Interview Lesezeit 5 Min.

„Wir brauchen flächendeckend eine exzellente Infrastruktur“

Jens Südekum ist Professor für Internationale Volkswirtschaftslehre am Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie (DICE) der Heinrich-Heine-Universität. Zusammen mit dem IW hat er die rund 300 Seiten starke Studie „Die Zukunft der Regionen in Deutschland“ herausgegeben. Der iwd sprach mit ihm über zentrale Befunde der Studie und Ableitungen für die Politik.

Kernaussagen in Kürze:
  • Wie es mit der Regionalentwicklung in Deutschland weitergeht, hängt maßgeblich von der Politik ab, sagt Jens Südekum, Professor für Internationale Volkswirtschaftslehre. Deutschland brauche überall eine exzellente Infrastruktur.
  • Die Kommunen hätten in den vergangenen Jahren viele Aufgaben zusätzlich übernehmen müssen, sie seien dafür aber finanziell unzureichend ausgestattet.
  • Für Investitionen in die Regionalentwicklung durch den Bund sei angesichts der niedrigen Zinsen aktuell der bestmögliche Zeitpunkt, meint Südekum.
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Deutschlands Wirtschaft lebt vom Mittelstand, also von vielen Hidden Champions, die in ihrer Nische Weltmarktführer sind. Ist dieses Geschäftsmodell in Gefahr?

Zumindest kommt es aus zwei Richtungen unter Druck: erstens international durch die USA und China. Denn auch, wenn sich die Wirtschaft dort bislang eher mit anderen Themen wie künstlicher Intelligenz beschäftigt hat, drängt sie jetzt auch in den sogenannten B2B-Bereich, konzentriert sich also nicht länger auf die Zielgruppe der Konsumenten, sondern entdeckt andere Unternehmen als Kunden. Und hier liegt ja bislang klar der deutsche Fokus.

Zweitens gibt es national gewichtige Kräfte, die der Wirtschaft im ländlichen Raum zusetzen. Vor allem die Digitalisierung begünstigt Jobs in Dienstleistungsberufen, die sowohl ihre Kunden als auch ihre Arbeitskräfte hauptsächlich in den Städten finden. Im Gegenzug fallen manuelle, klassische Industrietätigkeiten weg. Menschen werden also weiterhin in die Städte ziehen; auf dem Land fehlen dann noch mehr Fachkräfte und die demografischen Probleme dort verstärken sich.

Dann wäre die Digitalisierung trotz Homeoffice und ähnlichen Arbeitsformen also doch kein Segen für ländliche Regionen?

Was ich gerade beschrieben habe, muss nicht Realität werden. Es ist ein pessimistisches Szenario. Homeoffice kann natürlich dabei helfen, dass das Landleben an Attraktivität gewinnt. Wir registrieren ja schon, dass Familien zumindest aus den Innenstädten der Metropolen wegziehen, weil es ihnen zu teuer, zu laut und zu beengt ist.

Der Konjunkturboom der vergangenen Jahre hat die Probleme nur kaschiert. Es bleibt dabei: Die Kommunen sind für ihre Aufgaben finanziell unzureichend ausgestattet.

Auch das „Re-Shoring“ bietet Chancen für den ländlichen Raum: Wenn Roboter vollautomatisch Schuhe fertigen, dann können sie das für den deutschen und europäischen Markt statt in Vietnam auch in der bayerischen Provinz tun – zusammen mit wenigen Experten für Steuerung und Wartung der Maschinen oder Roboter.

Die Politik hat maßgeblich Einfluss darauf, welches Szenario Realität wird. Doch eines ist klar: Für das optimistische Szenario brauchen wir deutschlandweit eine exzellente Infrastruktur.

Jens Südekum ist Professor für Internationale Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf; Foto: Institut der deutschen Wirtschaft Hat die deutsche Wirtschaft in den vergangenen Jahren technische Entwicklungen verschlafen?

Man kann die deutsche Industrie von diesem Vorwurf sicherlich nicht ganz freisprechen. Nach der Wirtschaftskrise, also etwa seit 2010/2011, lief es einfach unglaublich gut für sehr klassische deutsche Produkte wie das Auto mit Verbrennungsmotor. Da war der Druck nicht da, sich als Industrie völlig neu aufzustellen. Was da bislang versäumt wurde, müssen die Firmen jetzt schnellstmöglich aufholen.

