Kommentar: „Der hohe Krankenstand geht für die Unternehmen ins Geld“
Die Arbeitnehmer in Deutschland sind häufiger krank als früher. Die Gründe und die Folgen erläutert Jochen Pimpertz, Leiter des Clusters Staat, Steuern und Soziale Sicherung im IW.
- Der Krankenstand in Deutschland blieb 2023 recht stabil, allerdings auf hohem Niveau.
- Dass die Arbeitnehmer häufiger krank sind als früher, liegt laut IW-Experte Jochen Pimpertz unter anderem an einer gesunkenen Bevölkerungsimmunität gegen Atemwegserkrankungen und dem demografischen Wandel.
- Zusammen mit den Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung bezahlten die Unternehmen 2023 fast 77 Milliarden Euro für die Entgeltfortzahlung – mehr als doppelt so viel wie noch 2010.
In den vergangenen Wochen kursierten in den Medien immer wieder Meldungen zu sprunghaft angestiegenen Krankenständen im Jahr 2023. Die Daten des Dachverbands der Betriebskrankenkassen zeichnen ein differenzierteres Bild: Der Krankenstand in Deutschland blieb recht stabil, wenn auch auf hohem Niveau. Zwar ist die Zahl der Krankmeldungen im Vergleich zu den Vorjahren deutlich gestiegen, die durchschnittliche Dauer der Krankschreibung allerdings gesunken: Fast sieben von zehn krankgemeldeten Beschäftigten waren schon nach spätestens einer Woche wieder fit.
Dass die Arbeitnehmer häufiger krank sind als früher, liegt an verschiedenen Faktoren. Mediziner weisen zum Beispiel darauf hin, dass die Bevölkerungsimmunität gegen Atemwegserkrankungen während der Coronapandemie gesunken ist. So führen die jährlich wiederkehrenden Erkältungswellen seit jeher zu einem Anstieg der Ausfallzeiten in den Herbst- und Wintermonaten, seit 2022 ist die Ausfallquote in dieser Zeit aber deutlich höher.
Der Krankenstand in Deutschland blieb 2023 recht stabil, wenn auch auf hohem Niveau.
Der demografische Wandel spielt ebenfalls eine Rolle. In alternden Belegschaften ist beispielsweise damit zu rechnen, dass häufiger Muskel- und Skeletterkrankungen auftreten, die zu längeren Arbeitsausfällen führen. Typischerweise leiden vor allem ältere Beschäftigte an diesen Krankheiten – jüngere Arbeitnehmer sind dagegen häufiger aufgrund von Atemwegserkrankungen krankgeschrieben, die in der Regel schnell wieder auskuriert sind.
Das spiegelt sich in der Zahl der Ausfalltage wider: Während 25- bis 34-jährige Männer im Schnitt jährlich an rund 16 Arbeitstagen ein ärztliches Attest vorlegen, sind die männlichen 60- bis 64-Jährigen durchschnittlich mehr als doppelt so lange krank. Bei den Frauen ist der Unterschied bei geringfügig mehr Ausfalltagen ähnlich groß.
Viel Geld für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
Fakt ist allerdings auch: Auf längere Sicht ist der Krankenstand merklich gestiegen. Für die Unternehmen ist dies nicht nur aufgrund der fehlenden Arbeitskräfte ein Problem, es geht auch ins Geld. Schließlich bekommen die Beschäftigten in den ersten sechs Krankheitswochen ihr volles Gehalt wie gehabt vom Arbeitgeber. Zusammen mit den Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung berappten die Unternehmen so 2023 fast 77 Milliarden Euro für die Entgeltfortzahlung – mehr als doppelt so viel wie noch 2010. Neben dem generell gestiegenen Krankenstand treiben auch die jährlichen Lohnsteigerungen und der – für den Arbeitsmarkt grundsätzlich erfreuliche – Beschäftigungszuwachs im vergangenen Jahrzehnt die Ausgaben in die Höhe.