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des Instituts der deutschen Wirtschaft

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Arbeitszeit Lesezeit 4 Min.

Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich: Der falsche Ansatz

Eine Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich? Ob dieses Modell funktionieren kann, haben verschiedene Experimente untersucht. Allerdings haben die Pilotprojekte eklatante Schwächen, sodass ihre Aussagekraft gering ist. Angesichts des demografischen Wandels in Deutschland ist eine Arbeitszeitverkürzung zudem grundsätzlich der falsche Ansatz, wenn der Wohlstand im Land gehalten werden soll.

Kernaussagen in Kürze:
  • In mehreren Ländern gibt oder gab es Experimente zur Viertagewoche – sie alle sind aufgrund diverser Schwächen nicht aussagekräftig.
  • Da sich Firmen aktiv für die Versuche beworben haben, lassen sich die Ergebnisse nicht auf die gesamte Wirtschaft übertragen, zudem fehlen oft Vergleichsgruppen.
  • Angesichts des demografischen Wandels und des im internationalen Vergleich niedrigen Arbeitspensums müssten die Menschen in Deutschland künftig mehr statt weniger arbeiten.
Zur detaillierten Fassung

Einen Tag weniger pro Woche arbeiten, aber auf dem Konto bleibt alles beim Alten – dass die Idee von der Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich bei Arbeitnehmern Sympathien hervorruft, ist verständlich. So präferieren 73 Prozent der Teilnehmer einer repräsentativen Befragung aus dem vergangenen Jahr die Variante der verkürzten Arbeitszeit bei weiterhin vollen Bezügen.

Doch so einfach, wie es sich anhört, ist es nicht. Denn am Ende ist Arbeit gegen Lohn eine Gleichung, die wirtschaftlich aufgehen muss – sowohl für das einzelne Unternehmen als auch für die gesamte Volkswirtschaft. Die Befragung zeigt auch: Würde man den Lohn analog zur Arbeitszeit um 20 Prozent verringern, wollen nur noch 8 Prozent der Beschäftigten eine Viertagewoche.

Die zweite Möglichkeit, wie die Gleichung der Viertagewoche rechnerisch aufgehen könnte, ist eine Verbesserung der Produktivität. Allerdings müsste diese um stattliche 25 Prozent steigen, um die reduzierte Arbeitszeit auszugleichen. Realistisch ist das nicht, wie ein Blick in die Vergangenheit zeigt (Grafik):

Im Zeitraum 2001 bis 2021 ist die Produktivität der deutschen Wirtschaft jährlich um weniger als 0,9 Prozent gestiegen.

Reale Wertschöpfung je Erwerbstätigenstunde, durchschnittliche jährliche Veränderung in Prozent Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Die Tendenz ist dabei im langfristigen Trend zudem rückläufig. Selbst wenn man ein beständiges Wachstum von einem knappen Prozent für die Zukunft annimmt, wäre die Produktivität erst im Jahr 2048 auf dem erforderlichen Niveau, um die heute eingeführte Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich zu finanzieren.

Angesichts des demografischen Wandels müssten die Menschen in Deutschland mehr arbeiten statt weniger, um das Wohlstandsniveau zu halten.

Auch eine andere Berechnung verdeutlicht, dass der Traum von der Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich nicht funktioniert:

Um die Viertagewoche gesamtwirtschaftlich heute stemmen zu können, hätte es zwischen den Jahren 2000 und 2021 keinerlei Lohnerhöhung in Deutschland geben dürfen.

Ungeachtet dieser Problematik gab und gibt es in mehreren Ländern – darunter auch in Deutschland – Experimente zur Viertagewoche. So soll eine empirische Grundlage für die Diskussion um das Modell geschaffen werden. Auch wenn die einzelnen Versuchsaufbauten etwas variieren, haben sie doch alle ähnliche Schwächen.

Verzerrte Teilnehmerliste. Die teilnehmenden Unternehmen haben sich aktiv für das Experiment beworben und wurden nicht zufällig ausgewählt. So ist naheliegend, dass viele der Betriebe einer Viertagewoche positiv gegenüberstehen oder davon ausgehen, dass sie in der eigenen Firma funktioniert. Das Problem: Die so gewonnenen Erkenntnisse sind nicht auf die gesamte Wirtschaft übertragbar.

Fehlende Vergleichsgruppe. Wenn der Umsatz in einem teilnehmenden Unternehmen während der Testphase steigt, könnte man meinen, dass der Grund dafür die Viertagewoche ist. Doch um diesen kausalen Zusammenhang eindeutig belegen zu können, müsste man das Unternehmen mit einem Kontrollbetrieb vergleichen, der keine Viertagewoche eingeführt hat. Nur so kann ausgeschlossen werden, dass beispielsweise eine günstige Konjunktur Grund für die steigenden Umsätze war. Die Experimente zur Viertagewoche nutzen Kontrollgruppen aber höchstens für den Vergleich verschiedener Beschäftigtengruppen, nicht für den Vergleich verschiedener Unternehmen.

Produktivität fraglich. Wenn die Arbeitszeit sinkt, müssen Mitarbeiter schneller arbeiten, um das Gleiche zu schaffen – die Produktivität muss also steigen. Ob dies bei den Teilnehmern der Fall war, wurde bislang nicht konsistent erfasst. Und selbst wenn es so wäre: Die ergriffenen Maßnahmen zur Produktivitätssteigerung ließen sich auch ohne geringere Arbeitszeiten ergreifen.

Zeitraum zu kurz. Auch wenn es für kurze Zeit gelingt, produktiver zu arbeiten und den fehlenden Arbeitstag auszugleichen, bleibt offen, wie nachhaltig das ist. Viele Beschäftigte kehren mittel- bis langfristig wieder in gewohnte Routinen zurück, die Produktivität sinkt dann also. Der fehlende Arbeitstag macht sich somit erst langfristig bemerkbar.

Arbeitspensum in Deutschland vergleichsweise gering

Deutschland hat darüber hinaus noch ein weiteres Problem. Angesichts des demografischen Wandels müssten die Menschen mehr arbeiten statt weniger, um das Wohlstandsniveau zu halten. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland in puncto Arbeitspensum schon heute zurück (Grafik):

In der Bundesrepublik wurden im Jahr 2022 je Einwohner im Alter von 15 bis 64 Jahren 1.031 Arbeitsstunden geleistet. Neuseeland als Spitzenreiter unter den OECD-Staaten kam auf 1.393 Stunden.

So viele Arbeitsstunden je Einwohner im Alter von 15 bis 64 Jahren wurden im Jahr 2022 in diesen OECD-Ländern geleistet Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Viele weitere Wettbewerber lagen beim Jahresarbeitspensum zudem deutlich vor Deutschland. Die öffentliche Diskussion sollte sich daher vor allem darum drehen, wie es gelingt, hierzulande mehr Menschen von Teilzeit- in Vollzeitjobs zu bringen sowie mehr Arbeitslose erfolgreich in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

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