Interview Lesezeit 4 Min.

„Organisieren Sie sich, machen Sie einen Stundenplan!“

Wenn plötzlich alle zu Hause bleiben müssen und auch viele Arbeitnehmer ihren Job im Homeoffice erledigen, ist das für alle Beteiligten eine psychisch herausfordernde Situation. Damit aus dem Ersttrauma Corona kein Heimarbeits-Zweittrauma wird, empfiehlt der Psychoanalytiker und Systemische Therapeut Hans Christ aus Köln einige Spielregeln fürs Homeoffice in Krisenzeiten.

Kernaussagen in Kürze:
  • Viele Beschäftigte arbeiten aufgrund der Corona-Krise derzeit im Homeoffice. Damit dies gelingt, sollten sich alle Familienmitglieder regelmäßig miteinander verbindlich absprechen, rät der Kölner Psychotherapeut Hans Christ.
  • Die Bedrohung durch das Virus und die ungewohnte häusliche Enge können traumatisierend wirken und schlimmstenfalls sogar Depressionen auslösen, so Christ.
  • Selbst wenn Handlungsspielräume momentan begrenzt sind, rät der Psychotherapeut dazu, sich Mini-Perspektiven zu schaffen: indem man ein seit Langem bereitliegendes Buch liest oder die Steuererklärung macht.
Zur detaillierten Fassung

Viele Beschäftigte müssen wegen des Coronavirus momentan für einen längeren Zeitraum im Homeoffice arbeiten, während draußen vor der Tür der Ausnahmezustand herrscht. Was macht das mit den Menschen?

Das ist ganz unterschiedlich: Einige werden sich freuen, weil sie immer schon von zu Hause aus arbeiten wollten, andere leiden stark unter der eingeschränkten Bewegungs- und Handlungsfreiheit. Letzteres ist nicht ganz unkritisch: Wenn Menschen plötzlich in einer größeren Nähe auf begrenztem Raum zusammenkommen und sich in ihrer Unterschiedlichkeit ertragen müssen, ohne ausweichen zu können, kann dadurch eine zweite traumatische Situation entstehen. So wie draußen hätte das dann einen weiteren, jetzt inneren, Kontrollverlust zur Folge.

Und was ist das erste Trauma, das wir gerade erleben?

Dass man das Virus nicht kontrollieren kann und dass wir nichts Aktives tun können gegen diese lebensbedrohliche Situation. Das ist eines der Wesensmarkmale eines Traumas: dass man zur Hilflosigkeit verdammt ist, weil man nicht gegensteuern kann. Wir können uns vorläufig nur dadurch schützen, das wir uns in die Wohnung zurückziehen und Kontakte nach außen vermeiden.

Wenn die Störungen im Homeoffice überwiegen, sinkt die Performance stark. Damit das nicht passiert, könnte man versuchen, jeden Tag einen wertschätzenden Dialog zu führen.

Auch hier gibt es wieder Persönlichkeiten, denen das nichts ausmacht, die sogar erleichtert sind, wenn der Staat oder staatliche Instanzen die Kontrolle für sie übernehmen. Aber es gibt auch Leute, die sehr stark von dieser Hilflosigkeit betroffen sind, denen man das aber nicht anmerkt. Das sind diejenigen, die eine besonders starke Autonomie an den Tag legen. Das gilt beispielsweise – aber nicht nur – für Jugendliche, die sich dauernd gegängelt fühlen und die die Bedrohung durch das Virus schlicht verleugnen. Verleugnung ist ein typischer Abwehrmechanismus bei Bedrohung.

Hans Christ ist Psychoanalytiker und Systemischer Therapeut in Köln, Foto: Max Christ Wie geht denn ein autonom veranlagter Mensch am besten mit der erzwungenen Homeoffice-Situation um?

