Mit einer Pleite fing alles an
Vor 40 Jahren wurde die Einlagensicherung in Deutschland reformiert – als Lehre aus der Herstatt-Insolvenz. Im Dezember 2013 einigten sich die EU-Staaten darauf, wie in der Europäischen Union künftig Bankguthaben abgesichert werden sollen. Weil das deutsche System jedoch einen größeren Schutz bietet als das der EU-Bankenunion, kann in der Bundesrepublik alles beim Alten bleiben.
- Nach der Herstatt-Insolvenz vor 40 Jahren wurde in Deutschland die Einlagensicherung reformiert.
- Weil 1974 die Einlagensicherung noch nicht so weit entwickelt war wie heute, zogen sich die Entschädigungen der Herstatt-Kunden zum Teil bis zum Jahr 2009 hin.
- Zusätzlich zu den freiwilligen Sicherungssystemen haben Sparer in Deutschland seit 1998 einen gesetzlichen Entschädigungsanspruch durch das Einlagensicherungs- und Anlagenentschädigungsgesetz im Umfang von 100.000 Euro je Kunde.
Als das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen am Nachmittag des 26. Juni 1974 dem Kölner Bankhaus Herstatt die Geschäftserlaubnis entzieht, ist für rund 52.000 Bankkunden die gerade stattfindende Fußball-Weltmeisterschaft auf einen Schlag nur noch Nebensache. Statt sich die Live-Übertragung des Spiels Deutschland gegen Jugoslawien anzusehen, eilt an diesem Mittwoch so manch aufgeschreckter Sparer zur Hauptniederlassung des Kölner Bankhauses. Doch die Türen der Privatbank, die unweit des Doms residiert, sind bereits geschlossen. In der Schalterhalle dagegen herrscht Hektik – die Angestellten der Bank sollen versucht haben zu retten, was zu retten war.
Weil 1974 die Einlagensicherung noch nicht so weit entwickelt war wie heute, zogen sich die Entschädigungen der Herstatt-Kunden zum Teil bis zum Jahr 2009 hin.
Heutzutage sind Bankkunden in Deutschland wesentlich besser geschützt. Als Reaktion auf die größte deutsche Bankenpleite der Nachkriegszeit gründeten Deutschlands Privatbanken den Einlagensicherungsfonds, der im Insolvenzfall Guthaben von Sparern und anderen Bankkunden auf freiwilliger Basis über die gesetzliche Einlagenentschädigung hinaus bis zur Sicherungsgrenze der jeweiligen Bank absichert. Auch die Genossenschaftsbanken und die öffentlich-rechtlichen Banken in Deutschland haben solche freiwilligen Sicherungssysteme etabliert (Tableau).
Zusätzlich zu den freiwilligen Sicherungssystemen haben Sparer in Deutschland seit 1998 einen gesetzlichen Entschädigungsanspruch durch das Einlagensicherungs- und Anlagenentschädigungsgesetz im Umfang von 100.000 Euro je Kunde.
Die Volks- und Raiffeisenbanken sowie die Sparkassen sind von der gesetzlichen Einlagensicherung allerdings befreit, weil sie jeweils in einem Haftungsverbund organisiert sind, der die Insolvenz einzelner Institute ausschließt – dadurch sind alle Kundeneinlagen abgesichert.
Mitte Dezember 2013 haben sich nach langwierigen Verhandlungen auch die EU-Mitgliedsstaaten auf ein neues Regelwerk für Spareinlagen geeinigt: Demnach werden alle EU-Länder zum Aufbau eines nationalen Fonds für die Sicherung von Sparguthaben verpflichtet, der bis zu 100.000 Euro pro Kundeneinlage absichert und innerhalb von sieben Tagen zahlungsfähig sein muss. Dieser Rechtsrahmen für die Einlagensicherung gilt – neben der gemeinsamen Bankenaufsicht und den Regeln für die Bankenabwicklung – als dritte Säule der geplanten europäischen Bankenunion. Die Richtlinie zur Einlagensicherung muss bis 2024 schrittweise umgesetzt werden. Die bewährten Institutssicherungssysteme der Sparkassen und der Volks- und Raiffeisenbanken bleiben aber erhalten.
