Kommentar Lesezeit 2 Min.

„Beim Vermögen gehen Wahrnehmung und Wirklichkeit auseinander“

In den vergangenen zehn Jahren ist der Vermögensanteil der reichen Menschen in Deutschland eher gesunken als gestiegen. Doch den meisten Bundesbürgern ist das nicht klar. Wie IW-Wissenschaftler Maximilian Stockhausen vermutet, könnte eine mögliche Ursache dafür die Medienberichterstattung sein.

Kernaussagen in Kürze:
  • Der Vermögensanteil der reichen Menschen in Deutschland ist in den vergangenen Jahren eher gesunken als gestiegen.
  • Die meisten Bundesbürger haben aber eine andere Wahrnehmung; der Anteil der Reichen wird regelmäßig stark überschätzt.
  • Ein Grund ist möglicherweise die Medienberichterstattung, in der extreme Armut und großer Reichtum oft mehr Aufmerksamkeit erfahren als die allgemeine Wohlstandsentwicklung.
Zur detaillierten Fassung

Die Mehrheit der Deutschen ist der Ansicht, dass die Vermögensungleichheit in den vergangenen fünf Jahren gestiegen sei. Gleichzeitig nehmen Ältere einen größeren Anstieg wahr als Jüngere. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Befragung, die in diesem Jahr im Rahmen des zweiten Symposiums zum Sechsten Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung präsentiert wurde.

Maximilian Stockhausen ist Economist für Verteilung im Institut der deutschen Wirtschaft; Foto: IW Medien Doch die Vorstellung einer aktuell steigenden Vermögensungleichheit hält einer empirischen Überprüfung nicht stand. Wenngleich die Daten zur Verteilung der privaten Vermögen trotz jüngster Verbesserungsversuche – beispielsweise in Form von Hinzuschätzungen am oberen Rand – noch immer mit Problemen behaftet und nicht alle Vermögensbestandteile gleichermaßen gut erfasst sind, so zeigt sich seit Ende der 2000er Jahre keine nennenswerte Veränderung der Nettovermögensungleichheit in Deutschland.

Als Nettovermögen bezeichnet man dabei die Summe aller Vermögenswerte abzüglich der Schulden. An dieser Stelle gehen also Wirklichkeit und Wahrnehmung auseinander.

Der Anteil der Reichen in Deutschland wird regelmäßig stark überschätzt.

Ein Anstieg der Nettovermögensungleichheit ergibt sich erst im Vergleich zu den 1990er Jahren – einer Zeit, die durch große gesellschaftliche und wirtschaftliche Umbrüche geprägt war und daher nur mit Vorsicht als Vergleichszeitraum verwendet werden sollte.

Geht man in der Geschichte noch weiter zurück und betrachtet als Verteilungsindikator den Anteil, den das obere 1 Prozent der Haushalte am Gesamtvermögen hielt, so stellt man bei allen Schwierigkeiten der zeitlichen Vergleichbarkeit der Vermögensdaten fest, dass dieser Anteil zwischen 1895 und 2017 von rund 45 Prozent auf nur noch etwas mehr als 25 Prozent gesunken ist. Und auch hier zeigt sich bei allen Schwankungen in den Jahren dazwischen, dass sich der Vermögensanteil des obersten Prozents seit Ende der 2000er Jahre ebenfalls nahezu nicht verändert hat und eher gesunken als gestiegen ist.

(Extreme) Armut und großer Reichtum erhalten in den Medien oftmals mehr Aufmerksamkeit als die allgemeine Wohlstandsentwicklung.

Ungeachtet dessen fällt es den Menschen in Ost- und Westdeutschland gleichermaßen schwer, die Entwicklung der Vermögensungleichheit korrekt wahrzunehmen. Dazu passt, dass auch der Anteil der Reichen regelmäßig stark überschätzt wird. Nur sehr wenige Menschen haben somit korrekte Vorstellungen von der Verteilung der Einkommen und Vermögen in der Bundesrepublik. Welche Ursachen das hat, ist bislang nicht abschließend erforscht. Eine mögliche Erklärung könnte darin liegen, dass in den Medien vornehmlich über die Ränder der Einkommens- und Vermögensverteilung berichtet wird: (Extreme) Armut und großer Reichtum erhalten oftmals mehr Aufmerksamkeit als die allgemeine Wohlstandsentwicklung.

Wer wüsste zudem schon, wenn er ohne Vorbereitung gefragt würde, ab welchem Nettovermögen er zu den wohlhabendsten 10 Prozent der Haushalte in Deutschland gehört? Wohl die allerwenigsten. Dabei dürfte manch einer überrascht sein, dass es nicht mehrere Millionen Euro braucht, um bereits zu den oberen10 Prozent zu zählen.

Das könnte Sie auch interessieren

Meistgelesene