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Hartz IV: Langzeitarbeitslose besser fördern

Deutschlands Arbeitsmarkt boomt, davon haben in den vergangenen Jahren auch Langzeitarbeitslose profitiert. In Luft aufgelöst hat sich das Problem allerdings nicht – und die Arbeitsmarktpolitik spart beim Budget der Jobcenter ausgerechnet am falschen Ende.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die Zahl der Langzeitarbeitslosen hat sich in Deutschland seit 2006 mehr als halbiert.
  • Um die Langzeitarbeitslosigkeit und damit auch den langjährigen Transferbezug noch stärker einzudämmen, gibt es zwei Ansatzpunkte.
  • Langzeitarbeitslose sollten häufiger Weiterbildungen absolvieren und die Jobcenter mehr Personal, gerade für die Betreuung junger Langzeitarbeitsloser, einsetzen.
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In Deutschland lebten im Jahresdurchschnitt 2017 genau 900.745 Menschen, die seit mehr als zwölf Monaten ununterbrochen arbeitslos waren – und damit definitionsgemäß als langzeitarbeitslos gelten.

Die gute Nachricht: Das sind nicht einmal mehr halb so viele wie zum Höchststand vor gut zehn Jahren, als fast 1,9 Millionen Bundesbürger für den Arbeitsmarkt verloren schienen (Grafik).

Die schlechte Nachricht: Die Statistik erfasst das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit nicht in vollem Umfang: Es fallen all jene durchs Zahlenraster, die zwar immer mal wieder – für sechs Wochen oder länger – als nicht arbeitslos gelten, weil sie zum Beispiel arbeitsunfähig sind, es aber nicht schaffen, sich dauerhaft aus der Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung zu befreien.

Langzeitarbeitslose in Deutschland von 1998 bis 2017 Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Aus diesem Grund werde seit 2009 zusätzlich die „Langleistungsbezieher“ statistisch ausgewiesen. Dazu zählen alle, die in einem Zeitraum von 24 Monaten mindestens 21 Monate Arbeitslosengeld (ALG) II – im Volksmund auch Hartz IV genannt – oder Grundsicherung bezogen haben:

Im Jahr 2016 gab es in Deutschland 2,8 Millionen Langleistungsbezieher, darunter jene 742.000 Langzeitarbeitslosen, die ALG II erhalten.

Hinzu kommen 860.000 nicht arbeitslose Arbeitsuchende, also zum Beispiel vorübergehend berufsunfähig Erkrankte, 840.000 Erwerbstätige, die sogenannten Aufstocker, 480.000 Kurzzeitarbeitslose sowie 230.000 Teilnehmer an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen.

Der Boom auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist auch an den langjährigen Transferabhängigen nicht vorbeigegangen: Ihre Zahl ist seit 2009 um gut 400.000 geschrumpft. Dieser Abbau um fast 15 Prozent binnen sieben Jahren entspricht dem Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit.

Der Boom auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist auch an den langjährigen Transferabhängigen nicht vorbeigegangen.

Dass das Problem kleiner geworden ist, heißt jedoch nicht, dass es nichts mehr zu tun gäbe. Zwar haben Langzeitarbeitslose besonders vom Arbeitsmarktaufschwung Ende der 2000er Jahre profitiert: Ihr Anteil an allen Arbeitslosen liegt inzwischen nur noch bei 36 Prozent, auf dem Höchststand 2007 waren es 46 Prozent. Seit 2011 tut sich an der Relation von Langzeit- zu Kurzzeitarbeitslosen jedoch nicht mehr viel.

Was die Arbeitsmarktpolitik tun kann

Um das zu ändern, gibt es für die Arbeitsmarktpolitik zwei Ansatzpunkte:

1. Mehr Geld in – die richtigen – Qualifizierungsmaßnahmen stecken. Gut zwei Drittel aller Langzeitarbeitslosen sind entweder über 55 Jahre oder streben aufgrund fehlender Qualifizierung lediglich einen Helferberuf an. Manchmal sind einst erlernte Berufe am Arbeitsmarkt nicht mehr gefragt, doch auch die Dauer der Arbeitslosigkeit selbst vernichtet beruflich verwertbare Kenntnisse.

Deshalb ist es sinnvoll, gerade Dauerarbeitslose mit Qualifizierungsmaßnahmen wie Weiterbildungen zu unterstützen. Das passiert auch – allerdings gibt es erhebliche Unterschiede zwischen Langzeitarbeitslosen, die überwiegend in den Jobcentern betreut werden, und Arbeitslosengeld-I-Empfängern (ALG-I), für die die Arbeitsagenturen zuständig sind:

Kurzfristige Maßnahmen der Aktivierung und der beruflichen Eingliederung werden häufiger von Langzeitarbeitslosen absolviert als von Kurzzeitarbeitslosen, bei Weiterbildungen ist es umgekehrt.

Zudem ist das Weiterbildungsbudget der Arbeitsagenturen für einen arbeitslosen ALG-I-Empfänger fast doppelt so hoch wie das Budget der Jobcenter für einen Hartz-IV-Arbeitslosen.

Relationen von Jobcenter-Betreuern zu Arbeitslosengeld-II-Empfängern unter und über 25 jahren Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Tendenziell waren die Pro-Kopf-Mittel für alle Eingliederungsmaßnahmen, mit denen arbeitslose ALG-II-Empfänger bedacht werden können, in der Vergangenheit rückläufig: Im Jahr 2012 standen noch fast 1.900 Euro zur Verfügung, 2015 weniger als 1.700 Euro. 2016 belief sich das Budget zwar wieder auf rund 1.800 Euro je Arbeitslosen – allerdings nur, weil die Jobcenter 575 Millionen Euro zusätzlich für die Flüchtlinge bekommen hatten.

Dass das Geld in den Jobcentern so knapp ist, hängt auch mit seiner Umschichtung in die Verwaltungskosten zusammen. Es wird nämlich unter anderem dafür benötigt, die Betreuer zu finanzieren – und das leitet über zum zweiten Hebel für den Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit:

2. Mehr Personal für die Betreuung von Langzeitarbeitslosen einsetzen. Besonders Erfolg versprechend ist es, wie Modellprojekte gezeigt haben, wenn die Leistungsempfänger im Jobcenter individuell betreut werden, und zwar im häufigen persönlichen Kontakt. Doch dafür reicht das für die Betreuung vorgesehene Personal der Jobcenter hinten und vorne nicht. Betroffen sind vor allem Jugendliche (Grafik):

In neun Bundesländern schafft es mindestens die Hälfte der Jobcenter nicht, die gesetzliche Vorgabe von einem Betreuer für maximal 75 Langzeitarbeitslose von unter 25 Jahren einzuhalten.

Weil die Obergrenze für über 25-Jährige doppelt so hoch ist, sieht es hier etwas besser aus.

Fest steht: Geld für Langzeitarbeitslose ist in der Qualifizierung und Aktivierung besser angelegt als in Lohnkostenzuschüssen und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Denn Arbeitslose, die einmal an einer solchen Maßnahme teilgenommen haben, signalisieren potenziellen Arbeitgebern vor allem eins: Sie sind schwer vermittelbar.

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