Der Informationsdienst
des Instituts der deutschen Wirtschaft

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Arbeitsmarkt Lesezeit 3 Min.

Wegfall der Hinzuverdienstgrenze lindert Fachkräftemangel kaum

Um Menschen länger im Arbeitsmarkt zu halten, hat die Bundesregierung die Hinzuverdienstgrenze für Rentner zunächst in den Jahren 2020 und 2021 erhöht und 2023 ganz abgeschafft. Wie Frührentner darauf reagierten, hat nun das IW untersucht.

Kernaussagen in Kürze:
  • Um Menschen lange im Arbeitsleben zu halten, hat die Politik die Hinzuverdienstgrenze für Frührentner abgeschafft.
  • Der Anteil der erwerbstätigen vorzeitigen Rentenbezieher ist danach gestiegen. Allerdings tragen sie bisher kaum zur Linderung des Fachkräftemangels bei.
  • Es sind demnach Zweifel angebracht, ob die weggefallene Hinzuverdienstgrenze substanziell gegen den demografischen Wandel hilft.
Zur detaillierten Fassung

Deutschland fehlen Fachkräfte – und das nicht zu knapp. Eine Möglichkeit, dem entgegenzuwirken, ist es, die Menschen möglichst lang im Arbeitsleben zu halten. Genau mit dieser Intention, und um ein Ausscheiden älterer Beschäftigter während der Coronapandemie zu verhindern, hat die frühere Bundesregierung 2020 die Hinzuverdienstgrenze für Rentner, die die Regelaltersgrenze noch nicht erreicht haben, von 6.300 Euro – dem Jahreseinkommen aus einer geringfügigen Beschäftigung – auf 44.590 Euro angehoben. Ein Jahr später folgte eine weitere Erhöhung auf 46.060 Euro. Erst oberhalb der Grenze wurden die Einkommen auf die Rente angerechnet. Im Jahr 2023 schaffte die Regierung die Hinzuverdienstgrenze schließlich komplett ab.

Grundsätzlich könnten (angehende) Rentner auf die veränderten Verdienstmöglichkeiten auf dreierlei Weise reagieren:

1. Die Menschen passen ihr Verhalten nicht an, weder was den Renteneintritt noch den Hinzuverdienst im Anschluss angeht. Das Arbeitsvolumen bleibt unverändert.

2. Menschen, die die vorzeitige Altersrente beziehen, nehmen nun häufiger eine Beschäftigung auf. Die angehenden Rentner halten an ihren Zeitplänen für den Renteneintritt fest. Das Arbeitsvolumen steigt.

3. (Besonders) langjährig Versicherte ziehen ihren Renteneintritt vor und arbeiten weiter. Das Arbeitsvolumen bleibt gleich, aber die Frührentner erhalten bereits Zahlungen aus der Rentenversicherung. Ausgleichen müssten das entweder die Beschäftigten über höhere Beitragssätze oder alle Steuerzahler, wenn der Fiskus die Lücke in der Rentenkasse stopft.

Kaum Auswirkungen auf Fachkräftemangel

Um sich der Antwort auf die Frage, welches Szenario eingetreten ist, zu nähern, hat das Institut der deutschen Wirtschaft Versicherten- und Rentendaten der Rentenversicherung analysiert. Besonders auffällig ist die Entwicklung in einer Gruppe (Grafik):

Der Anteil der Hinzuverdiener unter den Personen, die im Betrachtungsjahr nach 45 Berufsjahren abschlagsfrei in Rente gegangen sind, ist von 2019 bis 2023 massiv gestiegen – von knapp 6 auf gut 20 Prozent.

So viel Prozent der in diesem Jahr und für die jeweilige Rentenart erstmals rentenberechtigten Jahrgänge in Deutschland arbeiteten nach Renteneintritt weiter Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Auch unter den langjährig Versicherten – also jenen mit mindestens 35 Versicherungsjahren –, die vorzeitig in den Ruhestand getreten sind, ist der Anteil der Hinzuverdiener im ersten Rentenjahr von gut 3 auf knapp 11 Prozent gestiegen.

Unter den sogenannten Regelaltersrentnern – also jenen, die ihre Rente erst zur regulären Altersgrenze beantragt haben und für die es nie eine Hinzuverdienstgrenze gab – hat sich der Anteil der Hinzuverdiener dagegen von 2020 bis 2023 nur moderat erhöht.

Es ist zweifelhaft, ob das vornehmliche Ziel der Regierung, dem demografischen Wandel mit der wegfallenden Hinzuverdienstgrenze entgegenzuwirken, erfolgreich sein kann.

Größere Veränderungen gab es durch die Reformen des Hinzuverdiensts auch bei der Einkommenshöhe. So verdienten die Regelaltersrentner in den Jahren 2018 und 2019 etwa 50 Prozent mehr hinzu als besonders langjährig versicherte Ruheständler. Nach der Reform im Jahr 2023 lagen die Einkommen dieser Gruppe 10 Prozent über denen der regulären Altersrentner.

Und noch eine weitere Erkenntnis liefern die Daten:

Die Neurentner mit Hinzuverdienst tragen über alle Berufsbereiche hinweg nur minimal zur Fachkräftesicherung bei.

Selbst wenn man die langjährig Versicherten und die besonders langjährig Versicherten zusammenrechnet, stellen sie im Berufsbereich mit den meisten Hinzuverdienern – Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht und Verwaltung – lediglich 0,3 Prozent aller Beschäftigten. In den vom Fachkräftemangel besonders betroffenen Berufen sind die Quoten noch niedriger.

Die Ergebnisse der IW-Studie wecken demnach Zweifel, ob das vornehmliche Ziel der Regierung, dem demografischen Wandel mit der wegfallenden Hinzuverdienstgrenze entgegenzuwirken, erfolgreich sein kann. In einem nächsten Schritt gilt es zu untersuchen, ob die neue Regel eine relevante Zahl von Menschen dazu verleitet, früher in Rente zu gehen. Sollte dies der Fall sein, wäre die Reform noch nicht einmal ein Nullsummenspiel, sondern eine Fehlplanung, weil die Beitrags- und Steuerzahler durch mehr Frührentner deutlich stärker belastet würden.

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