Der Informationsdienst
des Instituts der deutschen Wirtschaft

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Wirtschaftspolitik Lesezeit 5 Min.

Transformation braucht Kontinuität und Tempo

Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden, die EU bis 2050. Der Weg dahin ist gespickt mit Herausforderungen für Politik und Wirtschaft. Was die Unternehmen zum Umbau sagen und wie weit Deutschland bisher wirklich gekommen ist, hat das IW in seinem Transformationskompass festgehalten.

Kernaussagen in Kürze:
  • Für die Unternehmen in Deutschland überwiegen hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit die Risiken der Transformation derzeit die Chancen.
  • Fast die Hälfte der Firmen fühlt sich in ihrem Engagement für den Umwelt- und Klimaschutz durch die unklare Kosten-Nutzen-Relation erheblich beeinträchtigt.
  • Trotz der diversen Hürden ergreifen viele Unternehmen Maßnahmen, um sich klimafreundlicher aufzustellen. Dabei konzentrieren sie sich bislang in erster Linie auf Effizienz.
Zur detaillierten Fassung

Es ist der größte Wandel der Wirtschaft seit der industriellen Revolution. Deutschland will sich wie die gesamte EU von fossilen Energieträgern verabschieden und seine Industrie klimaneutral gestalten. Dazu braucht es viele strukturelle Veränderungen, von der Energieerzeugung über die Produktion bis hin zur Digitalisierung. Außerdem sind Einflussfaktoren wie die alternde Bevölkerung in Deutschland und die Tendenz zur Deglobalisierung zu berücksichtigen. Kurz gesagt: Die Transformation ist ein gesamtwirtschaftliches und gesellschaftliches Mammutprojekt.

Um den aktuellen Stand des Prozesses in Deutschland bestmöglich zu erfassen, hat das Institut der deutschen Wirtschaft daher in seinem für die Wirtschaftsvereinigung der Grünen erstellten Transformationskompass sowohl Unternehmen zu Wort kommen lassen als auch die aktuelle Lage analysiert. Eine erste Erkenntnis:

Für die Unternehmen in Deutschland überwiegen hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit die Risiken der Transformation derzeit die Chancen.

Die Branche Energie-, Wasserversorgung, Entsorgung sieht als einzige ein Chancenplus. Besonders skeptisch blickt der Bausektor auf den Umbau der Wirtschaft, im Vergleich zur vorangegangenen Befragung im Jahr 2023 ist die Risikoeinschätzung aber auch generell negativer ausgefallen – unabhängig von Unternehmensgröße oder Branche. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass die multiplen Krisen in den vergangenen beiden Jahren einen größeren Einfluss auf diese Einschätzungen haben. Zur Einordnung der Ergebnisse ist es ebenfalls wichtig zu erwähnen, dass die Befragung im Januar und Februar 2025 und damit vor dem Bundestagsbeschluss zur Neuverschuldung durchgeführt wurde.

Die Unsicherheit in der deutschen Wirtschaft hinsichtlich der Transformation ist spürbar. Viele Betriebe rechnen damit, dass sie an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen.

Konkreter auf die eigene Lage bezogen, gehen die Meinungen in der Wirtschaft aber weiter auseinander:

Während knapp 56 Prozent der Unternehmen ihr Geschäftsmodell aufgrund der Kostensteigerung durch die Transformation gefährdet sehen, sind gut 41 Prozent zuversichtlich, ihr Geschäftsmodell erfolgreich anpassen zu können.

Insgesamt ist die Unsicherheit in der deutschen Wirtschaft hinsichtlich der Transformation spürbar. So rechnet mehr als ein Drittel der Betriebe damit, dass ihre Produkte an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen. Und auch die Hemmnisse für Investitionen sind aus Unternehmenssicht weiterhin groß (Grafik):

Fast die Hälfte der Firmen fühlt sich in ihrem Engagement für den Umwelt- und Klimaschutz durch die unklare Kosten-Nutzen-Relation erheblich beeinträchtigt.

So viel Prozent der Unternehmen in Deutschland werden in ihrem Engagement für den Umwelt- und Klimaschutz durch diese Dinge gebremst Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Ebenfalls stark hemmend wirken sich laut den Betrieben die politischen Rahmenbedingungen sowie fehlende rechtliche Klarheit aus.

In anderen Bereichen gab es seit 2023 dagegen Fortschritte. Fehlende klimafreundliche Technologien monieren heute 20 Prozent, zwei Jahre zuvor war es noch jedes dritte Unternehmen. Und auch ein zu geringes Angebot an erneuerbaren Energien ist nur noch für 19 Prozent (vormals 31 Prozent) ein großes Hindernis.