„Herstatt würde man heute wohl nicht mehr zumachen“
Diplom-Handelslehrer Dieter Eschbach (74) unterrichtete neben seiner Tätigkeit als Berufsschullehrer zwischen 1972 und 1974 auch die Auszubildenden der Kölner Privatbank Herstatt. Am 26. Juni 1974 musste die Bank auf Anordnung des Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen wegen großer Verluste im Devisengeschäft schließen. Eschbach trat als Zeuge im Prozess um die Herstatt-Pleite auf.Herr Eschbach, wann haben Sie das erste Mal bemerkt, dass bei Herstatt irgendetwas aus dem Ruder lief?Das war Ende 1972, Anfang 1973: Da lenkte plötzlich ein Azubi aus der Devisenabteilung im Unterrichtsraum ein ferngesteuertes Modellauto durch die Reihen. So ein Auto kostete damals 4.500 DM! Nach der letzten Unterrichtsstunde sagte der junge Mann zu mir: ´Das Auto können Sie mitnehmen, für Ihren Sohn.` Das habe ich natürlich nicht angenommen.
Wenig später hatten die Herstatt-Auszubildenden – namentlich die aus der Devisenabteilung – bereits so viel Geld, dass sich einige von ihnen einen Porsche leisteten. Auf meine Nachfragen, woher denn das Geld käme, hieß es nur: ´Ach, da müssen Sie nichts drum geben.`
Nach dem Zusammenbruch von Herstatt sind Sie wegen Steuerhinterziehung verklagt worden, weil Sie angeblich Devisentermingeschäfte getätigt und in Ihrer Steuererklärung nicht angegeben haben. Haben Sie mitgezockt?Nein, ich hatte bei Herstatt lediglich ein Girokonto für die Honorare, die mir die Bank für meine Lehrtätigkeit zahlte. Mein Name tauchte allerdings in einem Anleger-Pool der Luxemburger Herstatt-Niederlassung auf, der im Dezember 1973 ein Devisentermingeschäft getätigt hatte, das ein Jahr später fällig geworden wäre.
Wie kam Ihr Name in den Pool?Das kann ich Ihnen nicht sagen, ich weiß es nicht.
Wurden Sie verurteilt?Nein, nach langem Hin und Her stellte das Gericht fest, dass ich als Beamter gar keine Devisentermingeschäfte abschließen konnte, ich war nicht devisentermingeschäftsfähig. Außerdem kam man zu dem Schluss, dass Geschäfte, die erst nach der Pleite einer Bank hätten erfüllt werden müssen, nicht versteuert zu werden brauchen.
Wie lange hat sich das Ganze hingezogen?Das ging über drei, vier Jahre. Wann ein Devisentermingeschäft versteuert werden muss, wer überhaupt Devisentermingeschäfte tätigen darf und all diese Fragen waren zum Zeitpunkt der Herstatt-Pleite juristisch nicht geklärt. Erst in den Jahren nach 1974 gab es nach und nach Gesetze für den Devisenhandel.
Könnte sich der Fall Herstatt heute noch mal wiederholen?Das Bankhaus Herstatt würde man heute wahrscheinlich nicht so ohne weiteres zumachen. Hätte man Herstatt damals nur ein halbes Jahr länger offen gelassen, wäre die Bank auch wieder liquide gewesen. Denn zwei Tage, bevor Herstatt Insolvenz anmelden musste, hatten drei Großbanken ihre Einlagen abgezogen, das hat Herstatt nicht verkraften können.
Sie bedauern, dass Herstatt schließen musste, plädieren aber gleichzeitig dafür, dass Banken auch heute die volle Verantwortung für ihr Geschäftsgebaren tragen sollen …Warum soll heute keine Bank insolvent werden dürfen? Warum muss für jede Bankenrettung der Steuerzahler aufkommen? Als Herstatt geschlossen wurde, gab es im Bankensektor sehr viel weniger Regeln als heute. 1974 existierte nicht mal ein Regelwerk dafür, wie ein Kreditinstitut abzuwickeln ist. Auch deshalb hat sich der Herstatt-Vergleich bis 2009 hingezogen. Heute gibt es Regeln und ich bin absolut dafür, sie auch anzuwenden, wenn eine Bank überschuldet ist.
Angenommen, Sie hätten 200.000 Euro übrig. Wie würden Sie das Geld anlegen?Ich würde genau 100.000 Euro bei einer Bank anlegen und 100.000 Euro bei einer zweiten Bank, aber keine 110.000 Euro! Denn 100.000 Euro sind durch die gesetzliche Einlagensicherung, die ja als Folge der Herstatt-Pleite erst geschaffen wurde, absolut sicher. Vor 40 Jahren kannte man in Deutschland ja nur den Feuerwehrfonds, der Einlagen bis 20.000 DM absicherte.