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„Knapp 10 Prozent armutsgefährdete Rentner – das sind 1,75 Millionen Menschen“

Am Institut der deutschen Wirtschaft forschen Judith Niehues und Maximilian Stockhausen zur Verteilung der Einkommen und Vermögen. In ihrer jüngsten Studie haben sie nun die beiden Wohlstandsindikatoren kombiniert. Der iwd sprach mit den Ökonomen über die Ergebnisse der Analyse und die Frage, welche Altersgruppe am schlechtesten dasteht.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die Armutsgefährdung der Menschen ab 65 Jahren liegt trotz anderer Wahrnehmung unter dem Durchschnitt der Bevölkerung, sagen die IW-Ökonomen Judith Niehues und Maximilian Stockhausen.
  • Als Datengrundlage sollten nicht nur individuelle Rentenansprüche dienen, sondern der gesamte Wohlstand der Haushalte - am besten inklusive etwaiger Vermögen.
  • Unter dem Strich verbleiben dann noch 9,9 Prozent der über 65-Jährigen in der Kategorie der relativ Armen, die gezielte Unterstützung benötigen.
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Weshalb erweitern Sie für Ihre neue Studie das Einkommen um einen monatlichen Anteil des Vermögens?

Stockhausen: Das Vermögen zu berücksichtigen ist wichtig, wenn es um die Frage geht, wie leistungsfähig und wohlhabend ein Haushalt insgesamt ist – dies ist gerade momentan von Bedeutung, da bei vielen Menschen Einkommen wegbricht.

Niehues: Wir machen oft Analysen zur Frage, wer zu welcher Schicht gehört. Da geht es in der Regel nur ums Einkommen und meist fokussiert sich die Forschung auf die unteren Schichten. Nun wollten wir uns anschauen, wie sich die Schichtzugehörigkeit verändert, wenn auch die – teils nennenswerten – Vermögen berücksichtigt werden.

Dazu teilen Sie Vermögen wie Häuser oder Aktien in Monatswerte auf. Das erscheint unrealistisch.

Stockhausen: Natürlich ist unser Vorgehen ein eher theoretisches. Doch es ist durchaus realistisch, dass ein Haushalt Vermögenswerte zumindest teilweise verkauft und das Geld nutzt, wenn er in finanzielle Probleme gerät. Bei Wohnimmobilien mag dies jedoch schwieriger sein als bei Aktien.

Was bedeuten Ihre Ergebnisse für die gesellschaftliche Diskussion über Altersarmut?

Judith Niehues und Maximilian Stockhausen forschen am Institut der deutschen Wirtschaft zur Verteilung der Einkommen und Vermögen; Foto: IW Medien Niehues: Bereits bei der konventionellen Einkommensbetrachtung liegt die Armutsgefährdung der Menschen ab 65 Jahren unter dem Durchschnitt, mit der Vermögenskomponente verbessert sich ihre relative Situation noch etwas. Doch die Wahrnehmung der Bevölkerung ist eine andere. Die Menschen haben auch falsche Vorstellungen davon, wie viele Senioren es künftig geben wird: In einer Befragung kam heraus, dass die Deutschen glauben, im Jahr 2050 würden etwa 65 Prozent der Bundesbürger im Rentenalter sein, tatsächlich liegt der erwartete Anteil laut Weltbank-Prognose bei deutlich niedrigeren 31 Prozent.

Wohlstandseffekte kumulieren sich über das ganze Berufsleben.

Stockhausen: Problematisch ist auch, dass oft nur auf individuelle Rentenansprüche geschaut wird und das Einkommen des Partners oder Vermögenswerte nicht berücksichtigt werden. Das überzeichnet die Armutsgefährdung. Doch auch in der kombinierten Betrachtung verbleiben 9,9 Prozent der über 65-Jährigen in der Kategorie der relativ Armen. Das sind 1,75 Millionen Menschen – und diese brauchen gezielte Unterstützung.

Ihre Studie zeigt, dass eigentlich die unter 25-Jährigen jene ohne auskömmliche Einkommen und Vermögen sind …

Stockhausen: Aber natürlich wird sich das für viele im Lauf ihres Lebens ändern – sie werden mehr verdienen, einige ein Haus bauen oder sonstiges Vermögen aufbauen.

Trotz Corona?

Niehues: Die meisten, die bereits im Ruhestand sind, haben ja auch Zeiten höherer Arbeitslosigkeit erlebt, Öl- und sonstige Krisen. Letztlich kumulieren sich Wohlstandseffekte über das ganze Berufsleben.

Stockhausen: Aber ja, der Start ins Berufsleben wird für einige junge Menschen natürlich schwieriger sein als noch vor einem Jahr.

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