Die Performance des Einzelnen hängt stark von der Berücksichtigung der Work-Life-Balance auf diesem engen Raum ab. Man sollte versuchen, das Gefühl zu bekommen, etwas bewirken und bestimmen zu können in diesem verbliebenen eingedampften Raum – also zu Hause. Das ist möglich, indem wir das Zusammenleben organisieren, also mit allen im Haushalt lebenden Personen, auch den Kindern, genau besprechen. Empfehlenswert wäre etwa ein Stundenplan, damit jeder weiß, wann er was zu tun hat, wann jemand etwas mit jemand anderem zusammen macht und wann welche Haushaltsmitglieder nicht gestört werden sollen – zum Beispiel, weil er oder sie gerade im Homeoffice arbeitet. So behält jeder seine Komfortzone und die ganze Situation bekommt eine größere Überschaubarkeit.

Wie wirkt sich diese Krisensituation auf die Arbeitsergebnisse aus?

Wenn die Störungen im Homeoffice überwiegen, sinkt die Performance natürlich stark. Damit das nicht passiert, könnte man versuchen, jeden Tag einen wertschätzenden Dialog zu führen – also eine Art Reporting und Briefing, wo alle Personen der Haus- oder Wohnungsgemeinschaft zusammenkommen und besprechen, wie es an diesem Tag gelaufen ist und was man verbessern könnte.

Solche Gespräche sollte man übrigens auch mit den Kollegen führen und dabei nicht nur über die Arbeitsinhalte sprechen, sondern auch über das Miteinander und darüber, welche Erfahrungen die anderen im Homeoffice machen.

Die Erwachsenen sollten in dieser Krisenzeit außerdem darauf achten, nicht alle neuen Corona-Nachrichten zu verfolgen. Denn die Nachrichtenflut bringt ein großes Unsicherheitspozential mit sich, was die Arbeitsleistung ebenfalls senkt. Eine gezielte Auswahl tut hier gut.

Wie bekommt man es denn ganz praktisch im Homeoffice hin, Privates und Berufliches zu trennen?

Das hängt zum einen sehr stark davon ab, wie man wohnt und wie viel Platz man hat. Denn es ist wichtig, räumliche Distanz zu gewährleisten. Wer eine Zwei- oder Dreizimmerwohnung mit einem oder zwei Kindern bewohnt, hat es extrem schwer. Zum anderen ist es wichtig, möglichst keine Missverständnisse mit dem Partner aufkommen zu lassen. Es braucht einen Konsens darüber, wer was in welcher Zeit mit wem macht.

Wichtig ist in dieser traumatischen Situation außerdem, Bewältigungsperspektiven zu entwickeln: beispielsweise ein Buch zu lesen, das man schon lange auf dem Bücherstapel liegen hatte, oder die Steuererklärung zu machen. Diese Mini-Perspektiven wirken in dieser Kleinstethnie antidepressiv und antitraumatisierend.

Und wie kann man Kollegen unterstützen, die mit der Isolation und dem Dauer-Homeoffice nicht klarkommen?

Wichtig ist es, Kontakt zu halten und konkret zu fragen, was ihnen schwerfällt und was sie behindert – ohne sie zu beschämen. Gleichzeitig sollte man aber auch erforschen, was denn an dieser neuen Situation vorteilhaft für sie ist. Denn Homeoffice hat ja mitunter auch Vorteile: Man kann sich die Arbeit besser einteilen als im Betrieb – wiederum vorausgesetzt, man hat sich mit den anderen Familienmitgliedern oder den Mitbewohnern gut abgesprochen.

Ab wann merkt man, dass man professionelle Hilfe braucht?

Wenn es zugespitzte Krisen gibt, aggressive Auseinandersetzungen, die natürlich auch kontraproduktiv sind für die zu erbringenden Leistungen im Homeoffice. Oder wenn es deutliche Krankheitssymptome gibt wie Rückzug, Angstzustände oder ständige Gereiztheit, die zu zunehmenden Konflikten führt, die nicht bewältigbar sind.

Und wo bekommt man in Corona-Zeiten Hilfe?

Man kann sich beispielsweise an die Bundespsychotherapeutenkammer wenden. Um im Homeoffice mit Gefühlen wie Angst oder Hilflosigkeit besser umzugehen, bieten sich sowohl Systemisches Coaching als auch einzeltherapeutische Maßnahmen an.

Das könnte Sie auch interessieren

Meistgelesene