Wenn Azubis ins Ausland gehen
„Die Welt ist ein Buch. Wer nie reist, sieht nur eine Seite davon", wusste schon Aurelius Augustinus vor rund 1.600 Jahren. Der Philosoph hatte damals sicherlich nicht jene Auszubildenden im Sinn, die in ausländischen Unternehmen ein Praktikum machen. Aber auch für sie gilt: Erfahrungen durch Auslandsaufenthalte sind unersetzlich – heute wie in der Antike.
- Erfahrungen durch Auslandsaufenthalte sind unersetzlich – heute wie in der Antike.
- Nach wie vor sammeln nur 4 Prozent aller Absolventen einer beruflichen Erstausbildung Erfahrungen im Ausland.
- Vielen Unternehmen scheint noch nicht bewusst zu sein, wie wichtig Auszubildende und Berufsfachschüler mit Auslandserfahrung auch für den Betrieb sind – und welche Möglichkeiten es überhaupt gibt.
Im diesem Jahr werden rund 30.000 Auszubildende und Berufsfachschüler aus Deutschland einen Teil ihrer beruflichen Erstausbildung im Ausland absolvieren. Dies sind zwar rund 10.000 Jugendliche mehr als im Jahr 2008, in Zeiten der Globalisierung aber immer noch relativ wenig.
Nach wie vor sammeln nur 4 Prozent aller Absolventen einer beruflichen Erstausbildung Erfahrungen im Ausland.
Das soll sich so schnell wie möglich ändern. Die Bundesregierung hat daher Anfang des Jahres beschlossen: Bis 2020 sollen mindestens 10 Prozent der Auszubildenden während ihrer Ausbildung Auslandserfahrung sammeln.
Da kommt das Berufsbildungsprogramm Leonardo da Vinci (Kasten) gerade recht: Dessen Fördermittel hat die Europäische Union in den vergangenen fünf Jahren deutlich erhöht (Grafik). So können in diesem Jahr fast 16.000 Auszubildende und Berufsfachschüler aus der Bundesrepublik ins Ausland gehen – mehr als doppelt so viele wie noch 2008. Die meisten Leonardo-Stipendiaten machen ihr oft vierwöchiges Praktikum in Großbritannien, Spanien, Frankreich, Irland, Italien oder Finnland – auch weil es ihnen wichtig ist, ihre Englisch-, Spanisch- oder Französisch-Sprachkenntnisse zu verbessern.
Vielen Unternehmen scheint aber noch nicht bewusst zu sein, wie wichtig Auszubildende und Berufsfachschüler mit Auslandserfahrung auch für den Betrieb sind – und welche Möglichkeiten es überhaupt gibt. Im Jahr 2010 schickten lediglich 2 Prozent der deutschen Unternehmen regelmäßig Azubis ins Ausland, hat eine Untersuchung der WSF Wirtschafts- und Sozialforschung ergeben. Weitere 6 Prozent machten dies sporadisch. Und der Anstoß kam in zwei Drittel der Fälle von außen, etwa durch Kammern, Innungen oder Berufsschulen.
Jene Betriebe, die ihren Auszubildenden ein Auslandspraktikum ermöglichen, haben fast durchweg gute Erfahrungen gemacht (Grafik). Sie schätzen vor allem die positive persönliche Entwicklung, die ihre Zöglinge aufgrund des Aufenthalts in der Fremde machen. Außerdem ist die Möglichkeit eines Auslandsaufenthalts für jede Firma ein Pluspunkt bei der Suche nach Auszubildenden – und hilft so dabei, Fachkräfteengpässen entgegenzuwirken.
Und natürlich profitieren auch die Azubis selbst. Das zeigt eine Befragung der WSF Wirtschafts- und Sozialforschung: Mehr als 80 Prozent der Auszubildenden und Berufsfachschüler gaben nach ihrem Auslandsaufenthalt an, selbstbewusster zu sein, andere Kulturen besser zu verstehen und besser mit Menschen umgehen zu können.
„Ausland? Sofort wieder!“
Für Julia Frewer (20) steht fest: Ihr Praktikum in Großbritannien war eine der wichtigsten Erfahrungen in ihrem bisherigen Leben. Die angehende Industriekauffrau aus Gummersbach ist in ihrem zweiten Ausbildungsjahr bei der Firma dy-pack Verpackungen GmbH, einem Hersteller von Papiertüten. Im Frühjahr war Julia Frewer für vier Wochen in Portsmouth – für ein Praktikum im City Council, in der Stadtverwaltung.
Was haben Sie während Ihres Auslandspraktikums gemacht?
Ich habe bei einem Flüchtlingsprojekt geholfen. Wir haben ein Haus für verfolgte Frauen und Familien gebaut und eingerichtet – von Möbel aussuchen bis hin zu Babyfläschchen kaufen.
Haben Sie sich das Ziel Portsmouth selbst ausgesucht?
Nein, nicht direkt. Mein Ausbilder bei dy-pack hat mir von einer Veranstaltung der Industrie- und Handelskammer (IHK) Siegen erzählt – über das Leonardo-Stipendium. Die IHK Siegen ist Projektträger für das Programm und organisiert Auslandsaufenthalte in Großbritannien als Gruppenreisen. Dafür habe ich mich dann beworben, aber auch ein Praktikum in Frankreich wäre möglich gewesen. Mir war es aber wichtig, meine Englisch-Sprachkenntnisse zu verbessern, da ich an der Abendschule eine Weiterbildung zur Europakauffrau machen möchte. Außerdem ist dy-pack international tätig und hat unter anderem Büros in Großbritannien und Malaysia.
Wie bewirbt man sich denn für ein Auslandspraktikum?
Ich habe mich zuerst schriftlich bei der IHK Siegen beworben – mit einem Motivationsbrief auf Englisch, warum ich am Leonardo-Programm teilnehmen möchte. Dann bin ich zu einem persönlichen Gespräch eingeladen worden und habe wenig später die Zusage bekommen.
Wie läuft das Programm ab?
Vor der Abreise nach England gab es ein Vorbereitungsseminar – mit allen wichtigen Infos, aber auch mit Referaten über die britische Kultur, Essgewohnheiten und Sehenswürdigkeiten. Außerdem konnten wir regelmäßig Englischunterricht nehmen. In Portsmouth hat dann jeder bei einer Gastfamilie gewohnt. Ich war bei einer Mitarbeiterin der Partneragentur untergebracht, die das Programm auf der britischen Seite organisiert hat. Auch finanziell lief alles reibungslos, sodass ich mich ganz auf die neuen Eindrücke und Erlebnisse konzentrieren konnte.
Was hat Ihnen das Praktikum gebracht?
Fachlich vielleicht nicht so viel, weil die Zeit für eine richtige Einarbeitung zu kurz war und ich als Praktikantin eher die einfachen Aufgaben übernommen habe. Aber sprachlich und kulturell enorm viel. Ich war nicht nur gezwungen, Englisch zu sprechen, sondern musste auch die kulturellen Unterschiede meistern und habe viele Menschen kennengelernt. Ich bin auf jeden Fall jetzt viel selbstbewusster - und habe auch zu schätzen gelernt, was ich an zu Hause habe.
Würden Sie Leonardo weiterempfehlen?
Auf jeden Fall! Aber man muss auch für neue Erfahrungen offen sein und sich auf andere Umstände, Menschen und eine fremde Sprache einlassen. Ich kann mir vorstellen, später für längere Zeit im Ausland zu arbeiten.