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Regionale Strategien in der Pflege gefragt

In Deutschland können sich immer mehr Menschen die Kosten für ihre Pflege nicht leisten und sind deshalb auf die Sozialleistung „Hilfe zur Pflege“ angewiesen. Die Belastungen für die örtlichen Träger sind regional höchst unterschiedlich – deshalb müssen auch die politischen Antworten auf das Pflegeproblem differenziert ausfallen, wie eine neue IW-Studie zeigt.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die gesetzliche Pflegeversicherung ist eine Teilleistungsversicherung, sie übernimmt also nicht alle Pflegekosten. Im Jahr 2016 mussten daher 347.000 Bundesbürger die Sozialleistung „Hilfe zur Pflege“ in Anspruch nehmen.
  • Regional gibt es große Unterschiede. Zudem zeigt sich, dass insbesondere in den Städten überproportional viele Pflegebedürftige auf finanzielle Hilfe angewiesen sind.
  • Die Politik muss daher bei der Pflege stärker differenzieren. Die Ausgaben für die Pflege so gering wie möglich zu halten, darf aber kein Ansatz sein.
Zur detaillierten Fassung

Die gesetzliche Pflegeversicherung ist eine Teilleistungsversicherung, sie übernimmt also nicht alle Pflegekosten. Wer sich die zusätzlich aufzubringenden Kosten nicht leisten kann, bekommt „Hilfe zur Pflege“ – und die Zahl der Bundesbürger, die diese Sozialleistung in Anspruch nehmen, steigt seit Jahren kontinuierlich:

Im Jahr 1998 erhielten rund 222.000 Bundesbürger die steuerfinanzierte „Hilfe zur Pflege“ – im Jahr 2016 waren es schon 347.000.

Das schlägt sich in den Kosten nieder: Sie sind allein von 2003 bis 2016 um 45 Prozent auf 4,3 Milliarden Euro gestiegen und machen mittlerweile rund ein Siebtel der gesamten Sozialhilfeausgaben aus. Auf den ersten Blick könnte man die gestiegenen Fallzahlen der „Hilfe zur Pflege“ mit einem zunehmenden Armutsrisiko assoziieren. Tatsächlich aber sind sie lediglich Ausdruck der Tatsache, dass immer mehr Menschen in Deutschland auf pflegerische Unterstützung angewiesen sind:

Im Jahr 1999 waren rund zwei Millionen Bundesbürger pflegebedürftig – im Jahr 2015 waren es bereits mehr als drei Millionen.

Setzt man beide Entwicklungen ins Verhältnis, dann zeigt sich: Der Anteil der Empfänger von „Hilfe zur Pflege“ an allen Pflegebedürftigen pendelt seit 1999 bundesweit zwischen 12 und 13 Prozent – von einer dramatischen Zunahme kann also keine Rede sein. Ein Blick auf die Bundesländer bestätigt dieses Bild (Grafik):

Von 2005 bis 2015 hat sich der Anteil der Empfänger von „Hilfe zur Pflege“ an allen Pflegebedürftigen in keinem Bundesland um mehr als 3 Prozentpunkte verändert. Anteil der Pflegebedürftigen in Deutschland, die die Sozialleistung „Hilfe zur Pflege“ bekommen haben Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Die Spannbreite ist jedoch beachtlich: Sie reicht von 24 Prozent in Hamburg über 13 Prozent im bevölkerungsreichen Nordrhein-Westfalen bis zu jeweils 7 Prozent in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Die Kosten der „Hilfe zur Pflege“ sind von 2003 bis 2016 um 45 Prozent auf 4,3 Milliarden Euro gestiegen und machen mittlerweile rund ein Siebtel der gesamten Sozialhilfeausgaben aus.

Zudem zeigt sich, dass insbesondere in den Städten überproportional viele Pflegebedürftige auf finanzielle Hilfe angewiesen sind: Von den 26 Regionen, in denen der Anteil mindestens 20 Prozent beträgt und damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt von rund 12 Prozent liegt, sind 25 kreisfreie Städte – Spitzenreiter ist die Hansestadt Lübeck mit 29 Prozent.