Deutschlandweit gibt es Regionen, die kurz davorstehen, den Anschluss zu verlieren – beispielsweise im Ruhrgebiet, obwohl dort für die Regionalpolitik über die Jahre viel Geld in die Hand genommen wurde. Warum hat das so wenig bewirkt?

Das sehe ich anders. Der Strukturwandel dort war einfach so massiv, dass wir gar nicht abschätzen können, wie viel schlechter es um die Region stünde, wenn es all die Förderung nicht gegeben hätte. Aber wenn wir ins Ausland schauen, können wir es erahnen: Die Bevölkerung in Detroit im Rust-Belt der USA ist seit dem Niedergang der klassischen amerikanischen Autoindustrie um 50 Prozent zurückgegangen. Duisburg beispielsweise ist dagegen nur um 15 Prozent geschrumpft, nachdem es mit dem Kohleabbau zu Ende ging. Ohne all die Regionalförderung im Ruhrgebiet hätten wir sicher auch ein viel größeres Problem mit populistischen Parteien in Westdeutschland.

Die Kreditanstalt für Wiederaufbau beziffert den Investitionsbedarf im kommunalen Bereich auf 138 Milliarden Euro – eine gewaltige Summe. Wie konnte es zu diesem Investitionsstau kommen?

Die Kommunen haben über die Jahre sehr viele Aufgaben zusätzlich übernehmen müssen – beispielsweise das Wohngeld, die Kita-Betreuung, Kosten der Unterkunft im Hartz-IV-Bereich. Für all das hat ihnen der Gesetzgeber aber nur die finanzielle Ausstattung für einen durchschnittlichen Fall zugestanden.

Das Geld reichte dann natürlich nicht in jeder Region und eine Abwärtsspirale kam in Gang: Die Kommunen mussten alles für ihre sozialen Aufgaben ausgeben, die Infrastruktur blieb auf der Strecke. Teilweise mussten sich die Kommunen dennoch verschulden, dann trat die Kommunalaufsicht auf den Plan, die in ihrer Mechanik höhere Hebesteuersätze bei der Gewerbesteuer forderte und alle freiwilligen Leistungen der Städte und Gemeinden strich. In der Folge wanderten Firmen, aber auch Fachkräfte ab.

Der Boom der vergangenen Jahre hat diese Probleme lediglich kaschiert. Gelöst sind sie nicht. Es bleibt dabei: Die Kommunen sind für ihre Aufgaben finanziell unzureichend ausgestattet.

Auch das Thema Breitbandversorgung ist für Unternehmen und Einwohner längst ein Standortfaktor und wird öffentlich ständig diskutiert. Aber so wirklich ernst nimmt die Politik das Thema noch immer nicht, oder?

Die Aussage von Bundesbildungsministerin Karliczek, dass es nicht an jeder Milchkanne Breitbandversorgung braucht, war natürlich fatal. Denn wenn wir als Hightech-Standort autonomes Fahren oder Telemedizin wollen, dann muss es dafür überall Netz geben.

Bislang sind die Politiker oftmals einem Irrglauben aufgesessen: Sie wollten beispielsweise mit der Versteigerung von Mobilfunkfrequenzen einerseits viel Geld verdienen, und andererseits glaubten sie, dass sich private Anbieter um alles kümmern. Aber natürlich müssen Firmen auf die Rentabilität achten und machen nur, was Gewinn verspricht. Eine Regulierung kann da nur begrenzt helfen, denn mehr als das Nötigste wird selbst dann natürlich nicht gemacht.

Bei den 5G-Frequenzen soll das jetzt wohl anders laufen. Da will sich der Staat um die Infrastruktur in der Provinz kümmern und diese später per Local Roaming den Mobilfunkanbietern zur Verfügung stellen.

Natürlich kostet das den Staat erstmal Geld, aber einen anderen Weg sehe ich nicht. Auch bei der Breitbandversorgung kann es nur so funktionieren.

Haben Sie mit Blick auf die Studienergebnisse ein Patentrezept für die Regierung, wie sie schnellstmöglich clevere Regionalpolitik betreiben kann?

Ein Patentrezept ist immer schwierig. Aber es ist sehr gut, dass die Regionalpolitik ganz oben auf der Agenda in Berlin steht – mit der Kommission für gleichwertige Lebensverhältnisse beispielsweise und mit einem Aktionsplan von gleich drei Ministerien.

Der Politik muss immer klar sein: Regionalpolitik gibt es nicht umsonst. Aber makroökonomisch betrachtet ist jetzt dank der niedrigen Zinsen der bestmögliche Zeitpunkt für entsprechende Investitionen.

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