhanden.

Hinzu kommt, dass auch der Wohnungsmarkt in Deutschland für die Kapitalmärkte immer interessanter wird: Einstmals gebundene Wohnungen, die Bundesunternehmen wie Bahn und Post gehörten, sind inzwischen privatisiert und begehrte Renditeobjekte. Das frei flottierende nationale und internationale Anlagekapital sucht heute seine Renditen im Betongold und treibt so die Preise in den Ballungsgebieten weiter nach oben. Um dies in den Griff zu bekommen, bedarf es sicherlich mehr als der Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus, aber dieser wäre ein wichtiger Baustein in einem Gesamtkonzept zur Kontrolle der wild gewordenen Wohnungsmärkte.

Der soziale Wohnungsbau kann in Zukunft wieder erfolgreich sein, wenn bestimmte Eckpunkte realisiert werden:

Die Förderkompetenz sollte von den Ländern auf den Bund übergehen – um regionale Schwerpunkte aus nationaler Warte setzen zu können.

– Es sollte eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit geschaffen werden, die steuerlich gefördert wird, aber auch dauerhaft gebunden ist.

– Der Schwerpunkt muss auf dem Bau neuer Sozialwohnungen liegen, nicht nur auf der Modernisierung der vorhandenen.

– Die Investitionssumme sollte erhöht werden. Mittelfristig würde sich dies gegenfinanzieren, weil die Kosten der Unterkunft in der Sozialhilfe sinken würden und auch das Wohngeld verringert werden könnte, wenn günstigerer Wohnraum zur Verfügung steht.

– Sozialwohnungen müssen dezentral verteilt und quartiersbezogen geplant werden, um eine massive Konzentration der Bauten zu vermeiden.

– Der Schwerpunkt sollte auf Ein- und Zweiraumwohnungen liegen, um die Bedarfslücke von rund zehn Millionen Wohnungen in diesem Marktsegment zu decken.

Natürlich kann der soziale Wohnungsbau den Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Deutschland nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn die Politik zugleich die weltweit wachsenden Einkommens- und Vermögensungleichheiten ins Auge fasst.

Jetzt ist es höchste Zeit, das Bewusstsein über die augenblickliche Wohnungsnot zu schärfen und erste Sofortmaßnahmen zur Abmilderung der schlimmsten Folgen anzugehen. Dazu gehören:

– die Einberufung eines nationalen Wohnungsgipfels, um einen Nationalen Aktionsplan gegen Wohnungsnot zu beschließen,

– die Einführung einer gesetzlichen Wohnungsnotfallstatistik, um den spezifischen regionalen Bedarf zu ermitteln,

– Quotierungen bei der Vergabe der wenigen vorhandenen Sozialwohnungen mit Vorrang für wohnungslose Menschen.

Aber die langfristige Lösung für Deutschland ist sicherlich ein neuer gemeinnützig verfasster sozialer Wohnungsbau.

Nein,
sagt
Michael Voigtländer,

Leiter des Kompetenzfelds Finanzmärkte und Immobilienmärkte im Institut der deutschen Wirtschaft Köln

Der soziale Wohnungsbau ist kein Allheilmittel

Angesichts steigender Mieten und Preise in den Großstädten wird der Ruf nach einer Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus immer lauter. Doch anders als in den 1950er oder 1960er Jahren fehlt es heute nicht an Investoren, sondern an Bauflächen. Ohne eine stärkere Ausweisung von Bauland wird Wohnraum knapp bleiben, im Zweifelsfall wird der subventionierte Wohnungsbau den freifinanzierten Wohnungsbau lediglich verdrängen.

Vielleicht könnte man darüber sogar noch hinwegsehen, wenn Sozialwohnungen tatsächlich jenen zu Gute kämen, die wenig haben. Auswertungen des IW zeigen jedoch, dass nur 45 Prozent der Mieter von Sozialwohnungen tatsächlich arm sind – also über weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens verfügen. Ursächlich für diese hohe Fehlbelegung sind die fehlende Prüfung der Einkommensverhältnisse, aber auch die viel zu weiten Einkommensgrenzen bei der Vergabe der Wohnberechtigungsscheine. Wenn ohnehin schon ein Großteil der Mieter Anrecht auf eine Sozialwohnung hat, wird es gerade für Menschen, die etwa aus der Obdachlosigkeit kommen, schwer, eine der begehrten Wohnungen zu bekommen.

Hinzu kommt, dass der Neubau von Sozialwohnungen aufgrund der hohen Standards sehr teuer ist, der Staat also letztlich hohe Subventionen aufwenden muss, um die Mieten günstig zu halten.

Anstatt viel Geld in den sozialen Wohnungsbau zu stecken, sollten die Kommunen gerade für Obdachlose, aber zum Beispiel auch für Flüchtlingsfamilien Belegungsrechte im Wohnungsbestand erwerben. Dabei erhält die Kommune gegen die Zahlung einer Prämie vom Vermieter das Recht, die Mieter auszuwählen. Die Prämien können entweder als Einmalzahlung oder als Aufschlag auf die laufende Miete ausgestaltet sein.

So lässt sich zielgenau solchen Haushalten helfen, die trotz ausreichender Zahlungsfähigkeit – etwa weil sie Anspruch auf Grundsicherung und damit auch auf die gesonderte Übernahme von Kosten der Unterkunft haben – keine Wohnung bekommen. Ein Vorteil der Belegungsrechte ist zudem, dass sie sich breiter streuen lassen als Sozialwohnungen. Dadurch vermindert sich die Gefahr einer Kumulation von sozialen Risiken in bestimmten Stadtteilen.

Die Städte könnten solche Belegungsrechte schon heute mit Mitteln der sozialen Wohnraumförderung erwerben. In Belgien etwa geschieht dies bereits: Dort vergeben private Vermieter Belegungsrechte über Auktionen an die Städte. Eine weitere Möglichkeit ist, dass Kommunen, die ihre Wohnungen verkaufen, dafür zumindest teilweise Belegungsrechte einbehalten.

Die Wohnungspolitik muss in den kommenden Jahren also zwei Ziele verfolgen: Erstens muss sie den Grundstein für eine deutliche Ausweitung der Bautätigkeit in den Ballungsräumen legen, zweitens muss sie zielgenau denjenigen Haushalten helfen, die Unterstützung benötigen. Wer glaubt, beide Ziele über den sozialen Wohnungsbau zu erreichen, wird letztlich keines zufriedenstellend meistern.

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