Viertagewoche: Mehr Risiko als Chance
Seit geraumer Zeit wird in Deutschland über die Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich diskutiert. Valide wissenschaftliche Erkenntnisse zu dem Modell gibt es aber bislang kaum. Eine repräsentative Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt nun, dass die Unternehmen durch die Arbeitszeitverkürzung deutlich mehr negative als positive Auswirkungen erwarten.
- Acht von zehn Unternehmen in Deutschland rechnen damit, dass ihre Personalkosten durch die Viertagewoche steigen würden. Deutlich seltener sehen sie positive Effekte durch das Modell.
- Für die Gesamtwirtschaft rechnen noch weniger Personalverantwortliche mit positiven Auswirkungen bei einer flächendeckenden Einführung der kürzeren Arbeitswoche.
- 60 Prozent der Unternehmen sehen sogar den Wohlstand in Deutschland insgesamt durch eine gesetzlich oder tariflich festgelegte Viertagewoche gefährdet.
Eine moderne und produktive Arbeitswelt erhoffen sich die einen, vor einem noch größeren Arbeitskräftemangel fürchten sich die anderen – die Diskussion um die Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich wird in Deutschland kontrovers geführt. Oftmals hilft in solchen Situationen der Blick auf empirische Untersuchungen. Doch bislang gibt es nur Befragungen zur Beliebtheit des Modells unter Beschäftigten sowie Ergebnisse von Pilotprojekten, die allerdings keine repräsentative Aussagekraft haben.
Das Institut der deutschen Wirtschaft hat diese empirische Lücke nun geschlossen. Die Forscher befragten in ihrem Personalpanel im Frühjahr 2024 mehr als 800 Unternehmen aus allen Branchen zu ihrer Sicht auf die Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich.
Acht von zehn der befragten Personalverantwortlichen gaben an, dass sie sich über die Viertagewoche entweder noch nicht informiert hätten oder nach der Beschäftigung mit dem Thema sicher seien, die Viertagewoche nicht im eigenen Unternehmen einzuführen.
Nur gut 6 Prozent der Unternehmen haben das Modell eingeführt oder testen es derzeit. Etwas höher ist der Anteil der Betriebe mit Viertagewoche im Handwerk mit 9 Prozent sowie in Unternehmen mit einem hohen Digitalisierungsgrad, wo sie knapp 14 Prozent der Betriebe praktizieren.
Sieben von zehn Unternehmen sind der Meinung, dass mit einer flächendeckenden Viertagewoche das Arbeitsvolumen der gesamten Wirtschaft nicht mehr zu stemmen wäre.
Die Personaler sollten in der IW-Befragung außerdem angeben, welche (potenziellen) positiven und negativen Auswirkungen sie für sich bei der verpflichtenden Einführung der Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich sehen. Die Nachteile überwiegen aus Sicht der Unternehmen (Grafik):
77 Prozent der Unternehmen rechnen damit, dass durch die Viertagewoche die Personalkosten steigen würden.
Das deckt sich damit, dass 63 Prozent davon ausgehen, durch das Modell mehr Personal einstellen zu müssen. Außerdem erwartet die Mehrheit eine erschwerte Bearbeitung von Aufträgen sowie eine höhere Arbeitsbelastung für die Angestellten.
Zu den positiven Auswirkungen sagt knapp die Hälfte der Unternehmen, dass durch die Viertagewoche die eigene Attraktivität als Arbeitgeber steigen würde. Eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit und eine leichtere Gewinnung von Fachkräften erwartet jeweils etwa ein Drittel.
Kein Produktivitätsschub
Bemerkenswert ist, dass nur 6 Prozent der befragten Personalverantwortlichen davon überzeugt sind, dass eine steigende Produktivität der Beschäftigten aufgrund der Viertagewoche die Arbeitszeitverkürzungen ausgleichen könne. Das spiegelt sich auch in den allgemeinen Wirtschaftsdaten wider: Das Produktivitätswachstum betrug in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland preisbereinigt im Jahresschnitt nur 0,8 Prozent. Um die Arbeitszeitverkürzung durch eine Viertagewoche zu kompensieren, bräuchte es das kumulierte Produktivitätswachstum von 30 Jahren – in denen es zusätzlich dann auch keine Reallohnsteigerungen geben dürfte.
Für die Gesamtwirtschaft rechnen noch weniger Personalverantwortliche mit positiven Effekten bei einer flächendeckenden Viertagewoche:
Nur 17 Prozent der Unternehmen erwarten, dass sich der Krankenstand in Deutschland durch das Modell verringern würde.
Gerade einmal jeder zehnte Betrieb hält die deutsche Wirtschaft für anpassungsfähig genug, um alle Herausforderungen zu meistern, die die generelle Viertagewoche mit sich bringen dürfte.
Deutlich größer sind die Sorgen (Grafik):
Sieben von zehn Unternehmen sind der Meinung, dass mit einer flächendeckenden Viertagewoche das Arbeitsvolumen der gesamten Wirtschaft nicht mehr zu stemmen wäre.
Fast genauso viele Betriebe erwarten, dass sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands durch die Arbeitszeitverkürzung verringern würde. Dadurch, dass die Bundesrepublik bereits heute zu den exportorientierten Ländern mit den höchsten Lohnstückkosten zählt, wäre die verkürzte Arbeitszeit bei gleichem Lohn ein zusätzlicher Belastungsfaktor.
60 Prozent der Unternehmen sehen sogar den Wohlstand in Deutschland insgesamt durch eine gesetzlich oder tariflich festgelegte Viertagewoche gefährdet.
Die IW-Studie zeigt, dass eine Viertagewoche zwar in einzelnen Branchen und Bereichen einen positiven Effekt haben könnte. In den meisten Unternehmen – und damit auch in der gesamten deutschen Wirtschaft – dürfte die undifferenzierte Einführung einer auf vier Tage verkürzten Arbeitswoche aber großen Schaden anrichten.