Warum sind die Städte besonders stark betroffen? Das kann zum einen daran liegen, dass dort die Pflegebedürftigen seltener durch Familienangehörige versorgt werden als in ländlichen Regionen; eine andere Vermutung ist, dass die Pflege in Metropolregionen oft besonders teuer ist und die Betroffenen deshalb häufiger auf die staatliche Hilfe angewiesen sind.

Pflegekosten unterschiedlich hoch

Dass auch die Gesamtausgaben für die „Hilfe zur Pflege“ in den einzelnen Bundesländern recht unterschiedlich ausfallen, erscheint logisch. Angeführt wird dieses Ranking von Nordrhein-Westfalen mit seinen fast 18 Millionen Einwohnern – das Land gab 2016 rund 987 Millionen Euro für diesen Posten aus. Am anderen Ende der Flächenländer stehen Thüringen und Sachsen-Anhalt, die bei je rund 2,2 Millionen Einwohnern auf Nettoausgaben von 43 bis 44 Millionen Euro kommen.

Weniger schlüssig sieht die Rechnung aus, wenn man die Nettoausgaben für die „Hilfe zur Pflege“ auf die Zahl der Leistungsempfänger bezieht (Grafik):

Hamburg, das Saarland, Baden-Württemberg, Hessen und Berlin gaben 2016 für jeden Empfänger von „Hilfe zur Pflege“ mehr als 10.000 Euro aus – doppelt so viel wie die fünf ostdeutschen Flächenländer. Nettoausgaben im Jahr 2016 für die Sozialleistung „Hilfe zur Pflege“ pro Leistungsempfänger in Euro Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Diese Kluft lässt sich zum einen wiederum mit den sehr unterschiedlichen Pflegekosten erklären: In der vollstationären Pflege mussten die Betroffenen in NRW 2017 im Durchschnitt 2.253 Euro zuzahlen – mehr als doppelt so viel wie Pflegebedürftige in Sachsen-Anhalt.

Zum anderen gibt es erhebliche Unterschiede bei der Wahl der Pflegeart: In Schleswig-Holstein zum Beispiel wurden 2015 rund 37 Prozent der Pflegebedürftigen stationär versorgt, in Brandenburg dagegen nur 21 Prozent. Die stationäre Versorgung ist aber nicht nur teurer als die häusliche Pflege, dort muss die „Hilfe zur Pflege“ neben den eigentlichen Pflegeleistungen auch die Kosten für das Wohnen und die Verpflegung abdecken. Bei der häuslichen Versorgung werden diese Kosten bei Bedarf durch andere Sozialleistungen gedeckt, beispielsweise durch die Grundsicherung im Alter.

Politik muss Pflege differenziert betrachten

Was heißt das alles für die Politik? Zwar ist klar, dass es in einer alternden Gesellschaft mehr Pflegebedürftige – und damit Empfänger von „Hilfe zur Pflege“ – geben wird. Aufgrund der regional höchst unterschiedlichen Gegebenheiten und Entwicklungen müssen allerdings auch die politischen Antworten differenziert ausfallen:

In überalterten Regionen werden künftig allein durch den höheren Pflegebedarf anteilig auch mehr Menschen auf die „Hilfe zur Pflege“ angewiesen sein. Hier wäre zu überlegen, ob und wie diese Kreise und Kommunen selbst Gesundheitsstrategien entwickeln können, von denen alle Einwohner profitieren.

In den Städten, in denen viele auf „Hilfe zur Pflege“ angewiesen sind, stellt sich die Frage, welche Pflegearrangements es unter anderem für allein lebende Ältere geben sollte, um die Betroffenen zu unterstützen.

Was dagegen weder auf dem Land noch in der Stadt funktioniert, ist die Strategie, die Ausgaben für die Pflege so gering wie möglich zu halten, indem die Preise für professionelle Pflegeleistungen eng reguliert werden. Denn dann drohen die quantitativen und qualitativen Defizite, die teilweise schon heute zu beobachten sind, überhandzunehmen. Vorrangig sollten daher regionale Strategien entwickelt werden – und zwar möglichst mit allen Beteiligten, also mit den Trägern der professionellen Pflege, den Ehrenamtlichen und den Betroffenen beziehungsweise ihren Angehörigen.

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