Der Informationsdienst
des Instituts der deutschen Wirtschaft

Der Informationsdienst
des Instituts der deutschen Wirtschaft

Bildungspolitik Lesezeit 5 Min.

Zahl der Kinder aus bildungsfernen Milieus steigt

In Deutschland wachsen immer mehr Kinder und Jugendliche in bildungsfernen Familien auf. Das hat nicht nur Auswirkungen auf ihre schulischen Leistungen, sondern verschlechtert auch langfristig die beruflichen Perspektiven. Diese Entwicklung ist sowohl individuell als auch gesamtgesellschaftlich problematisch.

Kernaussagen in Kürze:
  • Es gibt in Deutschland eine immer größere Zahl von Kindern und Jugendlichen, die während des Schulbesuchs nicht die nötigen Kompetenzen für eine erfolgreiche Berufslaufbahn erwerben.
  • Ein wesentlicher Einflussfaktor für diese Entwicklung ist der sozioökonomische Hintergrund der Eltern.
  • Als besonders vulnerabel gelten Kinder, deren Eltern keinen Schulabschluss haben. Der Anteil dieser Kinder ist zwischen 2011 und 2021 von 3,5 Prozent auf 5,5 Prozent gestiegen
Zur detaillierten Fassung

Es ist fatal: Die demografische Entwicklung in Deutschland steuert seit Jahren auf eine überalterte Gesellschaft zu, in der die Jungen gegenüber den Alten in der Unterzahl sind. So stehen den rund 13,2 Millionen 55- bis 64-Jährigen, die in den kommenden zehn Jahren aus dem Erwerbsleben ausscheiden, nur etwa 8,5 Millionen 15- bis 24-Jährige gegenüber, die diese Lücke am Arbeitsmarkt füllen müssen. Das allein ist schon schwierig genug, denn wie soll es aufgehen, wenn auf 100 Ältere rein rechnerisch nur knapp 65 Jüngere kommen? Doch richtig knifflig wird es, wenn man bedenkt, dass es eine immer größere Zahl von Kindern und Jugendlichen gibt, die während des Schulbesuchs nicht die nötigen Kompetenzen für eine erfolgreiche Berufslaufbahn erwerben.

Insgesamt gibt es in Deutschland annähernd 2,5 Millionen Minderjährige, die in bildungsfernen Familien aufwachsen.

Ein wesentlicher Einflussfaktor für diese Entwicklung ist der sozioökonomische Hintergrund der Eltern. So hat ein hoher beruflicher Status der Eltern, der eng mit ihrem Bildungsstand verknüpft ist, einen klar positiven Einfluss auf die PISA-Ergebnisse ihrer Kinder. Auch viele Bücher im Haushalt, häufiges Vorlesen oder Erzählen von Geschichten sowie gute Deutschkenntnisse im Elternhaus haben diese Wirkung.

Doch seit einigen Jahren wachsen immer mehr Kinder in Deutschland in bildungsfernen Milieus auf (Grafik):

Im Jahr 2021 hatten annähernd 18 Prozent aller Minderjährigen Eltern ohne berufsqualifizierenden Abschluss, 2011 traf dies auf nur rund 11 Prozent zu.

So viel Prozent der Minderjährigen in Deutschland hatten Eltern ohne berufsqualifizierenden Abschluss mit diesem Bildungsstand Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Als noch vulnerabler gelten Kinder, deren Eltern keinen Schulabschluss haben. Der Anteil dieser Kinder ist im betrachteten Zeitraum von 3,5 Prozent auf 5,5 Prozent beziehungsweise 765.000 Personen gestiegen. Insgesamt gibt es in Deutschland annähernd 2,5 Millionen Minderjährige, die in bildungsfernen Familien aufwachsen.

Wenn konzentriertes Lernen nicht möglich ist

Wer keinen Schulabschluss oder keine Berufsausbildung vorweisen kann, tut sich auf dem Arbeitsmarkt schwer: Rund 40 Prozent der bildungsfernen Kinder und mehr als die Hälfte der bildungsfernen Kinder mit Eltern ohne Schulabschluss hatten im Jahr 2021 Väter und Mütter, die maximal einer geringfügigen Tätigkeit nachgingen. Außerdem wachsen Kinder in bildungsfernen Milieus häufig mit mehr als zwei Geschwistern auf, was oft begrenzte Ressourcen für Lernmaterial, beengte Wohnverhältnisse und wenig Rückzugsmöglichkeiten für konzentriertes Lernen mit sich bringt.

