Leitzins: Unterschiedliche Entwicklung erwartet
Nach hohen Inflationsraten in den Jahren 2022 und 2023 ist die Teuerung im Euroraum und in den USA wieder deutlich zurückgegangen. Entsprechend sanken zuletzt die Leitzinsen. Angesichts der unterschiedlichen konjunkturellen Entwicklungen auf beiden Seiten des Atlantiks wird sich das aber wohl nicht weiter parallel fortsetzen.
- Die Eurozone hat – auch durch Zinserhöhungen – die hohe Inflation überwunden. Inzwischen sind die Zinsen gesunken.
- Da die Konjunktur schleppend läuft, sind weitere Zinssenkungen der EZB wahrscheinlich.
- In de USA verlief die Zinsentwicklung ähnlich. Allerdings sorgt dort die starke Wirtschaft dafür, dass das Zinsniveau wahrscheinlich vorerst konstant bleibt.
Steigt die Inflation, steigen auch die Zinsen. Diese Gesetzmäßigkeit war nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wieder zu beobachten – nicht nur in Europa, sondern auch in den USA. Die Entwicklungen im Vergleich:
Euroraum. Weil die Preise stark stiegen, erhöhte die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins deutlich – von vormals 0 auf 4,5 Prozent im Jahr 2023 –, um indirekt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und damit die Preise zu senken. Inzwischen hat sich die Inflationsrate in der Eurozone wieder der geldpolitischen Zielmarke von 2 Prozent angenähert.
In den einzelnen Gütergruppen waren allerdings ganz unterschiedliche Trends zu beobachten (Grafik):
Die stark inflationstreibenden Preise für Energie wie Gas und Öl sind seit 2023 deutlich gesunken.
Dahinter steckt, dass es die Euroländer geschafft haben, ihre vormalige mehr oder weniger starke Abhängigkeit von russischen Gas- und Ölimporten zu überwinden und ihre Energiewirtschaft umzustellen.
Die Preise anderer Warengruppen wie Lebensmittel und Industriegüter gingen im vergangenen Jahr nur noch leicht nach oben.
Der Druck, den Leitzins weiter zu senken, um Investitionen anzukurbeln, ist in Europa wesentlich höher als in den USA.
Es gibt aber nach wie vor auch einen kritischen Bereich: Die Preise für Dienstleistungen steigen weiterhin stärker als geldpolitisch angestrebt. Das liegt vornehmlich an der Lohnentwicklung:
Im dritten Quartal 2024 stiegen die Löhne in der Eurozone um 5,4 Prozent – das war der höchste Quartalswert der vergangenen 25 Jahre.
Die starken Lohnzuwächse spiegeln den unverändert stabilen Arbeitsmarkt wider – die Arbeitslosenquote in der Eurozone lag im Oktober bei historisch niedrigen 6,3 Prozent. Allerdings läuft die Konjunktur in den Euroländern – und ganz besonders in Deutschland – schon seit einiger Zeit auf niedrigen Touren. Im dritten Quartal 2024 lag das Wachstum im Schnitt des Euroraums gerade einmal bei 0,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (Grafik). Das wird sich früher oder später auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar machen. Vor allem der Industriesektor bereitet Sorgen:
Zwischen September 2023 und September 2024 sank die Industrieproduktion in der Eurozone um 2,8 Prozent, in Deutschland betrug das Minus sogar 5,3 Prozent.
Diese negativen Wirtschaftsdaten beeinflussen auch den geldpolitischen Kurs der EZB. Seit 2023 gab zunächst die sinkende Inflationsrate den Takt für die Leitzinsentscheidungen vor. So hat die EZB in mehreren Schritten den Hauptrefinanzierungszins, der bestimmt, zu welchen Konditionen sich Banken bei der Zentralbank Geld leihen können, von 4,5 auf nun 3,15 Prozent gesenkt.
Weitere Zinssenkungen im Jahr 2025 sind durchaus möglich – weil die Preise nur noch langsam steigen, inzwischen aber vor allem, um die Wirtschaft durch günstige Finanzierungsbedingungen zu stützen.
USA. Auf der anderen Seite des Atlantiks verlief die Entwicklung lange Zeit ähnlich. Auch die USA hatten nach dem Kriegsbeginn in der Ukraine mit einer hohen Inflation zu kämpfen, sie betrug zeitweise mehr als 9 Prozent. Zuletzt zeigte die Kurve aber auch dort nach unten. Dass die Teuerungsrate im vergangenen Oktober mit 2,6 Prozent noch etwas oberhalb des geldpolitischen Ziels von 2 Prozent lag, ist in erster Linie auf die überdurchschnittlich stark gestiegenen Wohnkosten zurückzuführen.
Der rückläufigen Inflation folgte auch die US-Notenbank mit Zinssenkungen. Auf weitere entsprechende Schritte könnten die amerikanischen Währungshüter nun aber vorerst verzichten. Denn anders als im Euroraum zeigt der Konjunkturtrend in den USA klar nach oben (Grafik):
Die US-Wirtschaft wuchs zwischen dem letzten Vor-Corona-Quartal 2019 bis Ende 2024 um knapp 10 Prozent und machte damit den Einbruch während der Pandemie mehr als wett.
Der Druck, den Leitzins weiter zu senken, um Investitionen anzukurbeln, ist auf der anderen Seite des Atlantiks also wesentlich geringer.