Trotz der diversen Hürden ergreifen viele Unternehmen Maßnahmen, um sich klimafreundlicher aufzustellen. Dabei konzentrieren sie sich bislang in erster Linie auf Effizienz (Grafik):

Knapp 44 Prozent der Unternehmen setzen Energie sparsamer ein oder achten auf eine Kreislaufführung ihrer Materialien.

So viel Prozent der Unternehmen in Deutschland haben folgende Maßnahmen für den Umwelt- und Klimaschutz ergriffen Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Fast ebenso häufig erzeugen, nutzen oder speichern die Unternehmen Strom oder Wärme aus erneuerbaren Energien. All diese Maßnahmen sparen nicht nur Emissionen, sondern auch Kosten, was für die Unternehmen ein wesentliches Argument für ihr Engagement ist.

Dazu bemühen sich jeweils knapp vier von zehn Firmen um eine emissionsärmere Fahrzeugflotte, Sanierungen ihrer Gebäude zum Energiesparen sowie innerbetriebliche nachhaltige Maßnahmen wie Job-Tickets oder Dienstfahrräder.

Deutschland steht bei der Transformation unter Zugzwang

Um die Befragungsergebnisse besser einordnen und eine realistische Einschätzung des Stands der Transformation in Deutschland geben zu können, hat das IW für seinen Transformationskompass umfassende Daten zu wichtigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Indikatoren zusammengetragen. Konkret geht es um die vier großen D – Dekarbonisierung, Digitalisierung, Demografie und Deglobalisierung. Sowohl die Kritik als auch die positiven Aussagen der Unternehmen spiegeln sich darin durchaus wider:

Dekarbonisierung. Der Stromsektor kommt beim Ausbau der erneuerbaren Energien gut voran, was auch die Unternehmen spüren. Doch da im Wärmesektor und im Verkehr größere Fortschritte bislang ausgeblieben sind, lag Deutschland im Jahr 2023 mit seinem Anteil erneuerbarer Energien am Bruttoenergieverbrauch mit 21,5 Prozent unter dem EU-Durchschnitt von 24,6 Prozent.

Digitalisierung. Was die Digitalisierung angeht, bereitet vor allem der Glasfaserausbau Sorgen:

Im Jahr 2023 hatten in Deutschland 30 Prozent der Haushalte einen Glasfaseranschluss. EU-weit lag die Quote bei 64 Prozent.

Auch in Sachen digitale Verwaltung hängt die Bundesrepublik ihren selbst gesteckten Zielen hinterher. Von den 575 Verwaltungsleistungen, die bereits Ende 2022 online verfügbar sein sollten, waren Anfang 2025 nur 29 Prozent in allen Bundesländern digital umgesetzt.

Demografie. Der demografische Wandel – sprich: die alternde Bevölkerung – erhöht den Druck auf den Arbeitsmarkt und bedroht somit eine schnelle Transformation. Umso wichtiger ist es, die Erwerbstätigkeit von Frauen zu steigern und dabei auch die Vollzeitquote zu erhöhen. Zwischen 2011 und 2024 gab es allerdings so gut wie keine Veränderung, zuletzt waren 38 Prozent der Frauen im erwerbstätigen Alter vollzeitbeschäftigt.

Deglobalisierung. Deutschland hat seit vielen Jahren eine hohe Außenhandelsquote. Das birgt in Zeiten protektionistischer Tendenzen Risiken. Gerade die große Abhängigkeit von China – auch bei Rohstoffen, die für die Transformation wichtig sind – ist gefährlich (siehe “Seltene Erden: Chinesisches Druckmittel”). Eine größere Diversifizierung der Lieferketten würde mehr Sicherheit und Planbarkeit für die sich transformierende Wirtschaft bieten.

Ob Energie, Daten, Arbeit oder Märkte – in allen vier Dimensionen des Wandels steht Deutschland unter Zugzwang. Es braucht nun einen klaren, stabilen Rahmen, der Investitionen erleichtert, Tempo ermöglicht und Zukunftsmärkte erschließt. Zeit spielt hierbei eine zentrale Rolle: Verzögerungen im Transformationsprozess führen nicht nur zu zusätzlichen vermeidbaren Umweltkosten, sondern erhöhen auch den Anpassungsdruck auf die Unternehmen und mindern zugleich ihre Chancen, sich in neuen globalen Wachstumsmärkten erfolgreich zu positionieren.

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