Wer gewinnt im Tarifpoker?
In der laufenden Tarifrunde des öffentlichen Dienstes fordern die Gewerkschaften überproportionale Lohnerhöhungen für die unteren Entgeltgruppen. Dabei werden An- und Ungelernte in der öffentlichen Verwaltung bereits verhältnismäßig gut bezahlt, wie ein Vergleich zeigt. Statt die Löhne der Staatsbediensteten pauschal anzuheben, wäre eine größere Spreizung angebracht.
- In der öffentlichen Verwaltung verdiente ein leitender Angestellter im dritten Quartal 2014 monatlich 5.600 Euro.
- Angesichts dessen lohnt es sich für Hochschulabsolventen und andere Spitzenkräfte finanziell kaum, eine Karriere im öffentlichen Dienst anzustreben.
Eine Lohnerhöhung von 5,5 Prozent, mindestens aber 175 Euro mehr pro Monat – so lautet die Forderung der Tarifgemeinschaft aus ver.di, Beamtenbund und Tarifunion sowie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in der laufenden Tarifrunde mit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst.
Kommt es tatsächlich zu diesem Abschluss, müssten die Länderhaushalte allein für die 1,2 Millionen Beamten jedes Jahr 6,4 Milliarden Euro an Gehaltserhöhungen stemmen, schätzt die TdL. Und das ist längst noch nicht alles. Hinzu kommen noch die Ausgaben für jene angestellten Lehrer, die höher eingruppiert werden sollen, damit ihre Gehälter an die der beamteten Lehrkräfte angeglichen werden.
Doch nicht nur das geforderte Gesamtvolumen stellt in dieser Tarifrunde ein Problem dar. Auch die Mindestanhebung um 175 Euro im öffentlichen Dienst ist heikel. Die Gewerkschaftsseite verlangt dies vor allem, um den Abstand der untersten Entgeltgruppe zu den Beschäftigten mit gesetzlichem Mindestlohn zu vergrößern. Während Ungelernte derzeit 1.573 Euro pro Monat bekommen, erzielt ein Mindestlöhner bei einer 40-Stunden-Woche ein Monatseinkommen von 1.472 Euro.
Eine Lohnerhöhung von monatlich 175 Euro in der untersten Entgeltgruppe des Tarifvertrags der Länder entspricht einem Zuwachs von bis zu 11 Prozent.
Solch eine überproportionale Erhöhung wertet Arbeit, für die keine abgeschlossene Berufsausbildung nötig ist, sondern nur ein maximal dreimonatiges Anlernen, gegenüber Fachtätigkeiten und hochqualifizierten Tätigkeiten auf. Dass dies unangebracht ist, zeigt ein Vergleich der Lohnniveaus zwischen privaten, sogenannten marktbestimmten Dienstleistungen und öffentlichen Dienstleistungen auf Basis der vierteljährlichen Verdiensterhebung des Statistischen Bundesamts. An- und Ungelernte verdienten im dritten Quartal 2014 in der öffentlichen Verwaltung 2.068 Euro brutto im Monat und damit deutlich mehr als im privaten Sektor, wo nur 1.806 Euro heraussprangen (Grafik).
Genau umgekehrt ist es bei den hochqualifizierten Arbeitnehmern:
In der öffentlichen Verwaltung verdiente ein leitender Angestellter im dritten Quartal 2014 monatlich 5.600 Euro – die marktbasierten Dienstleister dagegen zahlten ein durchschnittliches Monatsgehalt von 7.634 Euro.
Angesichts dieser Entlohnungsstrukturen lohnt es sich also für Hochschulabsolventen und andere Spitzenkräfte finanziell kaum, eine Karriere in der öffentlichen Verwaltung anzustreben. Erschwerend kommt noch hinzu, dass es im öffentlichen Dienst üblicherweise keine übertarifliche Entlohnung gibt, die das Lohngefälle für Hochqualifizierte zwischen staatlichen und privaten Arbeitgebern ausgleichen könnte.
Damit es sich für gut ausgebildete Arbeitnehmer rechnet, im Staatsdienst zu arbeiten, sind die Tarifparteien im öffentlichen Dienst mehr als in der Privatwirtschaft gefordert, die Tarifstrukturen so zu differenzieren, dass sie den Personalbedarfsanforderungen gerecht werden. Statt die Lohnstruktur im öffentlichen Dienst durch überproportionale Tarifanhebungen der unteren Entgeltgruppen zu stauchen, müsste sie so angepasst werden, dass die Bezahlung qualifizierter Tätigkeiten mit den entsprechenden Gehältern in der freien Wirtschaft mithalten kann.
Insgesamt haben die Tariflöhne im öffentlichen Dienst zuletzt durchaus ein wenig aufgeholt (Grafik):
Seit 2010 sind die Tarifverdienste im öffentlichen Dienst etwas stärker gestiegen als in der Gesamtwirtschaft.
Die Lücke zur Privatwirtschaft zu schließen, ist allerdings nur ein erster Schritt. Um bei den Vergütungen innerhalb des öffentlichen Dienstes eine größere Lohndifferenzierung zu erreichen, sind weitere, flexiblere Maßnahmen notwendig. So könnten zum Beispiel Teile des Verteilungsspielraums dafür genutzt werden, den Ausbau von Leistungsprämien voranzutreiben oder Zulagensysteme zu schaffen.
Interview
Nachgefragt bei Dr. Hagen Lesch, Leiter des Kompetenzfelds Tarifpolitik und Arbeitsbeziehungen im Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW)
Wie sähe der ideale Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst aus?
Der Abschluss sollte keine übermäßige Anhebung für die unteren Leistungsgruppen beinhalten. Außerdem sollte ein Teil der Verteilungsmasse in einen Fonds fließen, aus dem Zahlungen für bestimmte Sonderaufgaben geleistet werden – zum Beispiel dafür, dass ein Lehrer zusätzlich zu seinem Stundendeputat die nachmittägliche Theater-AG an seiner Schule leitet.
Wie realistisch ist ein solcher Abschluss?
Leider ziemlich unrealistisch, weil ver.di seit einigen Jahren versucht, die weniger qualifizierten und entsprechend schlechter bezahlten Arbeitnehmergruppen besser zu stellen. Anders sieht es bei den Lehrervergütungen aus: Hier geht es erst mal darum, zu einer bundeseinheitlichen Eingruppierung zu kommen – da bin ich optimistisch.
Sie plädieren auch dafür, den besonders gut Qualifizierten im Öffentlichen Dienst größere Spielräume bei den Gehaltserhöhungen einzuräumen als den weniger verdienenden Geringqualifizierten. Welcher der beteiligten Tarifpartner sieht das genauso?
Das Thema steht nicht auf der Agenda der laufenden Tarifrunde. Ein Problem im Öffentlichen Dienst ist ja, dass es keine Möglichkeit gibt, benötigte Fachleute mit Hilfe von nicht-tariflich geregelten Zulagen anzulocken. Es ist dort einfach nicht üblich, auf den Tarifverdienst noch etwas oben draufzulegen.
Gibt es Branchen, in denen die von Ihnen geforderten Lohndifferenzierungen in den Tarifabschlüssen stehen?
In der Industrie wird die Lohndifferenzierung nicht nur über die Tarifverträge, sondern auch durch eine übertarifliche Bezahlung erzeugt, etwa in der Chemie- und Metallindustrie. Gleiches gilt aber auch für den Großhandel, für Finanzdienstleister oder den IT-Sektor.