Welche Folgen es hat, wenn Kinder nicht ausreichend gefördert werden und nur geringe Teilhabechancen haben, zeigt ein Blick auf die weiterführenden Schulen (Grafik):

Im Jahr 2021 besuchten nur rund 17 Prozent der Schüler aus bildungsfernen Familien ein Gymnasium. Der Anteil der Schüler, deren Eltern keinen Schulabschluss haben, belief sich sogar nur auf knapp 13 Prozent.

So viel Prozent der Kinder in Deutschland besuchten im Jahr 2021 in der Sekundarstufe I diese weiterführenden Schulen Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Weit häufiger finden sich Kinder aus bildungsfernen Milieus an Hauptschulen, Kombinationen aus Haupt- und Realschulen sowie an Gesamtschulen.

Vergleicht man die Veränderungen an den weiterführenden Schulen zwischen 2011 und 2021, zeigt sich, dass es sowohl bei den bildungsfernen als auch bei den nicht bildungsfernen Jugendlichen eine starke Verschiebung weg von den Hauptschulen hin zu den Gymnasien gab. Bei beiden Gruppen sind außerdem die Gesamtschulen und die kombinierten Schulen wichtiger geworden, während die Realschulen an Bedeutung verloren haben.

Immer mehr Risikoschüler

Damit deutet sich zwar eine leichte Verbesserung der Lage der bildungsfernen Kinder und insbesondere der Kinder von Eltern ohne Schulabschluss an, allerdings lässt sich daraus nicht automatisch auf ihre langfristigen Perspektiven schließen: Tatsächlich hat sich das Kompetenzniveau der Schüler in Deutschland in den vergangenen Jahren verschlechtert, wie die jüngsten PISA-Studien gezeigt haben. Im Jahr 2022 galten rund 30 Prozent der 15-Jährigen an weiterführenden Schulen als Risikoschüler in Mathematik, zehn Jahr zuvor waren es nur 17,7 Prozent. Insbesondere an den Gymnasien ist das Leistungsniveau rückläufig. Allerdings haben sich im Jahr 2022 auch die Schulschließungen während der Coronapandemie in den Schülerleistungen bemerkbar gemacht.

Wie stark der Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status der Eltern – also deren Einkommen und Berufsstatus – und dem Schulerfolg der Kinder ist, zeigt eine IW-Berechnung auf Basis von PISA-Daten (Grafik):

An den 10 Prozent der weiterführenden Schulen, die den ungünstigsten elterlichen Sozialindex aufweisen, erreichen fast zwei Drittel der Schüler nicht die Mindestanforderungen in Mathematik, sind also Risikoschüler.

So viel Prozent der 15-jährigen Schüler an weiterführenden Schulen in Deutschland waren im Jahr 2022 Risikoschüler Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Am oberen Ende der Skala, in den 10 Prozent der Schulen mit dem günstigsten sozioökonomischen Status der Eltern, beträgt der Anteil der Risikoschüler in Mathematik nicht einmal 4 Prozent.

Um langfristig Bildungsgerechtigkeit zu schaffen, wäre eine Ausweitung des bundesfinanzierten Startchancen-Programms, das im vergangenen Jahr mit einer Laufzeit von zehn Jahren gestartet ist, sinnvoll. Aktuell ist es für rund 4.000 Schulen – das sind etwa 10 Prozent aller Schulen in Deutschland – ausgelegt und umfasst ein Investitionsvolumen von 20 Milliarden Euro für die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler. Mit diesen Mitteln sollen die bauliche Ausstattung der Schulen modernisiert, ein Chancenbudget für passgenaue Fördermaßnahmen zur Verfügung gestellt und zusätzliches multiprofessionelles Personal an Schulen finanziert werden. Würde man dieses Programm vervierfachen, ließen sich mehr als zwei Drittel der Risikoschüler im Fach Mathematik erreichen und nicht wie bislang nur 22 Prozent.

Förderung zahlt sich aus

Das würde sich für Staat und Gesellschaft auszahlen: Nach IW-Berechnungen ergibt sich bei einem Aufwand von 20 Milliarden Euro für das Startchancen-Programm im vorsichtigen Szenario über den Lebenslauf der Schülerinnen und Schüler berechnet ein fiskalischer Gesamteffekt – durch höhere Steuereinnahmen und geringere Ausgaben für Sozialtransfers – von 56,3 Milliarden Euro. Im optimistischen Szenario wären es sogar 112,6 Milliarden Euro. Bei einer Vervierfachung der Investitionen würden sich die Gesamteffekte entsprechend erhöhen.

Das könnte Sie auch interessieren

Meistgelesene