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Lieferkettengesetz: Gut gemeint ist nicht gut gemacht

Sowohl das deutsche als auch das europäische Lieferkettengesetz wollen die Menschenrechte in Entwicklungs- und Schwellenländern stärken. Doch ein Blick auf die Bekleidungsbranche zeigt: In den Textilfabriken vieler klassischer Lieferländer verlieren die Menschen ihren Job, statt bessere Arbeitsbedingungen zu erhalten.

Kernaussagen in Kürze:
  • Das deutsche und auch das europäische Lieferkettengesetz wollen die Menschenrechte in Entwicklungs- und Schwellenländern stärken.
  • Das deutsche Gesetz, das seit Anfang 2023 in Kraft ist, hat die deutschen Bekleidungsimporte – insbesondere aus Schwellenländern – sinken lassen.
  • Für die betroffenen Schwellenländer wie Bangladesch oder Pakistan sind das keine guten Nachrichten. Denn dort haben aufgrund der geringeren Nachfrage bereits viele Textilfabriken dichtgemacht.
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Fast jedes Produkt, das Verbraucher in Deutschland kaufen, enthält ausländische Wertschöpfung: Die Kakaobohnen für die Schokolade kommen von der Elfenbeinküste, das Elektroauto eines deutschen Herstellers fährt mithilfe von chinesischen Batteriezellen und selbst beim Brötcheneinkauf um die Ecke stammt zumindest die Arbeitskleidung des Bäckers aus Bangladesch, der Türkei oder Indien.

Seit Inkrafttreten des deutschen Lieferkettengesetzes gingen die Bekleidungsimporte im Jahr 2023 um rund 15 Prozent zurück, aus den Entwicklungsländern führte die Bundesrepublik sogar rund 20 Prozent weniger Textilien ein als im Vorjahr.

Weil die Gefahr besteht, dass manche Produkte aus Schwellen- und Entwicklungsländern mithilfe von Kinder- und Zwangsarbeit oder unter anderen menschenrechtsverletzenden Bedingungen hergestellt werden und oftmals zusätzlich die Umwelt Schäden davonträgt, hat Deutschland das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erlassen. Es ist seit Anfang vergangenen Jahres in Kraft. In Brüssel haben Ende Mai zudem die 27 Mitgliedsstaaten das EU-Lieferkettengesetz beschlossen, das ab 2027 gelten soll.

Auch wenn sich die beiden Gesetze im Detail voneinander unterscheiden, so haben sie doch eines gemeinsam: Sie wollen die Einhaltung der Menschenrechte entlang der globalen Lieferketten stärken.

Ob dies funktioniert, lässt sich anderthalb Jahre nach Inkrafttreten des deutschen Lieferkettengesetzes noch nicht abschließend feststellen. Was man jedoch analysieren kann, sind Veränderungen in den Handelsströmen. Da ein Großteil der in Deutschland verkauften Kleidung aus Schwellen- und Entwicklungsländern stammt, hat das Institut der deutschen Wirtschaft deren Importquoten für 2022 und 2023 untersucht. Und tatsächlich hat sich einiges verschoben:

Insgesamt gingen die deutschen Bekleidungsimporte 2023 um rund 15 Prozent zurück.

Um so viel Prozent veränderten sich die deutschen Bekleidungsimporte im Jahr 2023 – seither gilt das deutsche Lieferkettengesetz – gegenüber dem Vorjahr Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Am höchsten fiel das Minus mit knapp 33 Prozent für indonesische Textilien aus, die Einfuhren aus Myanmar, China, Bangladesch und Pakistan verringerten sich jeweils um mehr als 20 Prozent (Grafik).

Diese starken Rückgänge lassen sich nicht darauf zurückführen, dass die Deutschen plötzlich deutlich weniger Jeans, T-Shirts und Strickjacken kaufen: Denn im Jahr 2023 gingen die Konsumausgaben für Bekleidung in Deutschland nur um 0,9 Prozent zurück. Auch die Einfuhrpreise stiegen mit 1,9 Prozent moderat. Die naheliegende Erklärung lautet deshalb: Das deutsche Lieferkettengesetz hat die Bekleidungsimporte aus Entwicklungsländern deutlich sinken lassen – nämlich um mehr als ein Fünftel.

Wo Textilfabriken schließen

Für die betroffenen Länder sind das schlechte Nachrichten. Denn zuletzt haben dort viele Textilfabriken dichtgemacht, wie das Business & Human Rights Resource Centre bereits im Laufe des Jahres 2023 berichtete: Allein in Bangladesch schlossen demnach 320 Textilbetriebe, die zusammen knapp 45.000 Menschen beschäftigten. In Pakistan machten mehr als 1.000 Bekleidungsfirmen innerhalb von 16 Monaten dicht. Und in Kambodscha, wo die Herstellung von Bekleidung, Schuhen und Reiseartikeln die mit Abstand wichtigste Industriebranche ist, verloren Arbeiter in 22 Fabriken ihren Job, weil weniger dieser Produkte exportiert wurden.

Einige Länder liefern mehr

Doch die deutschen Bekleidungsimporte gingen nicht durchweg zurück. Manche Staaten verkauften 2023 deutlich mehr Textilien nach Deutschland als ein Jahr zuvor. Die Einfuhren aus Nordmazedonien, wo die Arbeitskosten deutlich günstiger sind als im Durchschnitt der EU-Mitgliedsstaaten, stiegen innerhalb eines Jahres um rund 16 Prozent. Auch aus Tunesien und Marokko kamen 2023 mehr Kleidungsstücke nach Deutschland als 2022, was neben den vergleichsweise niedrigen Arbeitskosten der beiden nordafrikanischen Länder damit zu tun hat, dass diese beiden Staaten nahe an der EU-Außengrenze liegen und freien Handel mit der EU betreiben dürfen.

Fragt man die Unternehmen in Deutschland, wie sie auf die Einführung des deutschen Lieferkettengesetzes reagiert haben, bestätigt sich die Tendenz zur Verlagerung der Einkaufsquellen (Grafik):

Über alle Branchen hinweg sagen rund 13 Prozent der Betriebe in Deutschland, sie hätten als Reaktion auf das Lieferkettengesetz vermehrt bei Lieferanten aus Ländern mit sicheren und guten Arbeitsbedingungen geordert.

So viel Prozent der Unternehmen in Deutschland haben diese Maßnahmen eingeführt, um die Anforderungen des 2023 in Kraft getretenen deutschen Lieferkettengesetzes zu erfüllen Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

In etwa genauso viele haben allerdings auch ihre Produktpreise erhöht, um die Mehrkosten durch das Gesetz abzudecken. Und 10 Prozent der Großbetriebe sowie 7 Prozent der kleinen und mittleren Betriebe haben sich aus Ländern mit schwacher Governance bereits zurückgezogen oder planen dies.

Das deutsche Lieferkettengesetz tangiert zudem deutlich mehr Unternehmen, als es eigentlich betreffen sollte: Das Gesetz gilt nur für Betriebe mit mehr als 1.000 Mitarbeitern – in der Umfrage gibt jedoch rund die Hälfte der befragten Unternehmen an, sich direkt oder indirekt betroffen zu fühlen und in der Folge mit höheren Kosten zurechtkommen sowie die Lieferantenbeziehungen neu justieren zu müssen.

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