Der gesetzliche Mindestlohn hat zwar vor allem in Ostdeutschland zu erheblichen Preisanhebungen geführt. Er hat aber offenbar weniger Jobs gekostet, als erwartet – dank einiger Sondereffekte.
Bisher wird der Mindestlohn in Deutschland von der Mindestlohnkommission festgesetzt, die sich bei ihren Entscheidungen an der Entwicklung der Tariflöhne orientiert. Nun will die Politik diesen Mechanismus aussetzen und den Mindestlohn eigenständig erhöhen – mit gravierenden Folgen.
Die hohen Überschüsse im deutschen Außenhandel seien durch Lohnzurückhaltung erkauft, monieren Kritiker und fordern deshalb höhere Löhne. Doch der Blick auf die deutschen Lohnstückkosten zeigt, dass von einem Kostendumping weder aktuell noch langfristig die Rede sein kann.
In vielen Berufen sind Fachkräfte rar. Höhere Löhne können Fachkräfte zu einem Jobwechsel motivieren. Eine empirische Analyse zeigt allerdings, dass der Zusammenhang zwischen Engpässen und Lohnentwicklung vornehmlich für Hochqualifizierte gilt. Grundsätzlich müssen Knappheiten in einzelnen Berufen bei der Lohnfindung stärker berücksichtigt werden.
Mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns 2015 sind in vielen Branchen die Tariflöhne verdrängt und die Lohnabstände zwischen gelernten und ungelernten Tätigkeiten verringert worden. Das könnte die Tarifbindung schwächen.
Die Bundesbank und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) fordern höhere Löhne. In der Industrie sind die Lohnstückkosten in den vergangenen Jahren aber bereits kräftig gestiegen.
Der Anstieg der Löhne hat sich seit der Wirtschafts- und Finanzkrise beschleunigt. Das hat zu kräftigen Reallohngewinnen geführt. Die Kehrseite der Medaille ist jedoch, dass sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exportwirtschaft eintrübt.
Die deutsche Lohnpolitik ist in den vergangenen Jahren verschiedene Wege gegangen: Zuerst setzte sie auf Lohndisziplin, um Beschäftigung zu sichern und aufzubauen. Seit 2008 aber wird der Verteilungsspielraum voll ausgeschöpft.
In wenigen Tagen beginnen die Tarifverhandlungen für die 550.000 Beschäftigten in der Chemischen Industrie. Nach Jahren mit kräftigen Lohnsteigerungen und deutlichem Reallohnplus ist der Verteilungsspielraum diesmal äußerst begrenzt.